"Man darf Griechenland nicht bestrafen"

Evangelos Antonaros im Gespräch mit Gabi Wuttke · 24.07.2012
Die Griechen seien "sehr irritiert" über aktuelle Äußerungen aus Deutschland, sagt Evangelos Antonaros von der Regierungspartei Nea Dimokratia. Das Land wolle seine Hausaufgaben machen und zügig mit den Reformen vorangehen, aber "Geduld ist wichtig im Moment".
Gabi Wuttke: Nein, der Internationale Währungsfonds hat mit Griechenland nicht die Geduld verloren, er werde das Land auch weiterhin unterstützen, hieß es nach einer Schlagzeile, die den deutschen Wirtschaftsminister postwendend veranlasst hatte, sich zu wiederholen. Dann eben ein Austritt aus dem Euro, kein drittes Hilfspaket für Griechenland, wenn die Regierung in Athen die Schulden nicht maßgeblich in Richtung 120 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung drückt. Was aber, wenn die Troika, die heute erneut in Griechenland eintrifft, genau das im September bescheinigt?

Am Telefon ist jetzt Evangelos Antonaros. Für die Nea Dimokratia saß er bis zur letzten Wahl im Parlament, als ehemaliger Regierungssprecher weiß er, wie griechische Politik funktioniert. Schönen guten Morgen!

Evangelos Antonaros: Guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Wie schätzen Sie die Situation ein? Steht Griechenlands Austritt aus der Eurozone an oder kann Geduld helfen?

Antonaros: Ich glaube, Geduld ist wichtig im Moment. Wir haben volles Verständnis auf der einen Seite für die Schwierigkeiten, die auch unsere Partner, in erster Linie Deutschland, haben im Zusammenhang mit der Situation in Griechenland – ich meine die innenpolitischen Schwierigkeiten, die es gibt, die gibt es bei uns auch – und zwar insofern, dass die Leute hier in Griechenland die Grenzen sozusagen ihrer Belastbarkeit erreicht haben mit den Kürzungen von Renten und Gehältern.

Auf der anderen Seite hat die neue griechische Regierung, die von meiner Partei angeführt wird, von Ministerpräsident Samaras, die hat jetzt schon klare Zeichen geliefert, dass wir zügig mit unseren Reformstrukturen vorangehen wollen, in erster Linie mit den Privatisierungen. Und ich gehe davon aus, dass jetzt bei den Gesprächen, die ab übermorgen mit der Troika, mit den Vertretern der Gläubiger geführt werden, das wird auch, das werden die Gläubiger auch feststellen. Und das wird auch mit Sicherheit in ihrem Bericht festgehalten.

Wuttke: Das heißt aber, was Sie gerade sagten, die Kritik auch des deutschen Finanzministers, der sagte, ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone sei keine Katastrophe, das halten Sie nicht für eine Drohung in Richtung Griechenlands, sondern um eine innenpolitische Beschwichtigung der Wähler im kommenden September, im Jahr 2013, wenn hier in Deutschland Wahlen anstehen.

Antonaros: Das ist natürlich meine Interpretation. Es muss nicht so sein.

Wuttke: Die ist ja auch gefragt.

Antonaros: Ja, das ist meine Interpretation, und wir sind in Griechenland – das bin ich auch – sehr irritiert über die, wie soll ich sagen, über die Vielzahl von teilweise sehr kontroversen Äußerungen, die aus Deutschland und von der Bundesregierung kommen. Auf der anderen Seite wissen wir auch die sehr klare Haltung von Herrn Schäuble zu schätzen, der immer wieder sagt, dass Griechenland natürlich seine Hausaufgaben machen muss, das ist ganz klar, auf der anderen Seite Griechenland in der Eurozone bleiben soll. Und wir stehen zu diesem Kurs.

Wir möchten in der Eurozone bleiben, und deswegen haben wir uns auch dazu verpflichtet, das zu machen, was notwendig ist. Auf der anderen Seite, wie gesagt, neue Gehaltskürzungen oder Rentenkürzungen sind einfach nicht drin. Deswegen sagen wir auch, darüber möchten wir mit unseren Geldgebern reden, um einen Ausweg aus dieser Situation zu finden, die die sehr harten Vorlagen und Maßnahmen für Griechenland geschaffen haben.

