"Made in USSR"

18.03.2014
Manche Konzertprogramme erhalten über Nacht eine ungeahnte politische Aktualität. Wenn zum Beispiel das Nationalorchester der baltischen Republik Lettland Musik aus Zeiten der Sowjetunion aufführt und wenige Tage nach dem Konzert sich das benachbarte Russland genauso aggressiv verhält wie dieser untergegangene Staat.
Beinahe verzweifelt klammern sich die Zuhörerinnen und Zuhörer in Riga und anderen ehemals sowjetisch besetzten oder dominierten Städten und Ländern dann an die humanen Botschaften, die Komponisten zu dunklen Zeiten formuliert haben. Allen voran natürlich Dmitrij Schostakowitsch, dessen zehnte Sinfonie sich als Aufschrei des Individuums gegen ein mörderisches System hören lässt, allerdings nicht nur. Der triumphale Schluss dieses großen Werkes wurde immer ironisch-sarkastisch gedeutet, weil er so unvermittelt das ansonsten tragisch anmutende Werk beendet.
Wie scheinbar affirmativ und banal wirkt dann die anspruchsvolle Unterhaltungsmusik, die derselbe Komponist verfasst hat! In der so genannten zweiten Jazz-Suite von Schostakowitsch steckt auch der wohl berühmteste Konzertwalzer unserer Zeit (der es in seiner charmanten Leichtigkeit spielend mit den Stücken Johann Strauss‘ oder Tschaikowskys aufnehmen kann). Doch hört man genau hinein in diesen und andere Estraden-Tänze dieser Suite, kann es einem schon recht kalt den Rücken runterlaufen. Melancholisch und geradezu ängstlich erscheinen da die Bewegungen auf dem Tanzboden.
Gegen jede einfache Deutung setzte Alfred Schnittke seinen Polystilismus. Mit Zitaten und Figuren aus verschiedenen Epochen und Stilistiken entzog er sich politischer wie kommerzieller Vereinnahmung. Das zweite Concerto Grosso bietet viele packende Momente zwischen maschinenhafter Präzision und emotionaler Tiefenschärfe.
Der estnische Dirigent Olari Elts kennt das Lettische Nationalorchester sehr gut, schließlich war er bis 2006 dessen künstlerischer Leiter. Inzwischen hat er sich international nicht nur als hervorragender Fachmann für zeitgenössische Musik einen Namen gemacht. Aktuell sind die Werke dieses Konzertprogramm auf jeden Fall, auch wenn sie schon einige Jahre alt sind. Nicht nur die politische Gegenwart holt die Brisanz älterer Musik des letzten Jahrhunderts immer wieder ans Tageslicht.
Große Gilde, Riga
Aufzeichnung vom 21.02.2014

Dmitrij Schostakowitsch
Suite für Varieté-Orchester (Auszüge)

Alfred Schnittke
Concerto Grosso Nr. 2 für Violine, Violoncello und Orchester

ca. 21:00 Uhr Konzertpause mit Nachrichten
"Made in USSR"
Inga Trost im Gespräch mit dem Dirigenten Olari Elts

Dmitrij Schostakowitsch
Sinfonie Nr. 10 in e-Moll op. 93

Eva Bindere, Violine
Kristina Blaumane, Violoncello
Lettisches Nationales Sinfonieorchester
Leitung: Olari Elts