Maler und Fotograf Gert Berliner

Erinnerungen ans Berlin von einst

Der Maler und Fotograf Gert Berliner wurde 1924 in Berlin geboren. 1939 floh er aus Deutschland und ließ sich einige Jahre später in New York nieder.
Der Maler und Fotograf Gert Berliner wurde 1924 in Berlin geboren. 1939 floh er aus Deutschland und ließ sich einige Jahre später in New York nieder. © Galerie argus fotokunst
Von Michaele Gericke · 14.04.2016
Seine Geburtsstadt Berlin hat Gert Berliner lange gemieden. Wegen seines jüdischen Glaubens hatte er Deutschland 1939 verlassen und begann später in New York als Fotograf und Maler zu arbeiten. Nun zeigt eine Berliner Ausstellung Werke des 92-Jährigen.
"All the lonely people" heißt eine Serie, die Gert Berliner im New York der 1960er-Jahre aufgenommen hat. Menschen eilen mit großen Schritten, flanieren oder schlendern: Hände halten Tüten und Taschen fest, einen Regenschirm, ein Eis oder eine Hundeleine. Jemand sieht sich beim Gehen verstohlen um, ein anderer blickt direkt in die Kamera des Beobachters.
Allein gemeinsam ist, dass sie immer allein sind: vor einer bekritzelten Backstein-Mauer, vor herunter gelassenen Jalousien. Allein in der Millionenstadt, in die es Gert Berliner mit Anfang 20 verschlug. Eigentlich hatte er – der Staatenlose – als angehender Künstler nach Paris gehen wollen:
"Ich habe Schweden 1947 verlassen; Schweden ist ja ein schönes Land, aber in jener Zeit war es für mich zu provinziell; der einzige Ort, wo ich hin konnte, das war Amerika. Ich bin gleich nach Greenwich Village gegangen, wo all die Künstler lebten. Ich hatte ein sehr schlichtes Appartement, es gab nur kaltes Wasser, 18 Dollar Miete kostete es im Monat. Das Leben war einfach und als junger Mensch ohne den Ehrgeiz reich zu werden, konnte man wunderbar dort leben; ich hab getan, was ich tun wollte; es war eine gute Zeit."

Lange Zeit hat Berliner Deutschland gemieden

Gert Berliner legt seinen Stock auf die Chaiselongue im Hotel. Das weiße gewellte Haar lässt einen einst dunklen Lockenschopf noch erahnen. Dass der Fotograf und Maler nur noch schlecht sehen kann, ist ihm kaum anzumerken. Deutsch spricht er schon lange nicht mehr. Der in Berlin geborene Künstler wollte eigentlich nichts mehr mit Deutschland zu tun haben. Anfang der 1980er-Jahre ließ er sich dann doch überreden, seine Geburtsstadt wieder zu besuchen. Dabei gab und gibt es bis heute all jene schmerzlichen Erinnerungen an die Kindheit:
"Mein Vater war Pharmazeut und ihm gehörten bis 1933 ein oder zwei Apotheken. Danach hat er nur noch in einer Apotheke gearbeitet. Eines Tages kamen zwei SS Männer mit einem Topf Farbe und einem Pinsel und befahlen ihm, hinauszugehen und draußen JUDE zu schreiben. Er hat das getan. Als er mir diese Geschichte erzählt hat, sagte ich nur: wie konntest Du nur!
Ich war als Kind ziemlich rebellisch, eigentlich aber auch töricht: wenn die SA marschierte und alle den Arm ausstreckten, hab ich es nicht getan; und wenn einer kam und fragte, warum hebst du nicht deinen Arm, dann hab ich gesagt: weil ich ein Jude bin. da war ich 13, 14 Jahre alt."
Mit 15 kam Gert Berliner durch einen engagierten Lehrer mit einem Kindertransport nach Schweden.
"Ich erinnere mich an den Bahnhof, an den Abschied. Dass meine Mutter mich gehen ließ, war eine Heldentat. Sie wusste, dass sie mich niemals wieder sehen würde; das sind Dinge, die man nie vergisst, sie sind immer da."

Berliners Eltern wurden 1943 in Auschwitz ermordet

"SILENT PLACES – A PILGRIMAGE" heißt eine seiner Fotoserien: Stille Orte – eine Pilgerreise. Es sind Bilder von Vernichtungslagern in Europa, verbunden mit Texten über den Holocaust. Gert Berliner hat diese Reise für seine Eltern gemacht, die 1943 in Auschwitz ermordet wurden. Für die Ausstellung in der Berliner Galerie argus Fotokunst hat er aber andere Fotos ausgesucht. Sein Zeitgenosse und Kollege ist da beispielsweise zu sehen: Robert Frank, in einer fast gebieterischen Geste.
"Eines Tages rief er an und sagte: ich hab einen Job für das Herald Tribune Sunday Magazine, ich möchte es aber nicht machen, willst Du? Ich sagte: na klar. Ich habe also James T. Farrell fotografiert, einen bekannten Schriftsteller der 50er Jahre. Mein Foto wurde veröffentlicht, unter dem Namen von Robert Frank; mir war das egal: aber der Redakteur wusste, dass es mein Foto war. Und von da an hat er mir viele Aufträge verschafft. Aber das war Fotojournalismus, doch nebenbei hab ich meine eigenen Sachen gemacht."
Für einige Filme von Robert Frank stand Gert Berliner an der Kamera: Aber seine Liebe galt der freien Kunst: der abstrakten Malerei und der künstlerischen Fotografie. Er mochte es, in seinen Fotografien kleine, subtile Geschichten zu erzählen, vom Leben in New York, beispielsweise.

"Donald Trump erinnert mich an Deutschland 1933"

Aber wirklich zu Hause fühlt sich Gert Berliner nirgendwo. Er hat viel von der Welt gesehen, lebte eine Zeit lang in New Mexiko und in Italien, das er als "Liebesaffäre" bezeichnet. Doch New York wurde wieder sein Lebensmittelpunkt. Arbeiten kann er schon lange nicht mehr. Jetzt wünscht er sich vor allem:
"Frieden und Ruhe; aber wie kann man Frieden haben mit Mr. Trump um uns herum; ist ein Witz, oder? Nein, leider nicht, es ist sehr ernst; es erinnert mich sehr an Deutschland im Jahr 1933; es gibt viele Ähnlichkeiten."

Die Fotografien von Gert Berliner sind ab dem 16. April bis zum 28. Mai 2016 in der Berliner Galerie argus zu sehen. Der Fotograf, Maler und Filmemacher wird zur Eröffnung am 15.4. ab 19.00 Uhr anwesend sein.

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