Malediven

Machtkampf im Tropenparadies

Bikiniverbot an einem Strand der Malediven.
Bikiniverbot an einem Strand der Malediven. © Sandra Petersmann / ARD Neu Delhi
Von Sandra Petersmann · 09.03.2016
Die paradiesischen Malediven waren lange eine Diktatur. Die ersten demokratischen Wahlen gab es 2008. Doch heute sitzen die meisten Oppositionsführer wieder in Haft. Zugleich haben islamistische Gruppen Zulauf.
Weißer Puderzuckersand, türkis schimmerndes Wasser, getupfte Wölkchen am strahlend blauen Himmel. Kokospalmen. Die Malediven sind die "Sonnenseite des Lebens", schmeichelt der Werbespot der Tourismusbehörde.
Mutter und Tochter aus Deutschland sind verzückt. Ein Urlaub auf den Malediven stand schon lange ganz oben auf der Wunschliste.
"Ich habe meiner Freundin geschrieben: Ich bin im Paradies. Und das Paradies heißt Malediven. Ich habe so etwas noch nie gesehen. Du hast das Gefühl, du bist in einem riesigen Aquarium. So viele Fische um dich rum. Ganz bunt, diese Farben. Das kann man nicht beschreiben, da muss man nur gucken."
Nah bei den Fischen, weit weg von der Bevölkerung - so erleben die allermeisten Touristen die Malediven. Insgesamt sind es pro Jahr mehr als eine Million Gäste. Aus Deutschland kommen rund 100.000. Der Tourismus ist der mit Abstand größte Wirtschaftszweig des Landes. Er trägt fast 30 Prozent zum Bruttoinlandprodukt bei. Doch er beschäftigt nur wenige Malediver direkt. Die meisten Einheimischen verdienen ihr Geld noch immer mit der Fischerei.
Blick auf die Hauptstadt der Malediven, Malé.
Blick auf die Hauptstadt der Malediven, Malé.© Sandra Petersmann / ARD Neu Delhi

Zwei getrennte Welten

Die Malediven – das sind zwei getrennte Welten. Sie bestehen aus fast 1.200 meist winzigen Inseln. Die Atolle liegen wie eine Perlenkette unterhalb der Südspitze Indiens im Indischen Ozean. Auf 200 dieser Inseln siedeln Malediver, etwa 100 werden als Ferieninseln für Touristen genutzt.
Die Hauptinsel Malé zählt zu den am dichtesten besiedelten Orten der Welt. Hier drängen sich rund 150.000 Menschen auf nur knapp sechs Quadratkilometern. Das ist mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung. Autos und Motorroller verstopfen die engen Inselgassen, die von bunten Hochhäusern gesäumt sind.
Für Touristen ist Malé kein Ort zum Verweilen. Doch hier entscheidet sich, was aus den Malediven wird.

Machtkampf zwischen altem Regime und Opposition

Auf der Hauptinsel tobt ein Machtkampf zwischen dem alten Regime, das den Inselstaat 30 Jahre lang mit harter Hand regierte, und der Opposition, die 2008 die demokratische Öffnung erkämpfte.
Die Religion spielt eine wichtige Rolle in diesem Konflikt. Auf den Malediven ist der sunnitische Islam Staatsreligion. Es ist verboten, eine andere Religion zu praktizieren. Die Justiz straft auch nach der Scharia, dem religiösen Gesetz des Islam. Wer beim vorehelichen Sex erwischt wird, dem droht die öffentliche Auspeitschung.
Im Februar 2012 stürmte ein halbes Dutzend Männer das Nationalmuseum und zerstörte fast 30 wertvolle Buddha-Statuen. Nichts sollte mehr daran erinnern, dass die Malediven vor dem 12. Jahrhundert buddhistisch geprägt waren.
Droht dem winzigen Inselstaat das gleiche Schicksal wie den Ländern des arabischen Frühlings, in denen der Sturz von Diktatoren zu Chaos, Krieg oder zu einer neuen Diktatur geführt hat?
Auch aus den Malediven zieht es Menschen zum selbsternannten Islamischen Staat, Richtung Syrien und Irak. Die Opposition spricht von mindestens 200. Eine Zahl, die Außenministerin Dunya Maumoon bestreitet.
"Natürlich macht uns das Sorgen, aber wie ich schon mehrfach gesagt habe: Wir sollten das Problem auch nicht größer machen als es ist. Wir haben 350.000 Einwohner. Wir glauben, dass die Zahl der ausgereisten Kämpfer bei 40 bis 50 Personen liegt. Selbst wenn man die mit ausgereisten Familienangehörigen dazu zählt, bleibt die Zahl deutlich unter 100. Der Terrorismus ist ein globales Problem. Die Malediven sind davon nicht ausgenommen. Aber wir unternehmen alles, damit die Malediven ein sicheres Land bleiben."

Putsch gegen den Präsidenten?

