Mahlzeit

Wie Chemiker den perfekten Wein nachbauen

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Es kommt vor allem auf die Güte der Rebe an? Das war einmal. © picture alliance / dpa
Von Udo Pollmer · 07.11.2014
Guter Wein entsteht mit Tradition und Handwerk? Mitnichten. Der Rohstoff - die Trauben - werden mit Hightech verbessert und veredelt. Und die Chemiker arbeiten schon daran, den perfekten Wein im Labor zu bauen.
Das Weinmarketing setzt seit Jahrzehnten auf die vertrauten Bilder voller Tradition und Romantik. Gebetsmühlenartig betont die Branche, der Winzer sei den Launen der Natur und des Wettergottes ausgeliefert. Was nicht auf den Reben gereift sei, "kann später im Keller auch nicht mehr wieder wettgemacht werden", erzählen die Märchenonkel und tun so, als würden ihre edlen Tropfen in historischen Kellergewölben bei Kerzenlicht in schmucken Holzfässern reifen. Die nüchternen Begriffe aus Wissenschaft und Technik meidet die Branche wie der Teufel das Weihwasser. Zumindest gegenüber der Kundschaft.
Auf Fachkongressen pflegen die Winzer ein offeneres Wort und diskutieren das heikle Thema Weinbereitung mit dem gleichen Ernst und Vokabular wie altgediente Chemiker, die über die neuesten Entwicklungen bei der Synthese von Kunststoffen referieren. Als bahnbrechend gilt die Forschung an der TU in Weihenstephan. Dort ist es gelungen, alle für den Weingeschmack wichtigen Schlüsselmoleküle zu identifizieren. Damit sind nicht einfach Stoffe gemeint, die irgendwie "weinig" riechen, sondern ein Baukasten mit allen erforderlichen Substanzen, die es erlauben, praktisch jeden beliebigen Wein dieser Welt täuschend nachzubauen. Nach derzeitiger Kenntnis genügen dafür etwa 60 Schlüsselkomponenten.
Als Joker gelten Mikroorganismen
Damit lassen sich Rieslingweine ebenso wie Chardonnays generieren, damit lässt sich steuern, wie samtig ein Wein die Zunge umschmeichelt oder wie lang der Abgang anhält. Es geht hier mitnichten nur um Aromen, sondern gleichermaßen um das Mundgefühl. So fanden australische Forscher, dass nicht wie vermutet, der Gehalt an Glycerin für Vollmundigkeit sorgt, sondern vor allem der pH-Wert. Hübsch sind chilenische Arbeiten, die sich der Frage widmeten, welche Wirkung die Lagerung der Flaschen unter künstlichem Licht auf den Geschmack hat. Dabei fanden sie heraus, dass sich durch die Kombination der richtigen Lampe mit der passenden Flaschenfarbe das Aroma gezielt nachbessern lässt: Die Strahlung vermindert dann unerwünschte Gemüsenoten und fördert je nach Flaschenfarbe entweder leichte Zitrusnoten oder sorgt für einen Hauch tropischer Früchte.
Weinforscher sind detailversessen. Manche ziehen jeden Tag eine neue Probe im Weinberg, um die Trauben noch während des Wachstums auf jene Vorläufersubstanzen zu untersuchen, die nach der Gärung einen guten Wein ausmachen. Die Daten korrelieren sie dann mit der Meereshöhe, der Luftfeuchtigkeit und der Sonneneinstrahlung auf jede einzelne Traube. Das soll den Winzern neue technische Möglichkeiten eröffnen, um aus einem gegebenen Lesegut einen perfekteren Wein zu designen. Als Joker gelten Mikroorganismen, deren Erbgut sich so verändern lässt, dass sie die gewünschten Substanzen - namentlich Aromen - in Eigenregie herstellen. Denn eine direkte Zugabe von Aromen wäre ja nicht erlaubt, sie gilt als Panschen.
Hightech ist für den Winzer unentbehrlich geworden
Zwar lässt sich heute der Rohstoff Traube in erstaunlicher Weise verbessern, dennoch bleibt ein Unsicherheitsfaktor: Der Kunde. Nicht nur die Weine, auch die Verbraucher sind biologisch nicht alle gleich. Das hat zur Folge, dass sie bei Verkostungen die Qualität von Weinen unterschiedlich wahrnehmen. Hier setzen spanische Forscher an. Sie stellten zunächst fest, dass die Freisetzung der Aromakomponenten beim Trinken des Weines in den einzelnen Mündern unterschiedlich erfolgt. Daraufhin erforschten sie anatomische Merkmale des Mundes – jedoch ergebnislos. Schließlich konzentrierten sich die Experten auf die Atmung des Trinkers. Und die hat einen deutlichen Einfluss auf die Geschmackswahrnehmung. Insofern bietet es sich an, die Weine entsprechend der "Atemkapazität", wie es die Spanier fachsprachlich benennen, auszubauen.
Die stimmungsvolle Fassade aus Tradition, Natur und Handwerk verstellen der Kundschaft den Blick auf die Fortschritte in der Kellertechnik. Dabei könnte die Branche stolz auf das Erreichte sein. Hightech ist für den Winzer genauso unentbehrlich geworden wie für den Hersteller von Tiefkühlpizzen. Mahlzeit!
Literatur
Wolf LK: A taste of wine science. C&EN 22. Sept 2014: 28-30
Gawel R et al: White wine taste and mouthfeel as affected by juice extraction and processing. Journal of Agricultural & Food Chemistry 2014; 62: 10008−10014
Cáceres-Mella A et al: Chemical and sensory effects of storing sauvignon blanc wine in colored bottles under artificial light. Journal of Agricultural & Food Chemistry 2014; 62: 7255−7262
Mayr CM et al: Characterization of the key aroma compounds in shiraz wine by quantitation, aroma reconstitution, and omission studies. Journal of Agricultural & Food Chemistry 2014; 62: 4528−4536
Muñoz-González C et al: Impact of the nonvolatile wine matrix composition on the In vivo aroma release from wines. Journal of Agricultural & Food Chemistry. 2014; 62: 66−73
Godelmann R et al: Targeted and nontargeted wine analysis by 1H NMR Spectroscopy combined with multivariate statistical analysis. Differentiation of important parameters: grape variety, geographical origin, year of vintage. Journal of Agricultural & Food Chemistry 2013; 61: 5610−5619
Hufnagel JC & Hofmann T: Quantitative reconstruction of the nonvolatile sensometabolome of a red wine. Journal of Agricultural & Food Chemistry 2008; 56: 9190–9199
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