"Man kann nichts mit Grenzpolizei erreichen"

Ehrhart Körting im Gespräch mit Nana Brink · 16.02.2011
Der Aufbau einer europäischen Küstenwache würde am Flüchtlingsproblem im Mittelmeer nichts ändern, glaubt Berlins Innensenator Ehrhart Körting. Schließlich könne man die Menschen nicht ertrinken lassen. Effektiver seien Verträge mit den europäischen Anrainerstaaten.
Nana Brink: In Berlin endet der Europäische Polizeikongress, eine Informationsplattform für Polizisten, Sicherheits- und zivile Behörden, die größte internationale Fachkonferenz für innere Sicherheit in der Europäischen Union. Jedes Jahr ist die Konferenz über zwei Tage ein Treffpunkt für rund 1400 Teilnehmer aus 60 Nationen und diesmal also in Berlin unter dem Titel "Migration, Integration, Sicherheit". Und ein großes Thema ist natürlich die aktuelle Situation auf der kleinen italienischen Insel Lampedusa, die von Tausenden tunesischen Flüchtlingen belagert wird. Am Telefon ist jetzt Ehrhart Körting, SPD-Innensenator von Berlin. Einen schönen guten Morgen, Herr Körting!

Ehrhart Körting: Guten Morgen!

Brink: Muss es angesichts der Verhältnisse in Lampedusa eine verstärkte internationale Polizeikooperation geben?

Körting: Ich glaube, eine internationale Polizeikooperation muss es geben zur Bekämpfung von Kriminalität, das ist europaweit erforderlich, funktioniert auch europaweit halbwegs vernünftig schon. Soweit es Migrationsfragen betrifft, sind das eigentlich nicht Fragen der Sicherheit oder nur sekundär Fragen der Sicherheit. Das, was in Lampedusa passiert oder was über Griechenland an Migrationsströmen nach Europa kommt, ist eher eine soziale Frage und müsste sozial in den Ländern gelöst werden, aus denen die Menschen kommen. Es ist nicht so sehr eine Polizeifrage.

Brink: Trotzdem wird es aber jetzt eine Polizeifrage, ganz konkret natürlich für die italienischen Carabinieri. Es gibt ja die Grenzschutzagentur Frontex, die soll die Grenzen schützen, allerdings hat sie nur 270 Mitarbeiter. Ist das nicht zu wenig?

Körting: Die Frage ist: Wie kann man Grenzen schützen etwa im Mittelmeer? Also Frontex ist mal gegründet worden aus der Idee heraus, dass man eventuell verhindern kann, dass Schiffe nach Europa kommen mit Flüchtlingen. Das hat sich sehr schnell als Illusion herausgestellt, weil im Ergebnis kann Frontex ja die Menschen nicht im Meer lassen, wenn sie nicht zurückkönnen in das Land, aus dem sie kommen. Das bedeutet also, sie kommen illegal aus Libyen, aus Tunesien oder aus anderen Ländern, und Frontex kann sie nicht zurückschicken, sondern muss sie aufnehmen. Insofern ist das nicht eine Frage, wie viel Polizei, wie viele Schiffe oder wie viele Helikopter sie haben: Wir können die Menschen nicht ertrinken lassen im Mittelmeer, und das ist glaube ich auch mit unserem Verständnis nicht vereinbar.

Was Frontex wieder machen muss und ja auch schon angefangen hat zu machen, ist, Verträge mit den Anrainern des Mittelmeeres zu schließen, mit Libyen, mit Tunesien, mit Marokko, um zu ermöglichen, dass diese ihre Leute wieder zurücknehmen. Aber da liegt eben das Problem: Es sind eben nicht in erster Linie Libyer oder Tunesier oder Marokkaner, jetzt vielleicht mehr Tunesier, aber es sind in erster Linie Menschen aus Afrika und Mittelafrika gewesen, und dazu waren bisher die Länder nicht bereit, diese zurückzunehmen. Sie waren eine Zeit lang bereit, über finanzielle Leistungen die Menschen in ihren Ländern festzuhalten und zu versuchen, sie dann zu bewegen, wieder zurückzugehen, aber das ist der eigentliche Weg, mit dem man was erreichen kann. Man kann nichts mit Grenzpolizei erreichen, das ist Illusion.

