"Man muss mal in die andere Richtung umverteilen"

Frank Bsirske im Gespräch mit André Hatting · 28.03.2012
Bei den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst sieht der Vorsitzende der Gewerkschaft ver.di Spielraum für einen Kompromiss. Darüber hinaus fordert Frank Bsirske eine höhere Besteuerung von großen Vermögen und "reichen Erben", die den Kommunen mehr Finanzkraft verschaffen würde.
André Hatting: Alle guten Dinge sind drei. Heute treffen sich wieder Arbeitgeber und Gewerkschaften, in Potsdam beginnt die dritte Gesprächsrunde, und es geht um die rund zwei Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. Zwei Warnstreikwellen sind bereits durch die Republik geschwappt, an der letzten waren laut Gewerkschaft ver.di in ganz Deutschland über 200.000 Beschäftigte beteiligt. Vielleicht haben Sie es auch ganz direkt mitbekommen, weil der Kindergarten geschlossen war oder der Müll nicht abgeholt worden ist oder Sie nicht in den Urlaub fliegen konnten. Am Telefon ist jetzt Frank Bsirske, der Chef von ver.di. Guten Morgen, Herr Bsirske!

Frank Bsirske: Ja, guten Morgen!

Hatting: 6,5 Prozent oder monatlich mindestens 200 Euro mehr gegen 3,3 Prozent und einmal 200 Euro innerhalb der nächsten zwei Jahre – so weit liegen Forderung und Angebot auseinander. Sagen Sie, haben die Arbeitgeber eigentlich überhaupt noch Spielraum oder müssen sie die 6,5 Prozent schlucken?

Bsirske: Ja, die 3,3 Prozent sind ja bezogen auf zwei Jahre, das darf man ja nicht übersehen. Und jahresbezogen ist das ein Angebot von 1,77 Prozent, das heißt ja im Grunde programmierter Reallohnverlust, dass der Lohn im Grunde zum Preisausgleich nicht mehr reicht, das wollten die Arbeitgeber fortsetzen. Das ist die Ausgangslage für die Verhandlungsrunde heute, und da gibt es garantiert jede Menge Luft nach oben.

Hatting: Über den 6,5 sicherlich – und darunter?

Bsirske: Für einen Kompromiss gibt es Spielraum, das ist völlig klar. Die Tarifrunde, wo am Ende das rauskommt, was die Gewerkschaft eingangs gefordert hat, die hat es, glaube ich, in den letzten 50 Jahren noch nicht gegeben …

Hatting: Stimmt!

Bsirske: … also natürlich wird es da einen Kompromiss geben. Aber er wird auf einem anderen Niveau sich abspielen müssen als das, was bisher auf dem Tisch liegt. 3,3 Prozent Lohnerhöhung zu einem Jahr – es wird noch nicht mal reichen für ein Jahr, geschweige denn für zwei.

Hatting: Herr Bsirske, einerseits verstehe ich Ihre Unzufriedenheit, andererseits sind viele Städte hochverschuldet. Das sind ja keine Unternehmen, die Gewinne machen können und verteilen können. Ein Beispiel: Hamburg – 25 Milliarden Euro Schulden, wo sollen da 6,5 Prozent mehr Lohn herkommen?

Bsirske: Woher kommen die Schulden? Wenn man sich das anguckt, was an Steuerpolitik in den letzten 14 Jahren gelaufen ist, so sind allein durch die Steuerpolitik den Städten und Gemeinden acht Milliarden Euro jedes Jahr an Einnahmen entzogen worden zugunsten von Spitzenverdienern, reichen Erben, Besitzern großer Vermögen und zugunsten von Kapital- und Unternehmensgewinnen. Das kann so nicht weitergehen, zumal gleichzeitig den Kommunen auch noch weitere Aufgaben übertragen worden sind, ohne ihnen die notwendigen Finanzmittel zu geben. Das kriegen wir nicht in den Griff, indem wir die Reallohnverluste der letzten zehn Jahre auf die nächsten zehn oder zwanzig fortsetzen.

Da können am Ende die Beschäftigten noch Geld mitbringen – die Situation der Kommunen wird sich trotzdem nicht grundlegend verbessert haben. Da muss man anders ran, da muss dann im Grunde aufgehört werden damit, dass Deutschland eine Steueroase ist bei der Besteuerung großer Vermögen und Erbschaften und ein Niedrigsteuerland ist bei der tatsächlichen Besteuerung von Kapital- und Unternehmensgewinnen. Da liegt die Alternative, man muss mal in die andere Richtung umverteilen – nicht ständig zulasten von Busfahrern und Erzieherinnen und Bibliothekaren, die am Ende mit 1300, 1400 Euro netto nach Hause gehen, wenn sie vollzeitbeschäftigt sind, 700 Euro Miete zahlen und eigentlich nicht wissen, wie sie über die Runden kommen sollen, wenn sie eine Familie haben.