Die Radikalisierung der Gesellschaft spielt sich vor dem Hintergrund einer politischen Krise ab. Der erste frei gewählte Präsident der Malediven ist heute ein verurteilter Mann. Mohammed Nasheed gab im Februar 2012 unter zweifelhaften Umständen sein Amt auf. Teile der Sicherheitskräfte hatten gemeutert. Der Ex-Präsident selbst spricht bis heute von einem Putsch.
Kampagne für Ex-Präsident Nasheed in Malé
Kampagne für Ex-Präsident Nasheed in Malé© ARD / Sandra Petersmann
Ein Jahr später verlor er eine umstrittene Wahl. Er lag damals vorne, doch der Oberste Gerichtshof ließ zwei Wahlrunden annullieren. Vor einem Jahr wurde Mohammed Nasheed zu 13 Jahren Haft verurteilt. Begründung des Gerichts: Nasheed habe als Präsident versucht, sich die unabhängige Justiz mit Hilfe der Armee gefügig zu machen.
Mohammed Nasheed: "Im Gefängnis versuchst du zuerst, eine Stunde durchzuhalten. Dann 24 Stunden. Dann sieben Tage. Dann einen Monat. Und dann ein Jahr. Du bist in einem Netz gefangen. Und je mehr du dich wehrst, desto mehr verstrickst du dich."
Als die Malediven zwischen 1978 und 2008 von Maumoon Gayoom regiert wurden, saß Nasheed mehrfach im Gefängnis. Damals noch weitgehend unbemerkt. Doch heute sind auch die Malediven in die globale Welt eingebunden. Nasheeds Anwältin ist die britische Menschenrechtsexpertin Amal Clooney, Ehefrau des Schauspielers George Clooney.
Amal Clooney: "Das Regime verhält sich immer autoritärer. Demonstranten werden umzingelt und verhaftet. Und alle Oppositionsführer sitzen entweder im Gefängnis oder werden von der Regierung verfolgt. Mein Klient ist einer von ihnen. Er wurde einem politischen Schauprozess unterworfen, was auch die Vereinten Nationen bestätigt haben."
Die Malediven werden seit November 2013 von Präsident Abdulla Yameen regiert. Er ist der Halbbruder des langjährigen Alleinherrschers Gayoom. Weite Teile der Justiz und der Sicherheitskräfte haben bis heute enge Beziehungen zum alten Machthaber. Genauso wie die Tourismusindustrie, die sich unter seiner Herrschaft entfaltet hat. Dunya Maumoon, die maledivische Außenministerin, ist seine Tochter. Sie verteidigt die Politik ihrer Regierung.
"Als junge Demokratie müssen wir uns der Herausforderung stellen, unsere Institutionen zu stärken und sie reifer zu machen. Wir sind international in einer sehr schwierigen Position. Ich kämpfe als Außenministerin Tag und Nacht dafür, dass der Rest der Welt die Malediven so wahrnimmt, wie sie wirklich sind. Bei uns steht niemand über dem Gesetz, auch Ex-Präsidenten nicht. Wir bitten den Rest der Welt, unsere Souveränität zu respektieren."
Als der internationale Druck aus den USA und Europa immer größer wurde, ließ die maledivische Regierung Nasheed im Januar nach London ausreisen. Offiziell aus humanitären Gründen, damit der Häftling sich wegen eines Rückenleidens medizinisch behandeln lassen könne. Aus dem Exil fordert Nasheed seitdem gezielte Sanktionen.
Es gibt Korruptionsvorwürfe gegen die politische Elite der Malediven. Auch Schwarzgeld soll organisiert gewaschen worden sein. Die Regierung in Malé sorgt sich um ihre wichtigste Einnahmequelle. Im Windschatten des politischen Machtkampfes steigen Jugendarbeitslosigkeit, Drogenkonsum und Bandenkriminalität. Radikale Prediger aus Saudi-Arabien und Pakistan reisen ein und aus.