Brink: Ja, aber es ist sicherlich richtig, dass wir uns darüber einig sind, dass diese Probleme politisch in den Ländern gelöst werden müssen, trotzdem hat ja die Polizeigewerkschaft auch in Berlin gefordert: Es muss eine EU-Küstenwache geben. Was halten Sie davon?

Körting: Ach, wissen Sie, was soll die EU-Küstenwache eigentlich in Italien machen? Soll sie die Menschen, die dort mit einem Boot, was Leck geschlagen ist, anlanden wollen, in einer Entfernung von zwei Seemeilen zur Küste lassen, wohl wissend, dass sie dann ertrinken werden? Das ist mit humanitären Gesichtspunkten überhaupt nicht zu vereinbaren, ist auch nicht zu regeln. Wir müssen erreichen, dass die Leute in Libyen oder anderswo mit dem Boot nicht losfahren und nicht, dass sie auf dem Meer treiben und dann von uns zurückgeschickt werden ins Meer.

Brink: Da würde ich gerne mal einhaken, nämlich von wegen, dass sie gar nicht erst wegfahren: Es gab ja die Idee, Carabinieri nach Tunesien zu schicken, um die Flüchtlinge davon abzuhalten, eben diesen Weg nach Europa zu suchen. Das haben die Tunesier allerdings abgelehnt.

Körting: Nein, wir müssen mit Tunesien und anderen Ländern Regelungen treffen, dass deren Küsten von denen vernünftig bewacht werden, dass keine illegalen Schiffe mit illegalen Auswanderern das Land verlassen. Das ist der eigentliche Weg. Zu glauben, ich kann in Europa die Grenzen dichtmachen, indem ich an der Küstenwache Kanonen aufstelle, halte ich für albern und halte ich auch aus der Sicht der Polizei für schlichtweg nicht machbar.

Brink: Genau das hat aber die italienische Regierung gefordert.

Körting: Ja, das sind so hilflose Argumente, mit denen man glaubt, den Problemen begegnen zu können. Sie sehen es ja an der grünen Grenze in Griechenland oder anderswo. Wir werden jetzt ein neues Problem kriegen mit Bulgarien, wenn der Schengenraum erweitert wird auf Bulgarien. Da muss man eben gucken, wie man mit den Anrainern – in Bulgarien oder Griechenland ist es die Türkei – zu Regelungen kommt, dass die grüne Grenze nicht von deren Seite überschritten wird.

Brink: Nun sind Sie auch SPD-Innensenator von Berlin. Der Innenminister Thomas de Maizière hat schon angekündigt: Deutschland wird sich raushalten. Ist das richtig, oder müssen wir auch Flüchtlinge aufnehmen? Würde Berlin das tun?

Körting: Also, fangen wir erst mal mit der Grundregel an: Ich glaube, Deutschland hat eine Menge Flüchtlinge in der Vergangenheit aufgenommen. Wir haben wesentlich mehr aufgenommen als viele andere Länder, allein Berlin hat rund 30.000 Leute seinerzeit im Bosnienkonflikt aufgenommen, hat Flüchtlingen eine Heimat gegeben, und ganz viele sind auch in Berlin geblieben. Insofern ist die Haltung der Bundesregierung – jetzt sind vielleicht auch erst mal die anderen Ländern dran in Europa – verständlich. Schauen Sie sich insbesondere die vielen neuen europäischen Länder an, was die an Flüchtlingen haben beziehungsweise nicht haben.

Allerdings wird ein Druck kommen aus Europa, da bin ich ganz sicher, ich war selber mal in diesem Innenrat Europas mit drin, da wird ein Druck kommen aus Europa, dass die Griechen, die Spanier, die Italiener sagen werden: Ihr könnt uns nicht mit den Problemen allein lassen. Wir werden die Flüchtlinge in Europa verteilen müssen, die können nicht nur Italien, Griechenland und Spanien aufnehmen. Ich bin dafür, das zu machen, dann bin ich aber auch dafür, dass Deutschland sich die Vorleistungen anrechnen lassen kann, die es erbracht hat etwa im Jugoslawienkonflikt, das heißt: Wir sind erst sehr spät dran nach meiner politischen Wertung.

Brink: Ehrhart Körting, SPD-Innensenator von Berlin. Schönen Dank für das Gespräch, Herr Körting!

Körting: Nichts zu danken!
Berlins Innensenator Ehrhart Körting eröffnet in Berlin das Digitalfunknetz für die Behörden (BOS).
Berlins Innensenator Ehrhart Körting© AP Archiv
Mehr zum Thema