"Man gewöhnt sich ein bisschen an diese ganz schrecklichen Bilder"

Carola Frentzen im Gespräch mit Nana Brink · 06.04.2011
Carola Frentzen hat ein Jahr in Äthiopien verbracht und ihre Erlebnisse in einem Buch festgehalten. Man müsse sich irgendwann mit den Bildern der Armut abfinden und "einfach die Tränen verdrücken und Taten folgen lassen", sagt die Journalistin.
Nana Brink: Wenn man diese Bilder sucht, wird man sie gerade in Äthiopien finden: die hungernden Kinder, die Dürre, die unbeschreibliche Armut. Unser Afrikabild ist geprägt von diesen Bildern und so real sie sind, sie verstellen auch den Blick auf ein anderes Äthiopien, was man wohl nur erfährt, wenn man sich einlässt und weiß, dass in Äthiopien eigentlich die Wiege der Menschheit liegt. Carola Frentzen, Journalistin, sie hat ein Jahr in Äthiopien gelebt und ein Buch darüber geschrieben, "Abyssinia" heißt es, es ist gerade erschienen, und ich habe sie gefragt, warum sie einen gut bezahlten Job als Korrespondentin aufgegeben hat, um für ein Jahr in einem der ärmsten Länder der Welt zu leben.

Carola Frentzen: Mich treibt schon lange eine Sehnsucht nach fernen Ländern, nach Dingen, die man in Europa nicht kennt, oder die mein Leben ungemein bereichern. Ich habe vor einigen Jahren dann Afrika für mich entdeckt, zunächst Kenia, dann Äthiopien. Ich war damals mit meinem damaligen Freund, der halb Äthiopier ist, in das Land gereist und es hat uns wahnsinnig fasziniert, und dann haben wir beschlossen, gegen diese grenzenlose Armut, die wir dort angetroffen haben, was zu unternehmen, haben eine Hilfsorganisation selber gegründet, und um die weiter und besser aufzubauen, haben wir uns schließlich entschieden, ein Jahr ganz dorthin zu gehen. Ich habe mir dadurch ein Sabbat-Jahr genommen, sicherlich nicht so ganz normal, bin aus Rom weggegangen und dorthin, und ich habe es keinen Tag in meinem Leben bereut.

Brink: Es ist ja interessant, dass es gerade so viele Europäer auch in diese Gegend zieht, nicht erst seit Karlheinz Böhm.

Frentzen: In Äthiopien ist irgendwie was, was Weiße, was uns Europäer so ungemein anzieht. Es ist ein Land voller Widersprüche. Wenn man das Land einmal für sich entdeckt hat, ist es einfach ein wunderschönes Land, in dem man aber auch wahnsinnig viel Hilfe leisten kann, während man aber gleichzeitig über sich selber was herausfindet und sein Leben ungemein genießt, so komisch sich das jetzt anhören mag, dass man das tun kann in einem der ärmsten Länder der Welt.

Brink: Ich möchte ein bisschen was über diese Faszination noch erfahren, weil ich habe ja gesagt, wir haben immer diese Bilder vor Augen, diese Bilder von den hungernden Kindern mit den aufgeblähten Bäuchen. Die haben Sie bestimmt auch gesehen?

Frentzen: Ja, fast jeden Tag, natürlich.

Brink: Und wie geht man dann darüber hinaus?

Frentzen: Ich will nicht sagen, man findet sich damit ab. Ich glaube, mit der Armut, die ich dort gesehen habe, kann man sich nie abfinden. Man gewöhnt sich ein bisschen an diese ganz schrecklichen Bilder und man kann ja nur versuchen, was zu tun. Man kann ja nur versuchen, im Kleinen für sich was zu ändern, wenigen Menschen zu helfen. Und ich glaube, sich auf das Land ganz einzulassen und zu versuchen, es zu verstehen, das ist das, was darüber hinausgeht. Aber man muss sich irgendwann mit diesen Bildern abfinden und einfach die Tränen verdrücken und Taten folgen lassen.

Brink: Sie haben von der Faszination gesprochen, auch als eine, die ja auch durch diese Widersprüchlichkeit geprägt ist. Diese Armut, die Sie gerade beschrieben haben, was wäre dann das Pendant, was Sie dann so fasziniert hat und festgehalten hat?

