Weihnachtsgeschäft

Paketdienste am Limit

Pakete liegen am 12.10.2017 in mechanisierten Zustellbasis in Frechen in Nordrhein-Westfalen in einer Kastenrutsche für den Zusteller bereit.
Knapp über 5000 Beschwerden zu Problemen mit der Postbeförderung sind 2017 bei der Bundesnetzagentur eingegangen © dpa / Marius Becker
Von Anke Petermann · 22.12.2017
Lebensmittel, Möbel und Heimwerkerbedarf - nahezu alles wird mittlerweile bis zur Haustür geliefert. Doch das Wachstum des Online-Versands stößt an Grenzen: Für den schlecht bezahlten Knochenjob findet sich kaum noch Personal.
Beschwerden häufen sich: auf Portalen wie www.paket-aerger.de der Verbraucherzentralen machen tausende von Kunden ihrem Zorn über verspätete, verlorenen oder beschädigte Sendungen Luft. Olaf Schmidt heißt in Wirklichkeit anders und arbeitet für den Marktführer:
"In meinem Zustellbezirk kann man 150 Päckchen am Tag zustellen. In der Weihnachtszeit sind es 200 Sendungen, die aber in der Arbeitszeit nicht zu schaffen sind. Das heißt, täglich bleiben 50 Sendungen übrig, die am Folgetag zugestellt werden müssen. Für dieses Jahr ist das Kind leider schon in den Brunnen gefallen."
Daran änderten auch Zehntausend Aushilfskräfte bei DHL nichts.
"Die Menge ist eigentlich nicht das Problem. Das Problem ist, dass das Unternehmen an der falschen Stelle spart und nicht genug Leute einstellt, um die Menge zu bewältigen."

Mehr Arbeit, weniger Geld

Bei der Deutschen Post / DHL gehört Schmidt zur schrumpfenden Gruppe der Stammbelegschaft mit Haustarif. Und wenn er im kommenden Jahr in Rente geht, wird keiner auf seinen relativ gut bezahlten Posten nachrücken. Neue Jobs gibt es nur noch in einer der 49 eigenständigen Delivery-Töchter. Die hat der Konzerns vor zwei Jahren ausgegründet, um Zustellern weniger zahlen zu können.
"Das heißt, die Leute gehen mit netto weniger Lohn nach Hause bei derselben oder stärkerer Arbeitsbelastung. Wegen schlechterer Arbeitsbedingungen ist die Fluktuation höher. Das kann man täglich am Arbeitsplatz sehen: neue Gesichter, die nach ein paar Tagen wieder weg sind, weil die Bedingungen finanziell und von der Arbeitssituation her nicht stimmen."
Konzernlenker, die derzeit über fehlendes Personal jammern, hätten die Zustell-Jobs zuvor durch das Outsourcing selbst unattraktiv gemacht, findet Schmidt.
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Deutschland droht Paketkollaps.© Imago | Steinach

Bis zum Anschlag ausgereizt

Neben dem DHL-Logistikzentrum im Süden von Mainz ist soeben ein neues in Betrieb gegangen. Jürgen Seidel von Hermes Deutschland schaut von einer Kontrollbrücke in der 10.000 Quadratmeter neuen Halle auf das 500 lange, unaufhörlich kreisende Band. 60 Mitarbeiter pro Schicht fädeln an den verschiedenen Toren unaufhörlich Päckchen, Pakete und Plastiksäcke aus den ankommenden Transportern in den Kreislauf ein. 150.000 täglich in allen Farben und Formaten. Für Seidel heißt Stress im Weihnachtsgeschäft:
"Die Hektik, und das Paketvolumen in immer kürzerer Zeit vom Auftraggeber bis zum Endkunden zu bringen, und das mit dem Marktwachstum, das da hinten dran steht, das ist die besondere Herausforderung des Weihnachtsgeschäfts. Weil eben alle Kapazitäten sowohl innerhalb des Logistikzentrums als auch außerhalb, was Zustelltouren angeht, bis zum Anschlag ausgereizt werden."
Aushilfs- und Leiharbeitskräfte inklusive. Unter denjenigen, die Retouren anliefern und Päckchen sorgfältig in die Mitte des Laufbands legen, mit Barcode nach oben, ist Ahmed Arif aus Pakistan.
"Wir kommen 6 Uhr hier rein, dann nehmen wir die Pakete, die wir zustellen müssen, zum Paketshop, ungefähr sieben Uhr fahren wir los zum Paketshop, und dann hat jeder seine eigene Tour und stellt zu, was er dabei hat für den Paketshop, und dann holt er von da die Retouren und bringt sie hierher zurück."

Wenn der Mindestlohn nicht fürs Leben reicht

Seit zweieinhalb Jahren lebt Arif in Deutschland, der Job beim Logistiker Hermes ist sein zweiter in der neuen Heimat. Hermes zahlt mindestens Mindestlohn, sagt Jürgen Seidel. Aber:
"Gerade hier in der Region Wiesbaden, Rhein Main werden sie keinen Zusteller mehr finden, der das Paket zum Mindestlohn zum Endempfänger bringt."
"Ich bin froh mit dem Lohn, den ich krieg'."
Auf Tariflohn wie Arif können Paketzusteller, die Hermes und andere Logistiker für die letzte Meile bis zur Haustür anheuern, nicht bauen. Die Subunternehmer sind kleine und mittelständische Transportunternehmer, für deren Gesetzestreue bei Lohn und Arbeitsbedingungen die Großen allerdings im Weg der Generalunternehmerhaftung einstehen müssen. Im Raum Köln/Bonn ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen zwei Subunternehmen, die Zusteller unter Mindestlohn bezahlten, Hermes hat die Zusammenarbeit inzwischen beendet. Jürgen Seidel nennt die Subunternehmer "Servicepartner".
"Wir haben ein Auditierungs- und Zertifizierungsverfahren seit 2012, was auf Arbeitsvertrags-Ebene die Servicepartner kontrolliert, um sicherzustellen, dass wir Arbeitszeiten, Mindestlohn-Themen etc. einhalten. Es gibt immer und überall schwarze Schafe. Aber das sind Einzelfälle und wenn wir davon Kenntnis haben, und wir haben uns und werden uns in Zukunft auch von unseren Servicepartnern trennen, die da nicht nach Recht, Gesetz und Ordnung arbeiten."

Mehr Geld für Zulieferer?

Die Branche erwägt Preiserhöhungen.
"Es könnte so aussehen, dass als Kunde in Zukunft die Haustürzustellung teurer wird", sagt Regionalmanager Seidel. Ob vom Extra-Obolus etwas bei den Paketzustellern ankommt, die unter den Markennamen der großen Logistiker meist für schlechte zahlende Subunternehmer arbeiten, hängt nach Ansicht von DHL-Zusteller Olaf Schmidt davon ab, "wie Arbeitnehmer sich organisieren und wie ihre Tarifabschlüsse aussehen."
Schmidt hofft auf die Kraft der Gewerkschaft Verdi, deren Mitglied er ist. Aber er fürchtet, dass sich die Logistikkonzerne weiter durchwurschteln. Teilweise, so beobachtet Schmidt, stottern scheinselbständige Paketzusteller von ihren Billiglöhnen sogar die Transporter ab, die sie fahren.
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