Malu Dreyer

Hoffentlich der Befreiungsschlag

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD)
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) © picture alliance / dpa / Fredrik Von Erichsen
Von Anke Petermann · 13.02.2015
Die rot-grüne Regierungskoalition in Rheinland-Pfalz verliert an Rückhalt, die AfD setzt zum Sprung in den Landtag an. Erst kürzlich hat Ministerpräsidentin Malu Dreyer darauf mit einer Kabinettsumbildung reagiert. Reicht das?
Am 5. November 2014 präsentiert Ministerpräsidentin Malu Dreyer ihre teils neue, teils umgruppierte sozialdemokratische Regierungsmannschaft. Aufbruch und Neuorientierung ist die Devise. Die Grünen als stete Kritiker steuergeldfinanzierter Mega-Projekte tangiert die Krise des Koalitionspartners nur mittelbar, sie lassen ihr Personaltableau unverändert, unterstützen aber die Umorganisation aufseiten der SPD.
Malu Dreyer:"Wir haben mit dieser Regierungsumbildung und den Rücktritten jetzt eben die Möglichkeit, nach vorn zu schauen, uns mit der Zukunft zu beschäftigen, und das ist auch meine Aufgabe als Ministerpräsidentin, aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Das habe ich ganz häufig betont, dass wir das machen, aber auch deutlich zu machen: Ich will mich um die Zukunft dieses Landes kümmern."
Die rot-grüne Koalition verliert an Rückhalt
Dreißig Tage nach der Kabinettsumbildung ergibt eine erste repräsentative Meinungsumfrage: Die rot-grüne Koalition in Rheinland-Pfalz profitiert nicht von der Neuaufstellung, sie verliert an Rückhalt. Stärker als die Regierungsparteien zusammen ist die CDU mit 43 Prozent. Und die Alternative für Deutschland, kurz AfD, setzt zum Sprung in den Mainzer Landtag an.
Fast hundert Tage nach der Kabinettsumbildung ist bei einer nicht repräsentativen Zufallsumfrage auf dem Mainzer Domplatz allerdings kein Fundamentalkritiker aufzutreiben. Es dominieren freundliche Stimmen zu Rot-Grün in neuer Besetzung.
"Ich bin also zufrieden mit denen. Also es gibt zwar kleine Fehler am Anfang, aber ich geh' mal davon aus, dass sich das alles noch 'n bisschen ausmerzen wird. Zum Glück ist die ganze Sache mit dem Nürburgring so langsam ad acta gelegt, sodass die Konkurrenz so langsam nix mehr – die finden nix mehr, wolle mer mal so sache."
"Meiner Meinung nach schlagen sie sich ganz gut, beziehungsweise die Ministerpräsidentin macht einen souveränen Eindruck, trotz der drei, vier Probleme, die es in Rheinland-Pfalz gibt.
Selbst der Bund der Steuerzahler erkennt Fortschritte
"Und worin sehen Sie die drei, vier Probleme?"
"Ja, Nürburgring, Flugplatz Hahn und Zweibrücken."
Der Nürburgring samt überdimensioniertem Freizeitpark und der Flughafen Zweibrücken bekamen unerlaubte Beihilfen vom Land, gingen Pleite und sollen nun von neuen Privatinvestoren fit gemacht werden. Für zwei der drei Probleme trägt das Land nicht länger die Verantwortung. Selbst der stets kritische Bund der Steuerzahler sieht darin einen Fortschritt. Geschäftsführer René Quante:
"Das Entscheidende ist ja, dass diese ganzen politischen Prestigeprojekte erstmal nicht in der Hand des Staates sind, nicht mehr vom Staat betrieben werden, und was ganz wichtig ist, dass die Defizitabdeckung nicht mehr vom Steuerzahler erfolgt. Man kann sich natürlich darüber streiten, ob der Nürburgring in der Hand eines russischen Oligarchen gut aufgehoben ist. Doch das Entscheidende für uns ist, dass der Steuerzahler nicht mehr für die Verluste des Nürburgrings aufkommen muss, und das ist natürlich ein großer Erfolg."
