"Lyrische Suite für Streichquartett" von Alban Berg

Psychogramm einer großen Liebe

Der österreichische Komponist Alban Berg in einer zeitgenössischen Aufnahme.
Der österreichische Komponist Alban Berg © dpa/picture alliance/Ullstein
Gast: Frank Schneider, Moderation: Michael Dasche · 26.06.2016
Das berühmteste Wort zur Charakterisierung von Alban Bergs "Lyrischer Suite" stammt von Theodor W. Adorno, getreuer Schüler des Komponisten. Demnach handele es sich bei dem Werk um eine "latente Oper", was bei einem Streichquartett zunächst einmal überrascht.
Plausibel wird diese Kennzeichnung, weil Alban Berg ein genuiner Musikdramatiker war, sein Instrumentalschaffen davon kaum unberührt bleiben konnte. Allerdings geht Adornos pointierter Vergleich einher mit der strikten Ablehnung einer anderen Rubrizierung des Werks: "Bar aller illustrierenden Absicht, darf es gewiss nicht als Tondichtung im neudeutschen Verstande genommen werden."
Was verbirgt sich dahinter? Sollte mit der Betonung des opernhaften wie auch des musikalisch-absoluten Charakters der Suite theoretisch bemäntelt werden, was Adorno, aber auch andere Eingeweihte aus Bergs persönlichem Umfeld ahnten oder wussten: dass hier das Drama einer verbotenen Liebe den biografischen Hintergrund bildet? Jeglicher Diskretion über die heftige Liebesaffäre zwischen Alban Berg und der verheirateten Industriellengattin Hanna Fuchs-Robbetin enthoben, betrachten heutige Exegeten das "geheime Programm" oft als die Hauptsache des Werks. Das ist problematisch, gerät damit doch die konstruktive Autonomie aus dem Blick, die gerade in dieser zwischen frei-atonaler und reihentechnisch organisierten Komposition so differenziert ausgeprägt ist.
Namentlich nach Reintegration einer von Berg getilgten "geheimen Gesangsstimme" in den finalen Satz durch George Perle spitzt sich die Frage zu: Soll man der stummen Vertonung des Sonetts "De profundis clamavi" von Baudelaire / George den Vorzug geben oder der in neueren Einspielungen verfügbaren Fassung des Satzes für Sopran und Quartett? Und auf ganze Werk bezogen: Gibt es für Interpreten aus den privaten Denotaten Bergs hörbare Konsequenzen? Und was bedeutet das alles für unser Hören dieser Musik, wenn man nicht den Genuss autobiografischer Pikanterien als rezeptiven Endzweck ansehen möchte?