Magier der Elektrifizierung

02.01.2013
Gregor ist ein Genie aus einem Balkandorf, das nach New York geht und bei dem Strom-Pionier George Westinghouse anheuert. Als großes Talent verkehrt mit den Berühmten des Landes und lebt in den besten Hotels. Doch mit seinen Erfindungen, etwa einer Bogenlampe oder der Neonröhre, werden andere reich.
Nach dem Komponisten Maurice Ravel und dem Laufwunder Emil Zatopek hat Jean Echenoz dem Wissenschaftler Nikola Tesla (1856-1943) einen Kurzroman gewidmet. Tesla, der hier unter dem Namen Gregor firmiert, ist ein Wunderknabe aus der heroischen Zeit der Naturwissenschaften.

In einem zwischen "zwei Bergketten eingezwängten" Balkandorf geboren, kommt das Genie früh über ihn. Er geht nach New York und steht dort schon am zweiten Tag in den Diensten Thomas Alva Edisons. Als der ihn hintergeht - ein wiederkehrendes Motiv -, wird Gregor zum besten Mann im Team von George Westinghouse, dem großen Gegenspieler Edisons.

Spannend ist die Darstellung des amerikanischen "Stromkriegs". Edison - Gleichstrom - und Westinghouse - Wechselstrom - lieferten sich einen harten Kampf um die Elektrifizierung Amerikas. Die Gleichspannungstechnik hatte Nachteile: Der Strom ließ sich nicht über längere Strecken leiten. Deshalb versuchte Edison die überlegene Konkurrenztechnik als zu gefährlich zu diskreditieren: Zahlreiche Tiere wurden zu Demonstrationszwecken mit Wechselstrom getötet; bei dieser Gelegenheit wurde auch der elektrische Stuhl erfunden.

Gregor wird im Gegenzug der charismatische Öffentlichkeitsarbeiter für den Wechselstrom, mit spektakulären Shows, ein Magier der Elektrifizierung. Er verkehrt mit den Reichen und Berühmten und lebt in den besten Hotels. Und er hat Energiequellen im Sinn, die die ganze Menschheit zum Nulltarif mit Strom versorgen könnten, was Gregors Finanziers nicht so faszinierend finden. J.P. Morgan wendet ein: "Wenn alle Welt nach Herzenslust diese Energie nutzen kann, was wird dann aus mir? Wo bringe ich den Zähler an?" Während des Ersten Weltkriegs präsentiert Gregor den amerikanischen Militärs Ideen für bahnbrechende strategische Entwicklungen wie Radar und Rakete: für die Fachleute spinnerte Zukunftsmusik. Gregors Stern ist da schon am Sinken.

Echenoz‘ Figuren sind schemenhaft und konturenscharf zugleich. Ihre Eigentümlichkeiten werden nicht ergründet, sondern beschrieben. In diesem Sinn liefert der Roman ein psychologisches Porträt; kein schmeichelhaftes. Am Leitfaden des Klischees, dass Genies zwar genial, aber menschlich verschroben seien, wird ein defizitärer, betont "unangenehmer" und selbstverliebter Charakter entwickelt. So hält Echenoz das Porträt des Wundermannes gekonnt in ironischer Schwebe.

Gregor hat Probleme mit den Gefühlsströmen: ein Sonderling, der wegen seiner sozialen Inkompetenz immer wieder Intrigen zum Opfer fällt. Mit seinen Erfindungen, etwa einer Bogenlampe oder der Neonröhre, werden andere reich. Anteilnahme und Sorge widmet der Einzelgänger nicht Frauen, Freunden oder Familie, sondern Vögeln, vor allem den Tauben, die der Erzähler mit signifikantem Abscheu schildert. Je mehr es mit Gregor bergab geht, desto radikaler wendet er sich dem grauen Geflügel zu und macht seine Hotelzimmer – erst noble Suiten, dann üble Absteigen – zu Sanatorien für die von der Straße aufgelesenen Tiere.

Das meiste an Gregors Geschichte entspricht der Biografie Teslas; einige fiktive Elemente werden als Würzmittel hinzugegeben, etwa der pittoreske Intrigant Angus Napier, der zu Gregors heimtückischem Gegenspieler wird. Der Erfinder ist der archetypische Möglichkeitsmensch, der um die Früchte seiner Idee betrogen wird, immer wieder Rückschläge und Tiefschläge erlebt und schließlich verarmt und verkannt stirbt.

Besprochen von Wolfgang Schneider

Jean Echenoz: Blitze
Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel
Berlin Verlag, Berlin 2012
143 Seiten, 17,99 Euro