Der Sohn verschwand, weil er aufklärte

Vor Aminaths Haustür spielen Kinder im Park. Die zierliche kleine Frau sitzt zusammengekauert auf einem Stuhl in ihrer Küche und vermisst ihren Sohn. Ahmed Rilwan wurde zum letzten Mal in der Nacht zum 8. August 2014 lebend gesehen. Auf einer Fähre. Damals war er 28 Jahre alt.
"Gott schenkt mir Geduld. Öffentlich versuche ich, stark zu sein und für meinen Sohn zu kämpfen. Ich weine in meinem Zimmer, wenn ich für ihn bete. Wenn mich Leute auf der Straße für ihn kämpfen sehen, können sie nicht ahnen, welchen Schmerz ich in mir trage."
Rilwan war Blogger und Journalist. Er schrieb über die politische Krise auf den Malediven, über kriminelle Banden, über religiösen Extremismus. Er veröffentlichte auch, dass Politiker die Banden und radikale Islamisten benutzen, um ihre Gegner einzuschüchtern, berichtet seine Schwester Mariyam.
"Wenn die Regierung ein Motiv hat, dann ganz sicher seine Arbeit. Rilwan hat sich vor seinem Verschwinden mit dem wachsenden religiösen Extremismus beschäftigt. Er war ein investigativer Journalist, der den Sachen auf den Grund ging. Er hat die Politik hinterfragt."
Rilwans Mutter Aminath verlangt Antworten. Sie hat mehrfach versucht, den amtierenden Präsidenten Yameen und den alten Machthaber Gayoom zu treffen. Vergeblich. Wenn die Familie demonstriert oder öffentlich schweigend an Rilwan erinnert, kommt die Polizei.
"Ich habe die Polizisten angeschrien, dass sie mitverantwortlich sind für das Schicksal meines Sohnes ist. Aber das einzige, was ich von der Polizei höre, ist, dass es keine Beweise dafür gibt, dass Rilwan gewaltsam verschleppt wurde oder dass er tot ist. Keiner hat Antworten für mich."

Angriffe auf Journalistenbüro

Zaheena Rashid ist die Chefredakteurin der Online-Zeitung, für die Rilwan bis zu seinem Verschwinden gearbeitet hat. Hinter ihrem Schreibtisch hängt das Plakat, mit dem sie und ihre Kollegen nach Rilwan suchen. Draußen, auf der Straße, ist die Angst Zaheenas ständiger Begleiter.
"Nachdem Rilwan verschwunden war, wurde unser Büro angegriffen. Sogar eine Machete steckte in unserer Tür. Ich bekam Drohungen, dass ich die nächste sein würde. Der Mann, der unser Büro angegriffen hat, läuft heute immer noch frei rum, obwohl seine Tat von der Überwachungskamera gefilmt wurde. Dazu ständige Todesdrohungen. Auch die Justiz droht uns, vor allem, wenn wir über die Verfahren gegen Oppositionsführer berichten. Meine Befürchtung ist, dass wir unseren Job als Journalisten nicht mehr machen können."
Auch Rilwan hatte vor seiner Verschleppung Todesdrohungen erhalten. Seine letzte nächtliche Fahrt mit der Fähre von Malé auf die Nachbarinsel Hulumalé hielt eine Überwachungskamera fest. Das letzte Lebenszeichen.
Mehrere Augenzeugen sahen später, wie ein Mann am frühen Morgen des 8. August 2014 vor Rilwans Wohnung mit Gewalt in ein Auto gestoßen wurde. Doch die Polizei behandelt den Fall bis heute nicht als Verschleppung.
Die vorliegenden Indizien haben private Ermittler aus London zusammengetragen, iIm Auftrag der Familie, von Freunden und Kollegen. Bald sind zwei Jahre vergangen. Rilwans Schwester Maryam will das Unaussprechliche nicht aussprechen.
"Wenn jemand stirbt, trauern die Angehörigen für einige Zeit, und dann geht das Leben weiter. Aber nichts zu wissen? Wir glauben, dass Polizei und Regierung vom ersten Tag an nachlässig waren. Wenn es uns als Familie nicht gelungen wäre, das Videomaterial aus der Überwachungskamera am Fährhafen zu präsentieren, hätten sie die Akte geschlossen und gesagt, dass Rilwan nach Syrien abgehauen ist. Es gab Versuche, diese Geschichte in Umlauf zu bringen. Über eine Internetseite, mit dem Foto aus seinem Reisepass."

Verängstigter Rückzug ins Private

Ein verschwundener Journalist. Aufgelöste Demonstrationen. Regierungsgegner auf der Anklagebank, im Gefängnis oder im Exil. Dazu eine dubiose Explosion auf der offiziellen Präsidentenyacht im vergangenen November, nach der kurzzeitig der Notstand verhängt wurde: Die Zivilgesellschaft zieht sich verängstigt ins Private zurück und schweigt.
Das Parlament der Malediven in der Hauptstadt Malé
Das Parlament der Malediven in der Hauptstadt Malé© ARD / Sandra Petersmann
Shahindha Ismael vom Demokratie-Netzwerk führt das auf die verhängnisvolle Verquickung von Politik, Politikverdrossenheit und Religion zurück.
"Den Maledivern ist ihre religiöse Identität heute wichtiger als ihre politische. Wir können nicht frei sprechen. Wir können nicht frei über den Islam sprechen. Und wir können nicht offen über die Probleme sprechen, die wir mit der Regierung oder durch die Regierung haben. Aber vor allem können wir nicht frei über religiöse Themen sprechen."
Die demokratische Öffnung von 2008 hat auch radikale, religiöse Elemente von der Alleinherrschaft Maumoon Gayooms befreit. Doch die maledivischen Anti-Terror-Gesetze werden nicht gegen Extremisten, sondern gegen die Opposition eingesetzt.
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