Frentzen: Was in Europa kaum jemand weiß ist, dass Äthiopien ein wahnsinnig kulturelles Land ist. Gerade im Norden des Landes, in diesem Hochland, sind alte Schlösser, sind alte Kirchen, die in den Fels gehauen sind, unglaublich magische und spirituelle Orte. Ich hatte keine Ahnung davon, dass es so was gibt, Klöster, die mitten in Seen liegen, traumhafte Gegenden. Das ist eben das Äthiopien, was keiner kennt. Ich wurde vorher immer gefragt, gibt es überhaupt Straßen in Äthiopien. Da habe ich gesagt, es gibt eine Ringautobahn in Addis Abeba und es gibt Cocktailbars und es gibt thailändische Restaurants und Italiener. Also es ist dieser Widerspruch, dass zumindest in der Hauptstadt alles zu haben ist mittlerweile. Es ist eine wahnsinnig moderne Metropole geworden. Und dann aber wieder diese biblischen Eselskarren, die ich ja auch im Buch beschreibe, diese ganz andere Lebensweise in den ländlichen Gebieten, die in totalem Widerspruch zu allem steht, was man in der Hauptstadt zum Beispiel erlebt.

Brink: Es ist ja auch christlich geprägt, was uns sehr verwundert ...

Frentzen: Es ist absolut christlich geprägt ...

Brink: ... , oder was wir nicht vermuten eigentlich in dem Teil Afrikas.

Frentzen: Ja. Es war eines der ersten christlichen Länder der Welt, es ist christlich-orthodox. Heute leben dort auch um die 50 Prozent Moslems, aber es ist ein wahnsinnig friedliches Zusammenleben. Es stehen überall Moscheen neben orthodoxen Kirchen, es gibt auch Katholiken, es gibt Protestanten, es gibt alle Religionen in diesem Land, die einfach friedlich miteinander leben. Aber diese orthodoxe Religion, dieses orthodoxe Christentum ist eine Religion, die mich wahnsinnig fasziniert. Ich bin noch nie in ein Land gereist, und ich bin wirklich schon viel gereist, in dem die Menschen so religiös sind wie in Äthiopien.

Brink: Sie haben für Ihr Buch ja auch einen interessanten Titel gewählt, nämlich "Abyssinia". Das reflektiert auch den alten Titel Abyssinien, nämlich des Kaiserreiches.

Frentzen: Genau.

Brink: Wir kennen noch den Namen Haile Selassie, das war der letzte Kaiser.

Frentzen: Genau. Das ist der alte Name für Äthiopien oder für einen Teil Äthiopiens. Es ist aber auch ein Wort, was man in Äthiopien überall findet, in dieser Form, wie ich es auch geschrieben habe im Titel. Reiseagenturen heißen so, Restaurants heißen so, Zeitungen heißen so. Abyssinia ist ein sehr gängiges Wort in Äthiopien heute noch. Und ich habe den Titel auch gewählt, weil sich in dem Wort das Wort Abyss versteckt, das englische Wort für Abgrund, und wie man in dem Buch dann lesen kann, hat sich auch ein Abgrund vor mir aufgetan, denn ich habe auch sehr dunkle Tage durchlebt in Äthiopien. Deshalb fand ich diesen Titel sehr treffend.

Brink: Dunkle Tage, vielleicht auch dunkle Teile in der Geschichte Äthiopiens auch in der Gegenwart, nämlich Sie beschreiben ja recht ausführlich auch die Korruption, an der Sie fast gescheitert wären. Also es gibt nicht nur die schöne Seite, sondern auch eine Seite, an der man verzweifelt.

Frentzen: Oh ja! Also ich bin viel verzweifelt. Man muss so ein Land ja auch realistisch sehen. Da funktioniert ganz vieles nicht und die Bürokratie ist Wahnsinn, aber diese Art von Bürokratie habe ich natürlich auch vorher schon in Italien getroffen, das ist jetzt nicht unbedingt ein äthiopisches Phänomen. Aber es gab wirklich Zeiten, wo die Willkür und die Korruption und die Bürokratie so schwierig waren, dass ich wirklich immer wieder gefragt habe, warum will man uns nicht in diesem Land, warum macht man es uns so schwer, hier zu leben. Aber das passiert nicht jeden Tag, das passiert eben ab und zu und auch damit findet man sich ab, wenn man dort leben möchte.

Brink: Und Sie werden weiterhin dort leben, denn das Land hat Sie nicht losgelassen?

Frentzen: Ich bin noch nicht fertig mit Äthiopien. Nein, das Land hat mich nicht losgelassen und ich werde auf jeden Fall. Ich war die letzten Monate schon wieder dort und ja, ich habe so viele Menschen lieb gewonnen dort und ich habe so viele Projekte dort, dass ich einfach vor Ort sein möchte, um das fortzuführen.

Brink: Die Journalistin Carola Frentzen über ihr Leben in Äthiopien. Schönen Dank für das Gespräch.

Frentzen: Danke schön.
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