Malen, zeichnen, quatschen

23.05.2013
Kunstwissenschaftler saugen in der Regel begierig auf, was Maler oder Bildhauer über ihre Werke zum Besten geben. Das sollten sie aber nicht unbedacht tun, finden die Autoren dieses Sammelbandes. Denn Künstler pflegen meistens einen eigenwilligen Umgang mit der Sprache.
So simpel der Titel dieses Sammelbandes zunächst daherkommt, so sehr zielt er bereits mitten hinein in ein Terrain, das man zunächst als solide annimmt, das sich jedoch schnell als unsicher erweist. Denn mit den Worten "Interview" und "Gespräch" tauchen hier zwei Begriffe als Synonyme auf, die sich im Laufe des Buches als grundverschieden erweisen.

"Reden kommt gut an!" Diese Einsicht Martin Kippenbergers ist der Auftakt zu vierzehn Beiträgen, die sich mit der Geschichte des Künstlerinterviews und mit seinen Für und Wider als Werkzeug der Kunstrezeption auseinandersetzen.

Doch warum? Ist es nicht immer ein im besten Fall bereicherndes und im schlechtesten Fall uninteressantes Element im Diskurs über ein künstlerisches Werk? Weit gefehlt. Zunächst ist Interview nicht gleich Interview. Die Bandbreite reicht von den auf Gesprächen oder Briefen basierenden Künstlerviten eines Vasari über die per Manuskript minutiös ausgearbeiteten frühen Radiointerviews bis zu den wiederholten Dialogen, die der Kurator Hans Ulrich Obrist mit befreundeten Künstlern aller Sparten führt. Um solche Unterschiede zu fassen, diskutiert das Buch verschiedene Begriffe.

Das Interview wird in der Regel für eine Öffentlichkeit geführt und setzt die Unterscheidung zwischen Fragendem und Befragten voraus. Ein Gespräch entwickelt sich dagegen unter gleichberechtigten Partnern und dient dem wechselseitigen Austausch. Die dem Englischen und Französischen entlehnten Begriffe Konversation, dessen sich Obrist gerne bedient, und Entretien, dem Lars Blunck mit Blick auf die Gespräche zwischen Marcel Duchamp und Pierre Cabanne eine Analyse widmet, bespielen den Zwischenraum.

Isabelle Graw, die das Ateliergespräch unter den Generalverdacht der Künstlermystifizierung stellt, spricht dem Interview schließlich nur als Streitgespräch eine konstruktive Rolle zu. Anders als Obrist, sieht sie in der Gesprächsführung auf Basis von Freundschaft eine kaum zu vermeidende Korrumpierbarkeit.

So führen diese Begriffsanalysen zu einer Diskussion der Vor- und Nachteile. Führt die Beliebtheit von Interviews unreflektiert zu einem Fokus auf die Absicht des Künstlers, gegen den andere wissenschaftliche Ansätze, wie eine solide Werkanalyse, verkümmern? Entlässt das Interview "die Kunstkritik aus der Kritik und den Interpreten aus der Interpretation"? Ist die heutige Allgegenwart von Künstlerinterviews an der Krise der Kunstkritik, die Julia Gelshorn konstatiert, mit Schuld? Und gibt es eine solche Krise überhaupt?

Das Buch gibt auf diese Fragen sehr verschiedene Antworten. Genau diese Uneinheitlichkeit ist eine seiner Errungenschaften. Denn die so disparaten wie gut begründeten Einschätzungen machen deutlich, dass es die richtige Antwort auf die Vor- und Nachteile des Künstlerinterviews nicht gibt. Seine Bewertung als erkenntnisbringendes Werkzeug erweist sich von dem Wissenschafts- und Selbstverständnis dessen abhängig, der schreibt.

Doch was passiert, wenn der Interviewte die Grenze zwischen künstlerischem Akt und dessen Erklärung fließend werden lässt? Wenn Hans-Peter Feldmann auf Fragen mit Fotografien antwortet, Andy Warhol einen Doppelgänger ins Rennen schickt, oder der detailbeflissene Kunstwissenschaftler dem fiktivem Interview Gerhard Richters von Sigmar Polke ins Netz geht? Diese besondere Spielart des Interviews als künstlerische Manifestation kommt am Rande zur Sprache, immer verbunden mit dem Aufruf zur Skepsis gegenüber dem Künstlerwort. Für letzteres scheint Tacita Dean als einzige Repräsentantin ihres Fachs stellvertreten zu stehen – jedoch nur in der klassischen Funktion der Interviewten.

Besprochen von Dorothée Brill

Lars Blunck, Michael Diers, Hans Ulrich Obrist (Hg.): Das Interview - Formen und Foren des Künstlergesprächs
Philo Fine Arts, Hamburg 2013
352 Seiten, 22 Euro