Mafia und Musik

Von Thomas Migge · 21.02.2012
Einige italienische Popsänger stehen im Ruf, gemeinsame Sache mit den Bossen der Camorra zu machen. Sie nennen sich Neomelodici und stellen in ihren Songs den kriminellen Clan positiv dar. Produzenten aus dem Umfeld der Mafia versuchen so, junge Leute gewinnen.
Mario Merola singt von der "Malavita", der Kriminalität Neapels, die immer auch Kriminalität der Camorra ist, wie man hier die Mafia nennt. In Merolas "canzone" werden die Bosse romantisch verklärt: als Helden, die den Reichen nehmen und den Armen geben, die gerecht sind und nur diejenigen umlegen, die es auch irgendwie verdient haben.

Im Song von Nello Liberti mit dem Titel "O' Capoclan", so nennt man jenen Boss, der einem Camorraclan vorsteht, ist vom Drogenhandel, von Prostitution und vom Morden die Rede. Der Boss wird als brutaler Mann dargestellt, der alles im Griff hat, der einschüchtert, der sich nimmt, was er will, und niemanden fragt.

Die Camorra wird nicht nur als ganz normale Lebensrealität beschrieben, sondern idealisiert und verklärt. Es ist der Kult der nackten Gewalt – so wie sie im Großraum Neapel zu erleben ist.
Gegen den Sänger und den Autor der "canzone" ermittelt jetzt die neapolitanische Anti-Mafia-Polizei. Die Anklage umfasst Gewaltverherrlichung und Propagierung mafiöser und somit antistaatlicher Werte. Der Videoclip ist offiziell nicht mehr zu sehen und die CD nicht mehr im Handel. Offiziell.

Seit kurzem fahndet die neapolitanische Polizei auch nach jenen Sängern und Produzenten der "neomelodici", die mit Pro-Camorra-Musik Geld verdienen. Viel Geld, denn das Geschäft mit der Mafia-Musik boomt, erklärt der Journalist und auf das Thema Camorra spezialisierte Buchautor Davide Carnini:

"Es existiert im Großraum Neapel eine Art Lust an der Kriminalität, eine Kultur der Gewalt, die in Rom oder sonst wo nur schwer verständlich erscheint. Wenn mafiöse Kultur Teil des Alltagslebens ist und nicht mehr als kriminell empfunden wird, ist es nur selbstverständlich, dass diese Kultur auch besungen wird. Dieses musikalische Phänomen wird seit einiger Zeit von der Camorra selbst lanciert."

Aus einem Nischenphänomen ist in den letzten Jahren ein Musikbusiness geworden, mit dem Produzenten aus dem Umfeld der Mafia gezielt junge Leute ansprechen wollen. Die Camorra wird als ganz normaler Nachbar besungen, der einem dabei hilft, einen Arbeitsplatz zu finden, Probleme aller Art zu lösen, der zur Stelle ist, wenn man Hilfe braucht.

Das Phänomen der Camorramusik, deren CD's man problemlos in zahlreichen neapolitanischen Musikgeschäften oder auch an Ständen auf der Straße kaufen kann, breitet sich aus. Das liegt daran, und das geben selbst ermittelnde Staatsanwälte zu, dass der Kampf gegen die organisierte Kriminalität stagniert. Der Einfluss der Bosse, vor allem in den Stadtrandquartieren, lässt sich einfach nicht wirksam bekämpfen. Dort gibt die Camorra nach wie vor und ungestört den Ton an. Sie nutzt die Musik, um ihre scheinbar nur positiven Werte unter die Menschen zu bringen. Unter Menschen, die dem Staat nicht mehr vertrauen, dafür aber den Bossen, und die deshalb auch deren Musik hören.

Links bei dradio.de:

Der Camorra-Kritiker will nicht aufgeben
Roberto Saviano: "Der Kampf geht weiter", Carl Hanser Verlag, München 2012, 176 Seiten


Mafiabücher in einer Mafiahochburg
Ein Literaturfestival im kalabresischen Lamezia Terme


Ort des Verbrechens
Simonetta Poggiali: "Der Götterbote", Knaus Verlag, München 2010, 159 Seiten


"Ich lebe in einem guten Gefängnis" - Autor Roberto Saviano über sein Leben nach der Veröffentlichung des Mafia-Romans "Gomorrha"
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