Lyrikerin Charlotte Van den Broeck

"Ich bin jung, eine Frau und schreibe Gedichte"

Die flämische Lyrikerin Charlotte Van den Broeck im Interview mit Deutschlandradio Kultur
Bei Sonnenschein in Antwerpen: die flämische Lyrikerin Charlotte Van den Broeck im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. © Michael Wagner
Von Marten Hahn · 18.10.2016
Die flämische Lyrikerin Charlotte Van den Broeck zählt zu den erfolgreichsten Dichterinnen ihrer Generation. Obwohl sie erst einen Gedichtband veröffentlicht hat, eröffnet sie gemeinsam mit Arnon Grünberg die Frankfurter Buchmesse. Wir haben sie vorher getroffen.
"Looks good."
"What is that?"
"It’s a popsicle. With Mango."
Ein warmer Sommernachmittag in Antwerpen. Charlotte van den Broeck bestellt ein Eis. Mit dem Holzstiel wird sie später das Interview dirigieren.
"Ich habe das Gefühl, dass ich eine Art Statement bin. Ich kann zehn Namen nennen, von Personen, die besser geeignet wären, als ich. Ich habe mich sehr gefreut, als sie mich gefragt haben. Aber ich hatte auch Angst, das zu machen."
Van den Broeck ist Jahrgang 1991. Gemeinsam mit Arnon Grünberg, den viele für den besten niederländischen Gegenwartsautor halten, wird sie die Frankfurter Buchmesse eröffnen. Dass die Wahl auf Grünberg fiel, hält sie für logisch. Dass auch sie dabei ist, hält die Lyrikerin eher für Zufall:
"Die Niederländer haben Arnon gewählt. Und die Flamen dachten dann: Lasst uns keinen Mann nehmen. Oder einen anderen Prosa-Autor. Und dann haben sie ein paar Häkchen gesetzt und entschieden, dass ich das machen soll. Weil ich sehr jung bin und Gedichte schreibe ... Und ich bin eine Frau."

"Bisher ging es vor allem um Psychologie"

Getroffen haben sich die beiden nur einmal, ein paar Minuten während eines Mittagessens. Jetzt schreiben sie sich Briefe.
"Und basierend auf diesen Briefen werden wir unser Eröffnungsrede entwickeln. ... Bisher ging es vor allem um Psychologie. Das interessiert ihn sehr. Und wir unterhalten uns darüber, wie Menschen ihr eigenes Leben in eine Geschichte verwandeln, dem Ganzen eine narrative Struktur geben. Das schafft Mythen. Und Sicherheit. Das diskutieren wir."
Auf der Bühne soll das Ganze dann ein Dialog werden.
"Ich würde gern, dass sich unsere Stimmen verschränken. Aber ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wie der Text aussehen wird. Aber der Prozess ist sehr interessant."

Debütpreis erhalten

Van den Broecks erster Gedichtband Kameleon erhielt in diesem Jahr den Herman-de-Coninck-Debütpreis. Ihre Texte handeln davon, wie aus einem Mädchen eine Frau wird. Mit erzählerischer Leichtigkeit dichtet sie vom Erwachsenwerden:
"Zwischen den Trümmern des Vergessens steht der Bücherschrank/meines Großvaters und der Sonntagnachmittag,/an dem wir gemeinsam den Atlas lasen, sein Finger/auf der Hauptstadt Rumäniens.
Es gebe dort ‘eine wunderbare Sammlung Huren’/und ich dachte, dass eine Hure etwas wie der Eiffelturm sei /und warf ihm vor, davon nie / eine Miniaturversion mitgebracht zu haben."
"Kameleon" hat drei Teile. Teil 1, "Das rote Kreuz auf der Schatzkarte", handelt vom Kindsein.

"Wie mysteriös die Erwachsenenwelt Kindern scheint"

"Wenn man ein Kind ist, glaubt man, Erwachsensein birgt unheimlich viele Geheimnisse. Ein Wissensschatz, den man als Kind nicht hat. Als ich klein war, konnte ich mir nicht vorstellen, 21 zu sein. Ich hatte keinen blassen Schimmer davon, wie ich aussehen oder was ich tun würde. Es geht also darum, wie mysteriös die Erwachsenenwelt Kindern scheint."
Van den Broeck weiß: Es gibt nur wenige Menschen, die Gedichte lesen. Aber es gibt viele Menschen, die sich Gedichte anhören. Und so hat sie sich auch als Bühnenpoetin einen Namen gemacht.
"Wenn ich Gedichte vortrage, mache ich das immer auswendig. Ich will nicht auf die Bühne gehen und das Gefühl vermitteln, ich würde etwas vorlesen, was ich Zuhause geschrieben habe. Ich will das auf der Bühne neu zusammenbauen. Ich tue dann quasi so, als würde ich bei Null anfangen. Bild für Bild. Als würde ich das zum ersten Mal machen."

"Open-Air lassen sich die Leute leichter ablenken"

An ein bestimmtes Publikum denkt sie nicht, wenn sie schreibt oder vorträgt. Der Veranstaltungsort hingegen spielt durchaus eine Rolle. Ein geschlossener Raum ist einfacher zu bespielen, sagt sie. Die Person auf der Bühne habe eine gewisse Macht.
"Bei Open-Air-Events hingegen musst du den Raum erobern, weil der Raum nicht nur für dich da ist. Die Umgebung spielt eine Rolle. Die Leute lassen sich leichter ablenken. Einmal habe ich an einem warmen Sonntag im Park traurige Gedichte vorgetragen. Die Leute wollten aber einen lustigen Tag im Park. Ich konnte spüren, dass sie nicht zufrieden waren."
In Frankfurt wird sie dementsprechend leichtes Spiel haben. Die Eröffnung findet im Kongresszentrum der Buchmesse statt. Sind die Türen erst einmal geschlossen, gibt es kein Entkommen.

Charlotte Van den Broeck: "Kameleon"
Lyrikline, 2016.
Übersetzung von Janet Blanken

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