Ob es dem Pharmaunternehmer und Investor Viktor Charitonin mit seiner Holding gelingt, die Formel 1 im Sommer an den Nürburgring zu holen – noch ungewiss. Der Freizeitpark ist längst abgebaut, die Mega-Achterbahn ging nie in den regulären Betrieb. Der Airport Zweibrücken endet, wenn es gut läuft, als Autoteststrecke. Insgesamt: viel Steuergeld für wenig Effekt. Das gibt Malu Dreyer mit Blick auf den Nürburgring unumwunden zu:
Beim Flughafen Hahn bleibt das Land in der Pflicht
"Dass der Schaden beim Steuerzahler bei einer halben Milliarde – irgendwo zwischen 400 und 500 Millionen Euro – sein wird, das ist das, was wir in der Vergangenheit einfach falsch gemacht haben, das muss eben jetzt auch getragen werden."
Längst hat Dreyer versprochen umzusteuern, das Land Rheinland-Pfalz soll sich nicht länger als Großinvestor aufspielen. Doch beim dritten Projekt, den früheren US-Militär-Flughafen Hahn im Hunsrück, bleibt das Land als Mehrheitseigener und Geldgeber noch in der Pflicht. Das ist auch gut so, meint der SPD-Europaabgeordnete Norbert Neuser.
"Die Zahlen sind eindeutig. Wir hatten etwa 1000 Arbeitsplätze dort, haben um den Flughafen Hahn mit allen Auswirkungen etwa 9000 Arbeitsplätze. Glauben Sie mir, ich komm' aus der Region, wir wären ohne diese gute Arbeit im Bereich der Konversionspolitik ganz anders aufgestellt, nämlich ganz schlecht."
Der Regionalflughafen schreibt aber weiterhin Miese, mit 120 Millionen Euro musste das Land zuletzt einspringen. Den Verlustausgleich durchs Land hat die EU-Kommission zum Auslaufmodell erklärt. Bis 2024 hat der Hahn ohne Subventionen auszukommen, sonst muss der Airport mit seinem spärlichen Frachtaufkommen, den rückläufigen Passagierzahlen und vier Dutzend Ryanair geschlossen werden. Die Ministerpräsidentin gibt sich optimistisch:
"Was die Zukunft betrifft, arbeiten wir stark daran, einen Investor zu finden. Die Vergangenheit ist aber abgeschlossen, insofern hat die Kommission uns auch zugebilligt, dass das Geld, das investiert worden ist am Hahn und wodurch viele, viele Arbeitsplätze entstanden sind, rechtmäßig investiert ist. Eine Herausforderung bleibt die Zukunft des Hahns trotzdem, aber wir arbeiten akribisch daran."
"Sachlich kompetent und meiner Meinung nach ehrlich"
Doch Kaufinteressenten für einen defizitären Regionalflughafen sind nicht in Sicht. Kurze Nachfrage noch an den Mainzer Passanten mit Blick auf Malu Dreyer:
"Wie geht sie mit den drei, vier Problemen um? Zufriedenstellend?"
"Sachlich kompetent und meiner Meinung nach ehrlich."
Ein Sozialdemokrat aber geht mit der Politik seiner Genossen hart ins Gericht. Heinz Rethage war früher Manager des mehrheitlich landeseigenen Flughafens Hahn, kommt aus dem Ruhrgebiet und ist kein Mann von Bescheidenheit. So etwas wie die rheinland-pfälzische Ausgabe von Wolfgang Clement. In seiner Kritik hat sich Rethage mit der APO, der außerparlamentarischen Opposition, verbündet. Die trägt in Rheinland-Pfalz dunkle Anzüge und Kostüm. Sie heißt FDP und lud unlängst ins Hinterzimmer des Mainzer "Club Negro" ein. Bei Schnittchen und Cappuccino gaben Rethage und FDP-Landeschef Volker Wissing der rot-grünen Landesregierung Saures.
"Diese Regierungsumbildung ist ein kosmetischer Vorgang"
"Es sind auch nicht nur die beiden Flughäfen und der Nürburgring. Es gibt ja auch deutliche Kritik des Landesrechnungshofs über einige Projekte der Landesbetriebe und der Verwaltungen. Und da erkenn ich einfach eine durchgehende Denke, die darauf hinausläuft, dass Projekte, die hier laufen, in den Gesellschaften oder der Verwaltungen, werden einfach politisch durchdacht, wo sie wirtschaftlich durchdacht werden müssen. Das zieht sich wie ein roter Faden durch die Landesregierung, und das muss einfach geändert werden."
