Malaysia

Die Wunden der Kolonialzeit

Flagge von Malaysia
Malaysia leidet immer noch unter der Besatzung durch die Japaner während des Zweiten Weltkriegs (hier die Flagge des Landes). © imago / Richard Wareham
Von Katharina Borchardt · 30.05.2015
In Tan Twan Engs preisgekröntem Buch "Der Garten der Abendnebel" wird anhand der Lebensgeschichte einer Richterin die japanisch-malaysische Kolonialgeschichte aufgearbeitet: lehrreich, aber wie ein in Prosa gegossenes Sachbuch.
Die pensionierte Richterin Yun Ling geht nie ohne Handschuhe aus. Denn ihr wurden 1945 in einem japanischen Gefangenenlager zwei Finger abgeschlagen. Im selben Lager verlor sie auch ihre Schwester. Nach Ende des Krieges studiert Yun Ling Jura und setzt als junge Staatsanwältin in Kuala Lumpur alles daran, für möglichst viele Kriegsverbrecher die Todesstrafe zu erwirken. 1951 aber ist sie davon so erschöpft, dass sie sich aufs Land zurückzieht. Nördlich der malaysischen Hauptstadt will sie für ihre tote Schwester einen Garten entwerfen und lässt sich von dem japanischen Gartenkünstler Aritomo ausbilden. Gemeinsam mit ihm legt sie einen Garten an, in dem – wie sich irgendwann herausstellt – nicht nur Yun Ling ihrer Schwester gedenkt, sondern auch Aritomo seines verstorbenen Sohnes. Ein berührendes Symbol für Erinnerung und Versöhnung.
Zu elegant für eine Ich-Erzählung
Der Roman "Der Garten der Abendnebel" spielt auf drei verschiedenen Zeitebenen: Großen Raum nehmen Yun Lings Erinnerungen an die gemeinsame Zeit mit Aritomo ein, den sie als Japaner zuerst verabscheut, den sie nach einer Weile aber zu schätzen lernt und mit dem sie schließlich ein Liebesverhältnis eingeht. Kürzere Passagen spielen 1945 im Lager. Dies alles ist eingebettet in eine große Rahmenerzählung, die etwa Mitte der 1980er Jahre angesiedelt ist. In diesen Jahren kehrt Yun Ling – nach einer Karriere als Richterin in Kuala Lumpur – in den inzwischen verwilderten Garten zurück. Aritomo ist schon lange tot, und bei ihr beginnt eine beunruhigende Form nervlich bedingter Amnesie. Daher möchte sie sich noch einmal in Ruhe an alles erinnern, denn "vor dem Vergessen muss es Erinnerung geben", findet sie.
So beginnt sie, ihr Leben aufzuschreiben, und der vorliegende, aus der Ich-Perspektive erzählte Roman kann als genau dieses Erinnerungsdokument gelesen werden. Leider ist dem 1972 geborenen malaysischen Autor Tan Twan Eng sein Text in dieser Hinsicht aber viel zu geschmeidig geraten. Elegant und bruchlos erzählt er Yun Lings traumatische Lebensgeschichte, flicht pointierte Dialoge ein und verliert stilistisch auch dann nicht die Fassung, wenn Erinnerungsausfälle oder Wahrnehmungsstörungen seine Erzählerin plagen. Inhalt und Duktus fallen stark auseinander, was einer Ich-Erzählung in besonderem Maße widerspricht.
Weniger wäre mehr gewesen
Doch auch inhaltlich will der Roman mehr, als eine persönliche Erinnerung leisten kann. Tan Twan Eng arbeitet nicht nur die japanisch-malaysische Kolonialgeschichte auf, sondern will mit seinen Figuren auch alle ethnischen Gruppen des Vielvölkerstaates Malaysia abbilden. Darüber hinaus befasst er sich intensiv mit der Philosophie japanischer Künste und zitiert aus Literaturen verschiedener Länder. Am Ende verknüpfen sich der Garten und eine Tätowierung auf Yun Lings Rücken zu einem geheimnisvollen Großzusammenhang, dass einem angst und bange wird. Kurzum: Man lernt viel in diesem Roman, der 2012 mit dem Man Asian Literary Prize ausgezeichnet wurde. Er basiert auf einer so umfassenden Recherche, dass er sich stellenweise wie ein in Prosa gegossenes Sachbuch liest. Literarisch gesehen aber wäre weniger eindeutig mehr gewesen.
Tan Wang Eng: Der Garten der Abendnebel
Aus dem Englischen von Michaela Grabinger, Droemer-Verlag, München 2015, 462 Seiten, 19,99 Euro.