"Man kann doch zeigen, dass es Widerstand gegeben hat"

Von Otto Langels · 29.03.2011
Sie blieb nach der Hinrichtung ihres Mannes die treibende Kraft des Kreisauer Kreises, der den Widerstand gegen die Nationalsozialisten formte. Ihr spätes Leben widmete sie aus dem Exil dem Fortkommen der Demokratie in einem Deutschland, dessen erster Versuch kläglich gescheitert war.
"Was eigentlich auch sehr wichtig ist, dass ein Versuch gemacht worden ist, dass es also einen Widerstand gibt, wenn er auch schwach ist, aber man kann doch zeigen, dass es Widerstand gegeben hat."

Freya von Moltke erinnerte im hohen Alter von 96 Jahren an den Kreisauer Kreis, eine Widerstandsgruppe im Dritten Reich, deren Mitglied sie gewesen war.

Geboren am 29. März 1911 in Köln als Bankierstochter Freya Deichmann, lernte sie mit 18 Jahren Helmuth James Graf von Moltke kennen. Das Paar heiratete 1931. Sie schloss ihr Jurastudium ab und übernahm dann, während ihr Mann als Anwalt in Berlin arbeitete, die Leitung des Gutsschlosses der Familie von Moltke im schlesischen Kreisau.

Helmuth von Moltke lehnte das Nazi-Regime entschieden ab und traf sich konspirativ mit anderen NS-Gegnern.

"Seitdem der Nationalsozialismus zur Macht gekommen ist, habe ich mich bemüht, seine Folgen für seine Opfer zu mildern und einer Wandlung den Weg zu bereiten. Dazu hat mich mein Gewissen getrieben."

… schrieb er später an seine Söhne. Moltke wurde zum intellektuellen Kopf einer Gruppe meist junger Menschen mit unterschiedlichen Weltanschauungen.

"Er hat gesagt: Evangelische haben wir schon genug, jetzt müssen wir noch ein paar Katholische haben. Kapitalisten haben wir auch, jetzt müssen wir Sozialisten haben. Und die waren alle vertreten."

Rund 20 Mitglieder und noch einmal so viele Sympathisanten knüpften Kontakte zu anderen oppositionellen Gruppen und entwarfen Gegenmodelle zum Nazi-Regime. An die Stelle der NS-Diktatur sollte ein rechtsstaatliches, europäisch ausgerichtetes Deutschland treten.

"Im Grunde war das Thema: Wie kann man aus den Deutschen Demokraten machen, weil sie ja die erste Demokratie verworfen hatten."

Von Beginn an war Freya von Moltke in die Aktivitäten ihres Mannes eingeweiht und nahm an den Treffen der Gruppe teil.

"Weil das ja eine konspirative Tätigkeit war, konnte man das in Berlin in großem Kreise überhaupt gar nicht vornehmen, aber in Kreisau war man gewöhnt, dass Gäste zum Wochenende kamen."

Anfang 1944 stieß die Gestapo bei ihren Ermittlungen gegen oppositionelle Kreise eher zufällig auf Helmuth von Moltke. Am 19. Januar wurde er festgenommen.

"Es ist natürlich ein furchtbarer Schlag gewesen. Ich habe es übrigens durch Peter York per Telefon erfahren. Und der sagte: 'Helmut ist verreist.'"

Helmuth von Moltke musste lange auf seinen Prozess warten. Erst als nach dem gescheiterten Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 seine Beteiligung an den Staatsstreichplänen bekannt wurde, klagte der Volksgerichtshof ihn wegen Hochverrats an. Am 23. Januar 1945 wurde er hingerichtet.
Seine Ehefrau überlebte das NS-Regime. Sie blieb mit ihren beiden Söhnen bis zum Herbst 1945 in Kreisau und zog dann nach Berlin. Zwei Jahre später ging sie nach Südafrika, dem Geburtsland ihrer Schwiegermutter, wo sie als Sozialarbeiterin tätig war. 1960 schließlich folgte sie dem Sozialphilosophen Eugen Rosenstock-Huessy in die USA und lebte bis zu seinem Tod im Jahr 1973 mit ihm zusammen. Von Amerika aus hielt sie zu einer Zeit, als sich in Deutschland nur wenige für den Widerstand gegen den Nationalsozialismus interessierten, die Erinnerung an den Kreisauer Kreis wach und veröffentlichte Briefe ihres Mannes.

"Darf ich denn in meiner geheizten Wohnung am Tisch sitzen und Tee trinken? Mach' ich mich dadurch nicht mitschuldig? Was sage ich, wenn man mich fragt: 'Was hast du während dieser Zeit getan?'"

… schrieb Helmuth von Moltke während des Krieges an seine Ehefrau. Vor Kurzem erschienen die beeindruckenden Abschiedsbriefe des Paares, geschrieben in den letzten Monaten vor seiner Hinrichtung, sehr persönliche Briefe, die erst nach Freya von Moltkes Tod veröffentlicht werden sollten.
Im Jahr 2004 gründete sie eine Stiftung für das "Neue Kreisau". Das frühere Gutsschloss ist heute eine europäische Begegnungsstätte, in der jährlich Tausende von Jugendlichen zusammenkommen, um über politische Themen zu diskutieren und sich näher kennenzu lernen.

"Es sind hauptsächlich polnische und deutsche junge Leute, aber es kommen doch aus den östlicheren Ländern auch sehr viele."

Zum 100. Geburtstag ihres Mannes im Jahr 2005 erklärte sie, ihre Aufgabe sei jetzt erfüllt. Freya von Moltke starb am 1. Januar 2010 im Alter von 98 Jahren im US-Bundesstaat Vermont.

Wenn der Biograph eins wird mit seinem Protagonisten
Jochen Köhler: "Helmuth James Moltke - Geschichte einer Kindheit und Jugend". Rowohlt Verlag, 2008. 400 Seiten