"Na ja, die Infrastrukturprojekte in Rheinland-Pfalz, wie Hahn, Nürburgring, Schlosshotel, Flughafen Zweibrücken laufen alle nach dem Dreisatz ab: politisch organisiert, subventioniert und ruiniert. Und diesen Dreisatz zu durchbrechen, ist Aufgabe einer besseren Landespolitik. Leider regiert in Rheinland-Pfalz der weniger vernünftige Teil der Sozialdemokratie gemeinsam mit den Grünen, und ich sehe überhaupt keine Trendwende in der Wirtschaftspolitik in diesem Bundesland. Es gibt keine inhaltliche Neuausrichtung. Und deswegen ist diese Regierungsumbildung ein kosmetischer Vorgang. Die Bildungsministerin zur Finanzministerin zu machen, verbessert die Wirtschaftspolitik noch nicht."
Angestachelt zu haben scheint die Kabinettsumbildung die Angriffslust der CDU-Opposition. Die fährt gleich ein ganz großes Geschütz auf und beantragt, dass der Verfassungsgerichtshof in Koblenz den Doppelhaushalt 2014/15 überprüft. Er setzt die hohe jährliche Neuverschuldung mittels Etikettenschwindels fort, argwöhnt Oppositionsführerin Julia Klöckner. Sie ist die erste weibliche Fraktionschefin der rheinland-pfälzischen CDU. 2011 verlor sie die Landtagswahl gegen Kurt Beck. Aber nur – das jedenfalls ist Klöckners Meinung – weil dessen SPD-Alleinregierung die Wähler über das Finanzdesaster am Nürburgring täuschte und die ganze Wahrheit erst nach dem rot-grünen Wahlsieg ans Licht kam. Als CDU-Spitzenkandidatin in spe will die 42-Jährige 2016 einen neuen Anlauf nehmen und die zwölf Jahre ältere Malu Dreyer aus dem Amt jagen. Bis dahin soll das Verfassungsgericht ans Licht der Öffentlichkeit zerren, was Klöckner als verfassungswidrige Schattenhaushalte betrachtet. Darunter der Pensionsfonds, der ja eigentlich Spardose sein sollte
"Für die Ansprüche von Landesbediensteten, wenn sie mal in den Ruhestand gehen. Dieses Sparschwein ist aber unten offen. Das heißt, das Geld, das die Landesregierung zum Füllen des Fonds nutzt, das muss sie erstmal aufnehmen am Kreditmarkt – das heißt Schulden hinterlassen. Jetzt gibt sie dieses Geld für eine logische Sekunde in diesen Pensionsfonds und holt es sofort wieder raus. Das heißt, am Kreditmarkt sind Schulden, aber es ist auch ein Schuldschein in diesem sogenannten Pensionsfonds. Und das Geld, das die Landesregierung sich besorgt hat, nutzt sie für andere konsumtive Ausgaben. Und sie nutzt diesen Pensionsfonds, sie missbraucht ihn, um an der Haushaltsklarheit und Wahrheit vorbei für ihre Wahlgeschenke Kredite aufnehmen zu können."
Ein Verstoß gegen die Schuldenbremse, schimpft Klöckner.
"Der Auftakt des neuen Jahres könnte für die Landesregierung besser ausfallen",
...ätzt René Quante vom Bund der Steuerzahler. Er begrüßt die Verfassungsklage der CDU-Opposition:
"Wünsche geweckt, die die Bürger gar nicht hatten"
"Denn wir kritisieren den Pensionsfonds schon seit Jahren als Fehlkonstruktion. Denn der Pensionsfonds ist geeignet, die bestehende und die neue Schuldenbremse faktisch auszuhebeln. Und das kann nicht sein. Wir brauchen einen reformierten Pensionsfonds, damit die Haushaltskonsolidierung in Zukunft gelingen kann. Wir hoffen natürlich, dass der Pensionsfonds künftig nur noch von Haushaltsüberschüssen finanziert wird. Die haben wir jetzt nicht, nach 2020 hoffentlich. Aber es bedeutet natürlich, dass die Landesregierung diese ausgefallenen Schulden refinanzieren müsste, durch Sparmaßnahmen beispielsweise."
