Lyrik

Zeitgenosse von Husserl und Heidegger

Drei beleuchtete Globen
"Teile einer Welt" ist ein programmatischer Titel. Tatsächlich widmet sich Wallace Stevens vor allem der Frage, wie sich Teile zum Ganzen fügen. © dpa picture alliance / Markus C. Hurek
Von Jörg Magenau · 21.06.2014
Wallace Stevens gehörte zu den bedeutendsten amerikanischen Lyrikern des 20. Jahrhunderts. Die neue Übersetzung stellt die bisher umfassendste Sammlung seiner Gedichte dar, Rainer G. Schmidt hat dabei Großes geleistet.
Das Leben von Wallace Stevens war Dichtung; der Rest eher langweilig. Von 1916 bis 1955 arbeitete er als Jurist für eine Versicherungsgesellschaft in Hartford/Connecticut. Sein Erfolg hielt sich bis kurz vor seinem Tod, als er für die "Collected Poems" 1955 den Pulitzer Preis erhielt, in überschaubaren Grenzen. Sein Debüt, der Gedichtband "Harmonium", verkaufte sich im Erscheinungsjahr 1923 nur hundert mal.
Dabei gehört der 1879 geborene Wallace Stevens neben den etwas jüngeren und viel berühmteren Generationsgenossen T.S. Eliot, Ezra Pound und William Carlos Williams zu den bedeutendsten amerikanischen Lyrikern des 20. Jahrhunderts. Jetzt hat der Übersetzer Rainer G. Schmidt die bisher umfassendste Sammlung neu ins Deutsche gebracht - Gelegenheit, diesen großen Lyriker zu entdecken.
Stevens setzt auf die Schöpferkraft der Worte
"Teile einer Welt" erhebt einen Stevens-Titel aus dem Jahr 1942 programmatisch zum Werk-Titel. Tatsächlich ist eines der großen Themen all dieser Gedichte, wie die Teile sich zum Ganzen fügen.
"Es gibt viele Wahrheiten, aber sie sind nicht Teile einer Wahrheit", heißt es in dem Gedicht "Auf der Straße nach Hause". Und weiter, durchaus skeptisch: "Worte sind nicht Formen eines einzigen Wortes. / In der Summe der Teile gibt es nur die Teile. / Die Welt muss mit dem Auge ausgemessen werden."
Stevens setzt auf die Schöpferkraft der Worte. Er benennt die Dinge, und schon sind sie in der Welt. Das setzt eine Form der Wahrnehmung voraus, die von allen Bewusstseinsinhalten und guten Absichten gereinigt ist.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
W. Stevens: "Teile einer Welt"© Jung und Jung
Das Sehen, das Hören als Ausgangspunkt: Kein Wunder, dass Stevens-Gedichte so oft wie Malerei erscheinen, Bilder, die sich zwischen impressionistischem Flirren, kubistischer Zerlegung und symbolistischer Bedeutungssuche bewegen - nur dass Symbole bei ihm nicht auf etwas Höheres, sondern vielmehr zurück auf die Dinge selbst verweisen:
"Eine Übung die Welt zu betrachten. / Blick auf das Motiv! Aber man schaut aufs Meer, / Während man auf dem Klavier improvisiert."
Stevens' Gedichte sind nicht einfach, und doch sind sie ungemein sinnlich und körperlich: Es gibt keinen anderen Ansatzpunkt als die leibliche Verankerung der Sprache. Zugleich sind sie immer auch Gedankenkonstrukte und schon eine Art Theorie der Wahrnehmung. Nicht zu Unrecht ist Stevens philosophisch immer wieder in die Nähe der deutschen Phänomenologie gerückt worden, ein dichterischer Zeitgenosse von Husserl und Heidegger.
Übersetzung nahe am Original, aber mit nötigen Freiheiten
Es ist schwer bis unmöglich, diese Lyrik angemessen ins Deutsche zu übersetzen, weil sie voller Anspielungen und reich an sich überlagernden Wortbedeutungen ist - ganz abgesehen davon, dass die feine Melodik und Rhythmik sich im Deutschen nicht erreichen lassen.
Rainer G. Schmidt hat da Großes geleistet. Er bleibt nah am Original, gelegentlich fast wie eine Interlinearübersetzung, doch mit aller Freiheit, die nötig ist, um genau zu sein. Nicht immer sind all seine Entscheidungen nachvollziehbar, wenn er ohne Not von Begrifflichkeiten abweicht oder eher unwichtige Reime nachbildet, (die bei Stevens selten genug vorkommen).
Aber das sind unlösbare Probleme jeglicher Lyrikübertragung, die immer nur eine Notlösung sein kann. Umso höher ist der Mut zu veranschlagen, es trotzdem zu tun.

Wallace Stevens: Teile einer Welt
Ausgewählte Gedichte, zweisprachige Ausgabe in neuer Übersetzung von Rainer G. Schmidt
Jung & Jung Verlag Salzburg, Februar 2014
632 Seiten, 45,00 Euro