Magische Momente und Zeit zum Beten

Von Marta Kupiec · 04.08.2012
Mehrere Zehntausend Leute treffen sich derzeit beim Internationalen Jugendfestival zum Beten, Beichten und Gottesdienstfeiern in Medjugorje in Bosnien-Herzegowina. Marienerscheinungen machten die Kleinstadt berühmt. Die offizielle Anerkennung der katholischen Kirche hat Medjugorje nicht.
In den 1980er-Jahren wurde der kleine Ort Medjugorje berühmt. Jugendlichen soll Maria erschienen sein und seitdem Pilgern Menschen aus aller Welt an diesen Ort., den die römisch- katholische Kirche allerdings nicht als Wallfahrtsort anerkennt. Marta Kupiec war vor Ort:

Die St. Jakobs-Kirche im Zentrum von Medjugorje füllt sich mit Pilgern, die aus großen Reisebussen aussteigen. Auf der Straße ein Sprachengewirr, Frauen mit Rosenkränzen um den Hals hasten zur Messe, ein Lied zu Ehren Marias, der Friedenskönigin, ist aus der Kirche zu hören.

Am 24. Juni 1981 soll in dem überwiegend von Kroaten bewohnten Ort die Mutter Gottes, auf Kroatisch Gospa genannt, erschienen sein. Zehn Jahre vor dem Ausbruch des Bosnien- Krieges soll sie sechs Jugendlichen auf dem Hügel Podbrdo eine Friedensbotschaft überbracht haben. Seit diesem Tag sind 31 Jahre vergangen, die Marienerscheinungen dauern an – das behaupten zumindest die inzwischen erwachsenen Seher. Einer von ihnen ist Ivan Dragicevic. Am Jahrestag der Erscheinung spricht er von seinen bewegenden Begegnungen mit der Gospa, die immer noch zum Frieden, Glauben, Gebet, Fasten und zu der Umkehr aufruft. Die Rede wird in mehrere Sprachen übersetzt.

Zu den Wallfahrern, die der Rede zuhören, gehört auch Heinz aus Ulm. Er war schon 30 Mal in Medjugorje, aber er kommt nicht wegen der Botschaften:

"Für mich ist das Magische, dass ich hier bekehrt worden bin. Für mich sind die Botschaften nicht so wichtig, für mich ist wichtig, welche Früchte ich hier sehe. Und wie wir in der Bibel lesen, wenn es von Gott ist, dann wird es bleiben. Und wenn es nicht ist, dann wird es vergehen. Inzwischen haben wir 31 Jahre und ich bin überzeugt – es ist vom Gott. Wir haben letztes Jahr gezählt: am Jahrestag - es waren 127 Priester zur Beichte gesessen. Das ist die Befreiung, die man hier erlebt, die Befreiung von der Sünde."
Weinende unter einem Baum oder auf der Wiese, vertieft in ein langes Gespräch mit dem Priester - kein Einzelfall. Das hat auch Ilona aus Schweden gesehen. Die Protestantin kam nach Medjugorje mit ihrer 11-jährigen Tochter. Sie hat hier die Ruhe gefunden, um nach langer Zeit mal wieder zu beten.

"Das ist ein toller Ort zum Beten. Ich bin hierher gekommen, um dies zu lernen. Ich habe meine 11 jährige Tochter mitgenommen, weil wir unseren Glauben nicht im täglichen Leben praktizieren. Nun hat sich meine Tochter entschlossen, in die Kirche zu gehen, obwohl sie vorher strikt dagegen war."

Jedes Jahr im Juni, zum Jahrestag der Marienerscheinung, gibt es in Medjugorje einen Friedensmarsch. Um eine deutsche Gruppe mit Gitarre bildet sich ein großer Kreis. Alle singen mit, bei ihnen ist auch Rudi aus Schweinfurt. Er pilgert seit 27 Jahren nach Medjugorje und hat dort seine soziale Ader entdeckt:

"1991 ist der Krieg ausgebrochen, dann habe ich gesehen, wie groß die Not der Menschen ist, und seither organisieren wir Hilfe für Menschen in Not. Es ist eine Gnade hier zu sein, das was die Gospa hier sagt von der nächsten Nächstenliebe, das können wir in die Tat umsetzen. Die Kirche tut sehr gut dran, dass sie noch nicht anerkennt. Es muss geprüft werden, bevor es anerkannt ist. Ich lege keinen großen Wert auf die Anerkennung."
Die offizielle Anerkennung der Katholischen Kirche hat Medjugorje nicht. Der Vatikan hat die Marienerscheinungen zwar überprüft, aber nicht bestätigt. Es sei nicht möglich zu sagen, dass es sich um übernatürliche Erscheinungen oder Offenbarungen handele, so das Urteil aus Rom. Und auch vor Ort sind nicht alle davon überzeugt. Der Bischof von Mostar, zu dessen Gebiet Medjugorje zählt, vertritt eine ablehnende Haltung. Außerdem gibt es viel Unverständnis zwischen dem Bischof und den Franziskanermönchen in der Stadt, die die Seher von Anfang betreuen und ihren Aussagen schon immer Glauben schenkten. Auch derzeit beschäftigt sich eine Untersuchungskommission des Vatikans mit dem Phänomen Medjugorje, aber sie untersucht nicht die Marienerscheinungen, sondern das geistliche Leben im Ort und die seelsorgersiche Pilgerbetreuung. Nach wie vor gibt es keine Anerkennung von Medjugorje, aber auch kein Verbot. 1996 erklärte der damalige Sprecher des Vatikans, Joaquin Navarro-Valls:

"Man kann Personen nicht verbieten, dorthin zu gehen, solange hier keine Irrtümer festgestellt wurden. Da dies nicht der Fall ist, kann jeder gehen wie er will."

Weshalb die Kirche ihr letztes Wort noch nicht gesprochen hat, erklärt der polnische Franziskaner, Stefan Banaszczuk, der seit 20 Jahren nach Medjugorje pilgert:

"Solange die Erscheinungen andauern, können wir nicht endgültige Urteile abgeben. Ich persönlich bin hier weder den Wundern noch der Mutter Gottes begegnet. Medjugorje-Kritiker freuen sich, wenn jemand kommt und sich dann irgendwelche Legenden ausdenkt. Aber ich sah Menschen, die ihr Leben verändert haben – darauf kommt es an."

Der Wunderglaube, der übertriebene Marien- und Seherkult - Kritiker von Medjugorje nennen viele Punkte, die sie an diesem blühenden Pilgerort nicht überzeugen. Ludger Aldorf, der Einsatzleiter in der dortigen Malteserambulanz, fügt noch einen weiteren hinzu:

"Es war mir zu viel Trubel und der Kommerz hat mich erschlagen, als ich dieses Jahr kam. Ich denke, das hat sich drastisch geändert in den acht Jahren, seitdem ich hierher komme. Man muss dieses Spirituelle noch intensiver suchen, sich darum bemühen, aber es lässt mich trotzdem nicht los. Einmal Medjugorje, immer Medjugorje."

Auch der Kroatin Zdenka, die im Ort eine Pension führt, geht der Trubel manchmal auf die Nerven. Doch sie sieht die wirtschaftlichen Vorteile in der Region am Rande Bosniens, wo mehr als 40 Prozent der Menschen arbeitslos sind.

"Ich lebe hier seit 22 Jahren, das Dorf blüht heute auf. Hotels und Pensionen sind entstanden, viele neue Menschen sind hinzugezogen. Aber natürlich gibt es ein paar Pessimisten, die das nicht mögen. Das Dorf ist eine Stadt geworden, sie strahlt in einem neuen Glanz."

Der deutsche Wallfahrer Rudi stört sich dagegen an dem Religionstourismus, aber daran seien auch die Pilger selbst nicht unschuldig:

"Wenn du das erste Mal hier bist, dann bist du erschlagen. Die großen Bauten - am liebsten würden sie sich der Mutter Gottes auf den Schoß setzen, aber das geht nicht. Auf der anderen Seite sind wir mit schuld, die Pilger, wir wollen gut wohnen, wir wollen warmes Wasser, gut essen. Medjugorje ist eine Oase, aber gehen wir 20 Kilometer raus, den Leuten geht es so dreckig."