Sparen – im Jahr vor der Landtagswahl? Das hieße ja, dass die Landesregierung ihre Wünsche den Realitäten anpassen müsste, höhnt CDU-Fraktionschefin Julia Klöckner.
"Und da Rot-Grün das nicht will, da Rot-Grün eine Energieagentur gegründet hat mit sieben Millionen Euro, da Rot-Grün einen Nationalpark unbedingt machen will, da Rot-Grün eine neue Friedensakademie gegründet hat, die Geld in jedem Jahr verschlingt, geht es uns nicht darum, ob die Ideen geeignet sind, sondern ob das Geld überhaupt für die Wünsche da ist, die die Regierung bei den Bürgern weckt – Wünsche, die die Bürger gar nicht hatten."
Als parlamentarische Staatsekretärin im Bundeslandwirtschaftsministerium konnte Klöckner auf bundespolitischer Ebene Sachpolitik machen. Als Oppositionsführerin ist sie im beginnenden Vorwahlkampf nun für die Attacke zuständig. Verbissen will die Winzertochter und frühere Weinkönigin dabei nicht rüberkommen. Stets lebhaft, mit farbigen figurbetonten Kleidern und Hosenanzügen wirkt sie raumfüllend, selbst wenn sie vor rund einem Jahr etwa 17 Kilo abspeckte. Die Sozialdemokraten wittern in Klöckners energischer Frische offensichtlich Gefahr. SPD-Landeschef Roger Lewentz kippt jedenfalls beißenden Spott über Klöckner aus, nennt sie "Frontfräulein" der CDU oder "Shitstorm auf Pumps". Und die Wähler?
"Die Oppositionspartei hat halt die Aufgabe, die Schwachstellen einer Regierung darzulegen. Das macht sie PR-mäßig relativ gut, denk ich mir, und sie hat auch die nötige Medienkompetenz dafür, ja."
"Also, ich find Frau Klöckner eher 'n bisschen provinzieller, sag ich mal."
"Klöckner muss ja immer meckern, um sich zu profilieren. Und ob das richtig ist, das wird ja erst die Zeit zeigen."
Malu Dreyer als Person anzugreifen, gilt als unpopulär
Dass Klöckners Kritik teilweise als Meckern rüberkommt, vielleicht liegt das auch an der Unangreifbarkeit der Amtsinhaberin Malu Dreyer. An ihr schätzen Bürger:
"Dass sie einen Stil hat, der unaufgeregt ist, berechenbar. Und sie hat ne angenehme Art. Vielleicht auch durch ihre Krankheit bedingt, dass sie manches anders sieht, ja."
2006 machte Malu Dreyer öffentlich, dass sie an Multipler Sklerose leidet, einer Nervenkrankheit, die sie beim Gehen beeinträchtigt. Stock und Rollstuhl stehen in Reichweite ihres Arbeitsplatzes, aber bei Terminen hakt sich die Ministerpräsidentin in der Regel bei einem Mitarbeiter unter, ansonsten bekommt die Öffentlichkeit wenig mit von ihrem Leiden. Mit welcher Disziplin die 54-Jährige das dichte Arbeits- und Terminpensum durchzieht, weckt bei vielen Respekt, bei manchen Bewunderung. Malu Dreyer als Person anzugreifen, gilt als unpopulär. Das macht es schwer für Julia Klöckner, sich gegen ihre Kontrahentin zu profilieren. In Direktwahlumfragen schneidet die Amtsinhaberin stets besser ab. In Zufallsumfragen auch. Auch wenn nicht alle damit einverstanden sind, dass sie sich bei der Neubesetzung an keine Männerquote hielt.
"Malu Dreyer finde ich sehr gut als Person, als Mensch. Ich hoffe, sie kommt mit ihrem Kabinett klar, wo nur Frauen sind, das finde ich nicht gut. Oder fast nur Frauen sind, das finde ich nicht gut. Ich wünsch' der Malu Dreyer aber, weil ich sie sehr schätze, alles Gute."
"Sie geht uff die Mensche druff zu, wolle mer mal so sache, ja."
