"Manchmal beschimpfen einen die Leute, aber die Stadt ist an sich sicher ..."

Von Otto Langels · 26.10.2012
Mit mehr als 100.000 Mitgliedern hat Ungarn die größte jüdische Gemeinde in Mittel- und Osteuropa. Viele sehen sich in den letzten Jahren einem wachsenden Antisemitismus ausgesetzt. Die ungarische Botschaft in Berlin möchte das negative Bild korrigieren, unter anderem mit einer aktuellen Ausstellung.
"Today there is …
Es gibt heute in Budapest ein sehr lebendiges kulturelles und religiöses Leben. In der Stadt sind zum Beispiel rund 25 Synagogen geöffnet.
…in the city."

... erzählt Slomo Köves, leitender Rabbiner der jüdischen Gemeinden Ungarns. Doch nur eine Minderheit der ungarischen Juden ginge regelmäßig in die Synagogen, klagt der 32-Jährige, ein freundlicher, zurückhaltend auftretender Mann mit roten Haaren und Bart. Der in Budapest geborene Köves hat in Israel, den USA und Frankreich studiert und ist der erste orthodoxe Rabbiner in Ungarn nach dem Holocaust.

"All jews …
Alle hier lebenden Juden stammen aus Ungarn und sind nicht erst nach dem Holocaust hierhergekommen. Inzwischen gibt es in Budapest mehrere Kulturzentren, verschiedene koschere Restaurants und Lebensmittelläden. In den letzten 20 Jahren ist hier sehr viel wieder zu neuem Leben erwacht.
... the last 20 years."

Das vitale Leben in der Hauptstadt ist allerdings auch darauf zurückzuführen, dass viele in das alte jüdische Viertel ziehen, weil sie sich dort vor antisemitischen Beschimpfungen und Gewalt besser geschützt fühlen als in anderen Regionen. Slomo Köves geht z.B. mit der Kippa auf dem Kopf aus dem Haus.

"On the street level …
Im Alltag auf der Straße ist Budapest ein sicherer Ort. Es gibt keine tätlichen Angriffe. Manchmal beschimpfen Leute einen, aber die Stadt ist an sich sicher. Man ist als Jude nicht gefährdet, auch wenn man sich offen dazu bekennt wie ich.
…like myself."

Doch längst nicht alle ungarischen Juden machen so positive Erfahrungen wie Slomo Köves. Der in Budapest geborene bekannte Pianist Andras Schiff will vorerst nicht mehr in seiner Heimat auftreten. Nachdem er im Ausland die Regierung öffentlich scharf kritisiert hatte, weil sie sich nicht eindeutig von antisemitischen Hasstiraden der rechtsextremen Jobbik-Partei distanzierte, wurde er daheim als "Saujude" diffamiert.

"Na ja, ich wurde anonym mehrfach bedroht: Wenn ich nach Ungarn komme, sie werden mir eine oder beide Hände abhauen. Das sind leere Worte, aber das ist schon eine Stimmung. Da sind sehr viele, sehr dunkle und primitive Elemente, die viel zu viel zu sagen haben."

Antisemitische Vorfälle habe seine Regierung immer eindeutig verurteilt, betont Ungarns Botschafter in Berlin, Jozsef Czukor. Er widerspricht dem im Ausland verbreiteten Eindruck, dass sein Land nicht entschieden gegen Antisemitismus und Rassismus vorgehe. Tätliche Angriffe auf Juden und rechtsextreme Hetze gäbe es auch in Frankreich oder Deutschland. Nur stünde Ungarn viel stärker im Fokus einer kritischen Berichterstattung, so Czukor:

"Alle konservativen Regierungen in Ungarn mussten mit dem Vorwurf des Antisemitismus leben. Wieso bleiben die 120.000 Juden, wenn sie sich so bedroht fühlen, wie es behauptet wird?"

Mit Vorträgen und Diskussionsveranstaltungen möchte Jozsef Czukor das seiner Ansicht nach einseitige und negative Bild Ungarns im Umgang mit seinen Minderheiten korrigieren. Dazu zeigt die Botschaft in Berlin Unter den Linden derzeit eine kleine Ausstellung des Budapester Holocaust-Zentrums zur jüdischen Geschichte des Landes. Zu sehen sind Zeugnisse der Ausgrenzung und Deportation der Juden, darunter antisemitische Karikaturen, Lagerausweise und gelbe Sterne. Die Mitwirkung der einheimischen Behörden am Holocaust wird nicht beschönigt.

Doch die Ausstellung beschränkt sich auf die Vergangenheit, sie vermeidet Aussagen zur jüngsten Entwicklung, warum es zum Beispiel immer wieder zu offener Hetze und Attacken gegen Juden, Sinti und Roma oder Homosexuelle kommt. Rabbiner Slomo Köves verweist auf die gegenwärtige ökonomische und soziale Krise als Ursache von Diskriminierung und Gewalt:

"The problem is …
Es ist ein Problem, dass der Lebensstandard in Ungarn sehr niedrig ist und die Wirtschaft in einer tiefen Krise steckt. Daher sind die Menschen empfänglich für extreme Ideen. Es ist eine komplexe politische Situation, die von außen sehr schwer zu verstehen ist. Aber ich würde sagen, dass man selbstverständlich mehr tun könnte.
… obviously."

So hofft und erwartet Schlomo Köves, dass die ungarische Regierung ihre Minderheiten besser schützt als bisher und eindeutiger gegen rechtsextreme Propaganda und Aufmärsche vorgeht.