"Man muss der Helmholtz-Gesellschaft die Zuständigkeit entziehen"

Bärbel Höhn im Gespräch mit Birgit Kolkmann · 03.09.2008
Bärbel Höhn, die Vize-Fraktionsvorsitzende der Bündnis-Grünen im Bundestag, sieht die Öffentlichkeit im Fall des Atommüllendlagers Asse II getäuscht. Bei der Genehmigung sei erzählt worden, das Lager sei absolut sicher, was sich jetzt als falsche Voraussetzung herausgestellt habe. Angesichts schwerwiegender Sicherheitsmängel in Asse müsse auch der Standort Gorleben als Lager neu diskutiert werden.
Birgit Kolkmann: Ein wirklich sicheres Lager für gefährlichen Atommüll gibt es in Deutschland nicht, noch nicht. Und die Chancen, dass es dies jemals geben wird, stehen nicht sonderlich gut. Ganz im Gegenteil. Die Nachrichten aus dem sogenannten Versuchsendlager Asse bei Wolfenbüttel sind schlecht. Seit den 60er Jahren wird es betrieben. Schon damals wurde Atommüll eingelagert, aber man weiß nicht, wie gefährlich der war. Und seit es in diesem Jahr zu Pannen kam, radioaktiv verseuchtes Wasser austrat, sind Behörden und Bevölkerung alarmiert. Der Bundesumweltminister hat seine Experten losgeschickt und die haben einen sehr negativen Bericht erstattet. In der Asse gab es demnach schwere Verstöße und Versäumnisse gegen Vorschriften. Zum Gespräch in Deutschlandradio Kultur begrüße ich nun Bärbel Höhn, die Vize-Fraktionsvorsitzende der Bündnis-Grünen im Bundestag. Schönen guten Morgen!

Bärbel Höhn: Guten Morgen, Frau Kolkmann!

Kolkmann: Frau Höhn, ist das ein Skandal, den die Gutachter des Ministeriums da aufgedeckt haben?

Höhn: Ja, aus meiner Sicht ist das wirklich ein Skandal. Man muss sich ja noch mal die Situation klarmachen. Es ist ganze 40 Jahre her, da begannen die Behörden, die hatten es ja auch erlaubt, da wurde halt radioaktiver Müll dort eingelagert. Und es war von allen Experten gesagt worden, das ist ein Lager, das ist trocken, das ist über Hunderttausende von Jahren sicher.

So, und jetzt haben wir ja 40 Jahre, sind vorbei, und jetzt finden wir radioaktive Lauge. Das heißt, es ist überhaupt nicht trocken. Wir wissen jetzt, dass das von Anfang an nicht trocken war. Das heißt, die Menschen sind wirklich an der Nase rumgeführt worden. Man muss sagen, wie konnte das Landesbergamt von Niedersachsen überhaupt solche Genehmigungen erteilen? Das ist wirklich eine Katastrophe, wenn man bedenkt, mit welchen, ich sage mal, Voraussagen die mit diesem Lager umgegangen sind, was sie den Leuten erzählt haben und was jetzt wirklich als Tatsache rauskommt.

Kolkmann: Nun sind ja die Betreiber der Anlage Wissenschaftler, es ist die Helmholtz-Gesellschaft in München, eigentlich sehr renommiert und eigentlich sollte das ja ein Garant dafür sein, dass das besonders gut gemacht wird. Wie erklären Sie sich dieses Desaster, das jetzt zutage kommt?

Höhn: Ja, ich fand ja interessant, dass gestern der Vertreter der Helmholtz-Gesellschaft so einfach nur gesagt hat, ja, wir hatten doch die Genehmigung des Landesbergamtes und das ist doch alles in Ordnung. Das heißt, momentan fängt jeder Verantwortliche an, die Verantwortung auf den anderen zu schieben. Es ist ja so das bewährte Mittel.

Und aus meiner Sicht kommt zutage, dass zum Beispiel auch das Bundesforschungsministerium sich da überhaupt nicht dahinter geklemmt hat, sich da überhaupt nicht drum gekümmert hat, dass das Landesbergamt in Niedersachsen Genehmigungen erteilt hat, die es nicht hätte erteilen dürfen, dass man natürlich auch, wie man jetzt im Nachhinein weiß, nicht einfach nur nach Bergrecht hätte machen dürfen, sondern eben auch nach Atomrecht, von daher extreme schwere Fehler.

Und ich meine, man muss ja immer noch wissen, dass Asse immer das Vorzeigeendlager war, so "das funktioniert in Asse und deshalb können wir das Ganze auch in Gorleben machen". Die Genehmigung von Gorleben, die wurde ja immer mit Asse auch begründet, wie gut das Ganze sein soll. Es hat natürlich auch extreme weitere Auswirkungen.

Kolkmann: Was bedeutet das nun für die Endlager-Debatte? Ist dieses auch gegenüber der Bevölkerung zukünftig überhaupt nicht mehr durchsetzbar, von einem Endlager zu sprechen zukünftig?