Wuttke: Sie haben gesagt, dass der neue Ministerpräsident Ihrer Partei, Herr Samaras, zügig voranschreitet. Schauen wir doch aber mal in die letzten Jahre zurück: Es wäre doch, Herr Antonaros, sehr gut möglich gewesen, ein Gesetz gegen Steuerflucht zu erlassen und auch damit ein Zeichen zu setzen, mehr als ein Zeichen zu setzen, um sich jetzt nicht vorhalten lassen zu müssen, in Griechenland geschehe nicht genug in der vorgegebenen Zeit.

Antonaros: Da haben Sie möglicherweise recht, das möchte ich auch nicht bestreiten, aber mit Gesetzen – Gesetze gibt es schon. Es geht darum, die Gesetze umzusetzen, in der Praxis dafür zu sorgen, dass weniger Steuerhinterziehung, Steuerflucht stattfindet. Und wir sind jetzt, wie gesagt, fest entschlossen, die Dreiparteien-Regierung, die eine sehr bequeme Mehrheit im Parlament hat, mit diesen Maßnahmen voranzugehen. Aber es geht auch darum auf der anderen Seite, Wachstum zu schaffen, denn fast 25 Prozent aller Griechen haben keinen Job mehr. Die Wirtschaft schrumpft in diesem Jahr, im fünften Jahr hintereinander, mit sieben Prozent. Da können Sie sich vorstellen, dass kein Land auf die Dauer eine solche Rezession meistern kann. Deswegen brauchen wir auch Verständnis, und wir brauchen auch die dauerhafte Unterstützung unserer Partner.

Wuttke: Was meinen Sie genau mit "dauerhaft"? Das wird ja jetzt auch immer wieder ins Feld geführt, dass bestimmte Maßnahmen und Auflagen in Griechenland nicht umgesetzt werden konnten, eben weil es innerhalb von kurzer Zeit zwei Parlamentswahlen gegeben hat. Das "dauerhaft", ist das von Ihnen zeitlich einzugrenzen?

Antonaros: Sicherlich ist mit der Abhaltung von zwei Wahlen ein bisschen Zeit verloren gegangen. Aber ich finde – und das ist jetzt keine kleinpolitische Auseinandersetzung –, dass sehr viel Zeit während der sozialistischen Regierungsführung zweieinhalb Jahre lang verloren gegangen ist, weil – das haben Sie auch angedeutet – sehr viele Gesetze wurden verabschiedet …

Wuttke: Herr Samaras hätte auch enger mit Herrn Papandreou kooperieren können, das muss ich jetzt an dieser Stelle natürlich erwähnen.

Antonaros: Wir haben mehr als die Hälfte der Gesetze mitgetragen. Wir haben nur die Gesetze nicht mit unterstützt, die horizontal alle Gehälter und alle Renten um jeweils 10 oder 15 Prozent gekürzt wurden, denn das führt zu nichts. Denn wie gesagt, die Leute haben in der Tasche jetzt überhaupt kein Geld. Und dadurch versinkt die Wirtschaft immer tiefer ins Chaos. Das muss irgendwie aufgegriffen werden. Deswegen sind wir auch der Meinung, dass mit Privatisierungen, mit neuen Wachstumsimpulsen das Land vorankommen soll.

Wuttke: In welcher Zeit?

Antonaros: Innerhalb – Sie meinen, wie schnell wir die Rezession überwinden?

Wuttke: Genau!

Antonaros: Das Land wird die Rezession in zwei bis drei Jahren überwinden können, wenn alles gut geht. Schneller geht das nicht, das schafft kein Land. Und das sehen wir auch am Beispiel von Ländern, die eine viel stärkere Wirtschaft haben wie Spanien oder Italien. Griechenland ist ein mittelgroßes Land für die Eurozone. Aber wie gesagt, man darf Griechenland nicht bestrafen, weil die Europäische Union von Anfang an nicht in der Lage ist, wie soll ich sagen, den Charakter dieser Krise richtig zu erkennen. Mit Sparvorgaben, nur mit Sparvorgaben ist die Krise nicht zu meistern.

Wuttke: Sagt Evangelos Antonaros von der Nea Dimokratia und um drei Minuten vor Acht folgen natürlich gleich die Nachrichten. Ihnen danke ich für die Zeit hier im Deutschlandradio Kultur und alles Gute!

Antonaros: Ich danke Ihnen auch!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Evangelos Antonaros
Evangelos Antonaros© dpa / picture alliance / Karlheinz Schindler
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