"Bislang finde ich sie ganz sympathisch in der Rolle."
"Um das einfach abzuschließen: Von der Kabinettsumbildung, ja hat sie meiner Meinung nach Mut bewiesen, hat sie relativ forsch, schnell und gut über die Bühne gebracht."
Ihre harte Seite zu zeigen, hat ihr offensichtlich nicht geschadet
Dass die stets gewinnend lächelnde Regierungschefin bei der Kabinettsumbildung ihre harte Seite zeigte, hat ihr offensichtlich nicht geschadet. Gleich sechs Parteifreunde und -freundinnen hat Dreyer entlassen oder zwischen Kabinett und Fraktion verschoben. Den heiklen Posten an der Spitze des Finanzressorts vergibt sie an eine Vertraute: Doris Ahnen, langjährige Kultusministerin mit einem Hang zu Zahlen. Deren frühere Staatsekretärin Vera Reiß wird Kultusministerin. Die langjährige Bundestagsabgeordnete und frühere Drogenbeauftragte der Bundesregierung Sabine Bätzing-Lichtenthäler beruft Dreyer zur Sozialministerin, verjüngt mit der soeben 40-Jährigen das Kabinett. Kontinuität trotz Zäsur, das ist das Kunststück der Regierungschefin. Dennoch: Die gründlichste Kabinettsumbildung, die das ruhige Rheinland-Pfalz je erlebt, ein politisches Erdbeben. Malu kann auch anders, staunen die Genossen. Manche scheinen vorübergehend in Schockstarre zu fallen.
Doch auf dem SPD-Landesparteitag nach dem Polit-Beben feiern die Delegierten ihre Spitzenkandidatin in spe mit endlosen Ovationen fürs entschlossene Durchgreifen.
"Die Stimmung kann ich nach einem ersten Erstaunen jetzt so festhalten: Es ist eine richtige Aufbruchsstimmung entstanden."
"Die Stimmung ist gut, kann man sagen. Die Umbildung war vielleicht notwendig, man kann sich über den Zeitpunkt streiten, aber die Partei erfährt volle Unterstützung von den Delegierten."
"Dass nicht alles richtig gelaufen ist, gar keine Frage. Das gehört aber auch dazu, wenn man Verantwortung trägt, dass man das auch eingesteht. Und das hat die Regierungschefin getan, und jetzt guckt sie nach vorne mit neuem Personal, deshalb bin ich optimistisch."
Auch das Murren des Koalitionspartners ist weitgehend verstummt. Die grünen Kabinettsmitglieder und die Fraktionsspitze hatten sich trotz der scharfen Kritik des Landesrechnungshofs an den teuren sozialdemokratischen Prestigeprojekten Ende vergangenen Jahres ja noch in Zurückhaltung geübt. Aber genau das hatte Unmut an der grünen Basis provoziert. "Mehr Mut zu mehr Grün", hieß ein Aufruf, den rund sechzig Aufmüpfige unterzeichneten. Ihrem Spitzenpersonal warfen sie vor, sich vom großen Koalitionspartner unterbuttern zu lassen. Rheinland-Pfalz werde schlecht regiert, hielt Bernd Schumacher, grüner Fraktionschef im Kreistag Südwestpfalz, den eigenen Leuten vor:
"Auch wir Grüne haben einen Anteil daran, dass die Bilanz, die Performance dieser Regierung schlecht ist. Also das schlecht regierte Bundesland Rheinland-Pfalz, und daran haben wir Grüne einen Anteil, weil wir's nicht geschafft haben, Dinge durchzusetzen."
"Schwarz-grüne Koalitionen funktionieren besser als rot-grüne"
Die guten grünen Ministerinnen für Umwelt und für Integration Höfken und Alt würden von der SPD kurzgehalten, schimpften die Aufrührerischen. Auch die Kabinettsumbildung besänftigte sie vorerst nicht. Denn mit Roger Lewentz behält als einziger sozialdemokratischer Minister ausgerechnet der sein Amt, der ihrer Ansicht nach weiterhin möglichst viel Beton in besonders schöne Landschaften gießen will. Den Hochmoselübergang wolle Verkehrsminister und SPD-Landeschef Lewentz entgegen aller Zweifel an der Standfestigkeit in rutschende Hänge klotzen. Und die neue Brücke durchs UNESCO-Welterbe Mittelrheintal sei für die nächste Legislaturperiode schon beschlossene Sache, argwöhnte Karl-Wilhelm Koch. Beim Aufstand Ende 2014 wetterte der Sprecher der grünen Landesarbeitsgemeinschaft Verkehr vehement dagegen, sich weiter an eine taumelnde SPD zu ketten. Und brachte Schwarz-Grün ins Gespräch.