Höhn: Na, ich finde, auf jeden Fall haben alle die recht, die immer auch bei Gorleben schon gesagt haben, es hat gar keine vernünftige Voruntersuchung gegeben. Es ist nicht unbedingt begründet, dass ein Salzbergwerk wirklich die Sicherheit bietet, die immer suggeriert worden ist. Und es muss eben auch an anderen Standorten geprüft werden, ist das wirklich in Gorleben der sicherste oder ist er nicht damals ausgewählt worden, weil er dicht an der Grenze zur DDR lag und weil das ein Gebiet war, wo nicht viel Bevölkerung war und weil er aus solchen Gründen einfach durchaus als geeignet angesehen wurde und weniger aus fachlichen Gründen.

Kolkmann: Die Zeiten sind ja nun vorbei. Was muss jetzt geschehen, nachdem so viel ans Tageslicht gekommen ist? Sollte dringen die Asse unter die Aufsicht des Bundesumweltministeriums gestellt werden?

Höhn: Aus meiner Sicht ist es ganz eindeutig und klar, man muss der Helmholtz-Gesellschaft hier die Zuständigkeit entziehen. Denn die waren einfach unzuverlässig und haben das nicht sachgemäß gemacht. Und deshalb muss man da zu einer Änderungen kommen. Das Bundesamt für Strahlenschutz ist ja momentan auch schon für Morsleben zuständig. Insofern wäre das eine Behörde, die sehr gut geeignet ist. Und von daher, ja, wir Grüne sind der Meinung, die Helmholtz-Gesellschaft darf das nicht weiterführen. Und vor allen Dingen müssen wir das Ganze auch unter Atomrecht stellen und dürfen es nicht immer weiter unter Bergrecht laufen lassen.

Kolkmann: Und muss es auch mindestens eine Rüge geben für das Niedersächsische Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie, die ja eigentlich auch die Aufsichtsbehörde ist? Hat die auch versagt?

Höhn: Ich hab das ja eben auch schon an einigen Punkten deutlich gemacht. Das Landesbergamt aus Niedersachsen hätte diese Genehmigung gar nicht erteilen dürfen. Offensichtlich sind da ganz andere Voraussetzungen gewesen, als den Leuten immer erzählt worden sind, der Öffentlichkeit immer erzählt worden sind. Und es ist eben ein schwerer Fehler, das unter Bergrecht zu machen, auch das ist schon ein schwerer Fehler, weil meine Erfahrung mit Bergrecht ist, das Bergrecht ja noch viel schwächer ist als Umweltrecht. Und natürlich ist ein Atomrecht an diesen Punkten, wäre das Richtige gewesen. Aber dass man das unter einem schwachen Bergrecht gemacht hat, das war von vornherein auch ein struktureller Fehler.

Kolkmann: Nun ist herausgekommen, dass da offensichtlich geschlampt worden ist. Es waren Fehler im Umgang mit dem Atommüll. Bedeutet das damit nicht unbedingt, dass die Asse künftig als mögliches Endlager ganz ausfallen muss?

Höhn: Zunächst muss man ja jetzt auch erst mal sehen, was macht man, wie geht man jetzt damit um? Wird der Atommüll wieder rausgeholt? Wie kann man ihn da überhaupt sichern? Weil er ist ja offensichtlich wirklich aus den Fässern, es ist jetzt nicht irgendwo was anderes, sondern das ist ja jetzt wirklich schwerwiegend, weil, wenn die Fässer zunehmend irgendwo im Grundwasser landen, hat man ja ein Riesenproblem.

Vielleicht wird einigen eins da auch klar: Nachdem wir jetzt gerade in diesem Jahr erfahren haben, dass Morsleben den Steuerzahlern ein paar Milliarden kosten wird zusätzlich, wird das jetzt auch in Asse wieder der Fall sein, das vielleicht auch dazu, wie billig eigentlich Atomkraft ist. Es wird ja immer gesagt, wie billig das ist. Gerade in diesem Jahr erfahren die Steuerzahler, dass sie vier bis fünf Milliarden mehr auf dem Tisch legen müssen, einfach weil die Endlagerfrage nicht richtig geklärt war.

Von daher ist der entscheidende Punkt jetzt, wie sichern wir überhaupt die Probleme in der Asse? Und das ist, glaube ich, das Wichtigste. Wir haben als Grüne einfach gesagt, wir brauchen dringend eine Sondersitzung des Umwelt- und Forschungsausschusses. Renate Künast hat als Fraktionsvorsitzende sogar Strafanzeige gestellt. Das ist wirklich fast ganz Schwerwiegendes, was da passiert ist.

Kolkmann: Vielen Dank, Bärbel Höhn, die Fraktionsvorsitzende der Bündnis-Grünen im Bundestag zum Umgang mit dem Forschungsendlager Asse.