Hatting: Zäumen Sie das Pferd nicht von hinten auf, müsste man nicht eigentlich Gesetzesänderungen schaffen, über die dann die Städte und Kommunen mehr Steuern einnehmen, um dann auch mehr Geld zu haben, das sie verteilen können, statt jetzt 6,5 Prozent zu fordern?

Bsirske: Wir erhöhen den Druck auf die Situation insgesamt, aber wenn wir das nicht so machen, dann werden wir noch in 10, 15 Jahren hinterherlaufen, und das in einer Situation, wo 20 Prozent des öffentlichen Dienstes, der Beschäftigten, die den öffentlichen Dienst altersbedingt bis 2020 verlassen werden, und die Konkurrenz um Fachkräfte zunimmt. Wir müssen hier Zeichen setzen zugunsten der Beschäftigten, zugunsten der Attraktivität des öffentlichen Dienstes, zugunsten im Grunde auch der Bürgerinnen und Bürger, die auf einen funktionierenden öffentlichen Dienst angewiesen sind, und der Druck muss erhöht werden, zu einer anderen Art der Verteilungspolitik zu gelangen. Das ist gewissermaßen die Logik, die hier auch mitschwingt, und aus meiner Sicht auch ziemlich alternativlos ist, wenn man die Interessenlage der Beschäftigten zur Grundlage eigenen Handelns macht.

Hatting: Herr Bsirske, Sie haben schon die Kindergärtnerinnen angesprochen, Straßenreiniger wären ein anderes Beispiel – in Leipzig bekommen die maximal 2200 Euro brutto. Jetzt ist es aber so, dass für die Leitung des dortigen Liegenschaftsamtes es insgesamt bis zu 6000 Euro im Monat geben kann. Wie wahren Sie bei 6,5 Prozent pauschal denn da die Verhältnismäßigkeit?

Bsirske: Deswegen kommt ja der sozialen Komponente eine große Bedeutung zu. Mindestens 200 Euro, das ist ja gerade mit Blick auf die unteren und normalen Einkommen formuliert, die bei%forderungen im Grunde nicht so viel rüberkommen sehen, aber bei einem Mindestbetrag, einem Festbetrag natürlich sofort auch vergleichsweise größere Wirkung haben. Wir wollen für die unteren und normalen und mittleren Einkommen diesmal einen besonderen Akzent setzen, weil der Preisdruck der letzten Jahre dort auch besonders empfindlich zu spüren war, und ich würde mir sehr wünschen, dass die Arbeitgeberseite hier auch kompromissbereit ist. Bisher hat sie das kategorisch zurückgewiesen. So werden wir schlecht zusammenkommen. Und zusammenkommen, das wollen wir schon, und zwar am besten am Verhandlungstisch.

Hatting: Und was machen Sie, wenn das jetzt auch wieder nicht klappt?

Bsirske: Es sieht ja eigentlich alles so aus, als würde die Arbeitgeberseite dann die Schlichtung anrufen. Dann beginnt eine Schlichtungsphase, der stimmberechtigte Schlichter kommt von der Arbeitgeberseite, Sachsens ehemaliger Ministerpräsident Milbradt ist das. Dann bleibt mal abzuwarten, wie die Schlichtung verläuft. Mitte April würden wir dann klarer sehen, und gegebenenfalls würden dann auch die Mitglieder über Streik oder nicht Streik entscheiden. Nur so weit sind wir noch nicht, jetzt wollen wir alles unternehmen, am Verhandlungstisch zu einem gemeinsamem Ergebnis zu kommen. Das ist die Aufgabe des heutigen und des morgigen Tages.

Hatting: Ist das auch der Grund, warum Sie vor dieser Gesprächsrunde ausgeschlossen haben, einen Schlichter einzuschalten?

Bsirske: Nun, dass die Gewerkschaftsleitung nicht unbedingt auf einen Schlichter drängt, wenn der stimmberechtigte Schlichter von der Arbeitgeberseite gestellt wird, ich glaube, das ist nachvollziehbar. Die Arbeitgeber selbst hatten ja auch eigentlich bis nach der zweiten Verhandlungsrunde erklärt, sie wollten die Schlichtung auch nicht anrufen. Nun sind sie da mittlerweile bereits zurückgerudert – bleibt mal abzuwarten, inwieweit sich das taktische Kalkül für die Verhandlungen auf Arbeitgeberseite vor diesem Hintergrund geändert hat. Heute und morgen werden wir das sehen, und morgen sind wir dann schlauer.

Hatting: Dann treffen sich nämlich die Vertreter von Arbeitgebern und Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst in Potsdam zu den entscheidenden Tarifverhandlungen. Das war ver.di-Chef Frank Bsirske. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Bsirske!

Bsirske: Ich auch!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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