Lyrik

Schweinsteigers Adlerauge kreist

BayArena in Leverkusen bei dichtem Schneefall (19.12.2010).
Sternstunden des Fußballs beschreibt Albert Ostermeier in seiner Lyrik. © picture alliance / dpa / Rolf Vennenbernd
Von Michael Opitz  · 11.06.2014
Wenn die eigene Mannschaft mal nichts auf die Reihe bekommt, kann man sich von Albert Ostermeiers Oden beflügeln lassen. Da wird Torhütern oder Mittelfeldstrategen gehuldigt und so an Sternstunden des Fußballs erinnert.
Als sich der Lyriker Albert Ostermaier entschloss, Fußball-Gedichte zu schreiben, stand er vor der Frage, welche Spieler er auswählen würde. Das Gros, der von ihm aufgestellten Spieler, gehört dem FC Bayern München an. Gegen diese Wahl spricht, dass ein genialer Ballkünstler wie Zinédine Zidane ebenso wenig berücksichtigt wird wie Pelé. Beide dürfen nicht einmal auf der Auswechselbank Platz nehmen, sondern landen gleich auf der Strafbank der Vergessenen. Allerdings erinnert Ostermaier an den Fußballer Julius Hirsch, der, obwohl er das Nationaltrikot der deutschen Mannschaft sieben Mal trug, als Jude nach Auschwitz deportiert wurde, wo sich seine Spur verlor – 1945 wurde er für tot erklärt.
Ostermaier, selbst Torwart der deutschen Dichterfußballnationalmannschaft, hat aus verständlichen Gründen eine Schwäche für Spielerinnen und Spieler mit der Nummer Eins auf dem Trikot. Neben Oden, die Nadine Angerer (Natze), Sepp Maier und Manuel Neuer ("er zeigt der angst die / kalte schulter und das blatt / das ihn verwundbar hält“) gewidmet sind, ist er fasziniert von dem dreimaligen Welttorhüter Oliver Kahn, der im Zentrum von gleich sechs Gesängen steht. Fast selbstverständlich eröffnet Ostermaier seinen Gedichtband “Flügelwechsel“ mit "die philosophie der 1 oder: sechste ode auf kahn“.
Flügelwechsel zur Malerei
Nach einer fulminanten lyrischen Eröffnung herrscht dann beredtes dichterisches Schweigen, sodass Raum für einen Flügelwechsel zur Malerei und zu 14 Abbildungen des bildenden Künstlers Florian Süssmayr bleibt. Markiert wird so ein räumlicher Abstand, denn die zweite von Ostermaiers Oden ist einem glänzenden Mittelfeldstrategen gewidmet. Sokratés, der in der brasilianischen Nationalmannschaft spielte, ignorierte in seiner aktiven Zeit die Vorschriften der medizinischen Abteilung und rauchte 20 Zigaretten am Tag. Von seinem frühen Tod weiß Ostermaier in seinem Gedicht ebenso zu berichten wie von den außergewöhnlichen fußballerischen Fähigkeiten des studierten Mediziners.
Ostermaiers Langgedichte weisen keine Strophengliederung auf. Er orientiert sich bei der Bezeichnung Ode eher an dem von Herder formulierten Hauptmerkmal, wonach die Ode dem "Faden der Leidenschaft“ folgt. Auffällig ist, wie Ostermaier Gebrauch vom hohen sprachlichen Stil macht und so der Odenform gerecht wird. Leidenschaft der Rede zeichnet die Ode aus. In dem Thomas Müller zugeeigneten Gesang wird dies deutlich, wenn Ostermaier prometheisches Aufbegehren und entfesselte Spielweise zueinander in Beziehung setzt. Und in der "ode an bastian schweinsteiger“ vergleicht er den Blick des Athleten, der das Spielfeld überschaut, mit dem Auge des Adlers, der kreisend auf den günstigen Augenblick wartet, um pfeilschnell zum Angriff überzugehen.
Dieses anspruchsvolle und zugleich unterhaltsames Buch sollte griffbereit liegen, wenn während der Fußball-WM in Brasilien die fußballerische Kunst am Boden liegt, um sich dann, beflügelt durch eine von Ostermaiers "Fußball-Oden“, Sternstunden des Fußballs in Erinnerung zu rufen.

Albert Ostermaier: Flügelwechsel. Fussball-Oden
Mit Bildern von Florian Süssmayr und einem Vorwort von Oliver Kahn
Insel Verlag, Berlin 2014
112 Seiten, 13,95 Euro

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