"Lyrik von Jetzt 3 / Babelsprech"

Polyphoner Chor junger Autoren

Ausschnitt aus dem Buchcover "Lyrik von Jetzt 3 - Babelsprech", Max Czollek, Michael Fehr, Robert Prosser (Hg.)
Von freien Rhythmen bis Metaphernsalat - neue Gedichte aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. © Wallstein Verlag
Von André Hatting · 02.12.2015
Im Gedichtband "Lyrik von Jetzt 3/Babelsprech" gibt es nichts, was es nicht gibt: Natur, Stadt und Tiere. Montagen, Mundartliches und typografische Spielereien. Neu ist an dieser dritten Ausgabe der Zuwachs aus Österreich und der Schweiz. Es überraschen vor allem die Newcomer, deren Namen man noch gar nicht kennt.
2003 hatten die Autoren Jan Wagner und Björn Kuhligk eine Idee: Sie wollten eine U-35-Lyrikanthologie machen. Gedichtsammlungen gab es zwar bereits viele. Aber bis dato keine mit Altersbeschränkung, keine nur für den Nachwuchs. Der Band war ein Erfolg, die Initiatoren legten 2008 mit "Lyrik von Jetzt 2" nach. Heute sind viele von damals längst angekommen in den Verlagen, basteln am vierten Band, freuen sich auf den achtzehnten Preis. Jan Wagner ist das prominenteste Beispiel.
Trinationales Herausgeberteam
Die jetzt erschienene dritte Bestandsaufnahme unterscheidet sich konzeptionell von ihren Vorgängern. Zum einen haben Max Czollek, Michael Fehr und Robert Prosser das Wagner/Kuhligk-Erbe um österreichische und Schweizer AutorInnen ergänzt. Dadurch hat sich die Zahl der Beiträger fast verdoppelt. Zum zweiten betrachten die trinationalen Herausgeber ihren Querschnitt als Projekt: Konferenzen, eigene Homepage, Blog und zahlreiche Lesungen in allen drei Ländern sollen nicht nur die neue Generation einem möglichst breiten Publikum präsentieren. "Lyrik von Jetzt 3/Babelsprech" ist auch als Plattform und Netzwerk für die jungen Autorinnen und Autoren selbst gedacht.
Freie Rhythmen dominieren
"Die wichtigsten Stimmen der jungen deutschsprachigen Lyrik in einem Band" - so das Verlagsversprechen - bilden einen polyphonen Chor. Sowohl technisch als auch thematisch gibt es nichts, das es nicht gibt: Natur, Stadt, Tier und Insichismus. Typografische Spielereien, Zitatismus, Montage, Mundartliches. Einzig die Renaissance antiker Strophen- und Versmaße, die zum Beispiel ein Jan Wagner virtuos betreibt, macht keine Schule. Es dominieren die freien Rhythmen, teilweise im freien Fall. Auch auf semantischer Ebene erinnert mancher Metaphernsalat weniger an Gedichte als an poetisches Packpapier, frei nach dem schönen Satz von Robert Gernhardt: Morgens um zehn habe er schon drei Celans geschrieben, aber noch keinen einzigen Brecht.
Die Überraschung von "Lyrik von Jetzt 3" ist, dass ausgerechnet aus den Reihen der Novizen ohne lange Publikationsliste die interessantesten Beiträge kommen. Frieda Paris' kleine Serie über die Klosterschule Wald beispielsweise gehört zu den gelungensten Versen des Buches:
fünf Jahre verbracht in einem Schutz-
Gebiet dem alles Wilde ausgetrieben
bis auf ein paar jungen Rehen das Ora et Labora
eingebläut der Traum: diesen Hort verlassen
bleibt unausgepackt im Koffer
A wie Ausbildung und Abitur
vom Ortsabgang an kannten die Mädchen
nichts als Falten:
Rock-, Stirn-, Tischdecken-, Hände-

Max Czollek, Michael Fehr, Robert Prosser (Hg.): Lyrik von Jetzt 3 / Babelsprech,
Wallstein Verlag, Göttingen 2015, 360 Seiten, 19,90 Euro

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