"Wir haben hier 'ne CDU in Rheinland-Pfalz, die an die Regierung will, und ich unterstelle mal, wenn wir geschickt verhandeln, dann lassen sich mindestens so viele grüne Positionen umsetzten in einem Koalitionsvertrag mit der CDU, wie wir das mit der SPD erreicht haben. Ich als Grün-Linker könnte damit leben, wenn der Koalitionsvertrag stimmt. Die Rückmeldung, die ich immer wieder bekomme, ist die, dass schwarz-grüne Koalitionen besser funktionieren und besser eingehalten werden als rot-grüne. In der Summe ist die CDU da offensichtlich verlässlicher",
...vernahm Koch aus dem Nachbarland Hessen und aus schwarzgrünen Kommunen. Doch inzwischen ist es still um ihn und seinen Rebellen geworden. Derzeit will sich der grüne Verkehrsexperte nicht aus dem Fenster lehnen. An seinen Einschätzungen aber habe sich nichts geändert. Hinter den Kulissen werde weiter am Projekt "Mehr Mut zu mehr Grün" gearbeitet, man lasse demnächst von sich hören. Fraktionschef Daniel Köbler hängt die Rebellion niedrig. Dass er Rot-Grün über 2016 hinaus weiterführen will, daran lässt er keinen Zweifel, aber:
"Es gibt da keine feste Bindung an irgendwen. Nur wenn man erfolgreich zusammenarbeitet – wir haben ja der SPD auch ein Stück weit geholfen, sich zukunftsfähiger aufzustellen, wir sind stabil, wir haben guten Zuspruch, und deshalb wollen wir da weitermachen. Wir sind fest davon überzeugt, dass wir ein gutes Wahlergebnis 2016 erreichen können, und damit dann auch möglichst viele grüne Inhalte umsetzen."
Endgültig aus dem Schatten des Übervaters gelöst
Rückhalt für den Kurs auf Rot-Grün bekommt Köbler auf der gemeinsamen Klausur von Fraktion und Landesvorstand in Bingen. Beim Blick aus dem Fenster des Tagungshotels fällt der Blick auf die andere Rheinseite. Nach Hessen, wo Volker Bouffier und Tarek Al-Wazir dieser Tage anlässlich des einjährigen Jubiläums ihres schwarz-grünen Bündnisses Lobeshymnen auf sich und die vielversprechende neue Konstellation singen. Doch die rheinland-pfälzischen Grünen wollen nicht einstimmen, auch nicht Christa Egbert vom Vorstand des Ortsverbandes Bingen/Rhein-Nahe. Obwohl sie Schwarz-Grün in der eignen Stadt mitträgt.
"Nein mir persönlich, aktuell – wie sich die CDU darstellt im Mainzerischen Zusammenhang, in der Außenwirkung, wäre das für mich keine Alternative."
Ob die Kabinettsumbildung zum Befreiungsschlag wird, bleibt wohl bis zu den Wahlen im Frühjahr 2016 offen. Fest steht: Mit dem harten Eingriff ins Personaltableau von Kurt Beck hat sich seine Nachfolgerin im Amt des Ministerpräsidenten endgültig aus dem Schatten des sozialdemokratischen Übervaters gelöst. Aus Sicht ihrer Parteifreunde und Anhänger hat die Ministerpräsidentin mit dieser Zäsur ihr Profil geschärft und ihre Partei für den beginnenden Wahlkampf mobilisiert. Unterschätzen wird die freundliche Genossin so schnell keiner mehr – weder in der Opposition noch in den eigenen Reihen. Rheinland-Pfalz hat verstanden: Wenn es drauf ankommt, gibt Malu Dreyer die eiserne Lady. Sie kann die Zähne zeigen. Nicht nur beim Lächeln.
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