Lyrik für den Strandkorb

13.07.2010
Die Reize der Ostsee sind unterschwelliger und anregender als so manches afrikanisches Abenteuer. Das beweisen die mehr als 100 Gedichte von zeitgenössischen deutschen Schriftstellern.
Wasser, Wellen, Sanddorn und Hering: Eine der Haupteigenschaften der Ostsee ist, das darf man nicht vergessen, die Nähe zu Berlin. Nicht nur zu Berlin natürlich, sondern auch zur ehemaligen DDR. Von Berlin wie von Dresden aus war und ist die Ostsee das nächste größere Gewässer, und nach wie vor wird sie von all den in dieser Gegend lebenden Menschen - unter ihnen nicht wenige Dichter - gern aus Gründen der Erholung angesteuert. Dass auch im Urlaub - oder während eines Aufenthaltes im Künstlerhaus Ahrenshoop – so manches (ortsbezogene) Gedicht entsteht, versteht sich von selbst.

Die Hauptaufgabe Ron Winklers, Herausgeber des Bandes "Die Schönheit ein deutliches Rauschen", wird es darum gewesen sein, aus der Fülle an Material gut auswählen und das Ausgewählte dann klug anzuordnen.

Es ist ihm, das sei gleich gesagt, vorzüglich gelungen. Die überdies schön gestaltete Sammlung von über 100 zeitgenössischen Ostseegedichten liest sich bei aller Vielfalt - so unterschiedliche lyrische Temperamente wie Jan Wagner und Claudia Gabler, Nico Bleutge und Ulrike Draesner, Volker Braun und Kathrin Schmidt sind vertreten - als stimmiges Ganzes.

Das mag auch daran liegen, dass die Ostsee in den meisten Gedichten als Ort der Kontemplation und Reflektion, nicht als wild stürmendes Überwältigungsmeer in Erscheinung tritt. Wie eine leere Projektionsfläche mutet sie zuweilen an, ein blanker Spiegel oder auch ein weißes Blatt Papier. Die paar Fische, Möwen, Schiffe, die sich auf und in ihr herumtreiben, sind eigentlich nicht der Rede wert. Und was die Küste angeht, die die Dichter mitunter auch vom Meer aus beobachten - das polnische Frombork etwa betrachtet Jan Wagner vom Wasser aus - so hat auch die in der Regel nicht viel zu bieten: Ein Kirchlein, etwas Bernstein und das war es dann auch schon:

"Hach, an diesem Ort
hast du multiple Namen, hier flattert deine Hose
irre im Wind, nichts, wirklich rein gar nichts ist
bedeutungsvoll hier, life is a fucking beach."


So die Diagnose Claudia Gablers. Aber natürlich ist die Ostseeküste auch ein historischer Ort: Hier bauten Nazis Bomben und Erholungsheime, hier schiffte sich die schwedische Flotte ein. Echos dieser Ereignisse klingen in den Gedichten dieses Buches immer wieder an. Besonders gründlich vermag der in Greifswald geborene Steffen Popp die historischen Tiefenschichten lyrisch auszuloten (einem seiner Gedichte ist übrigens auch der Titelvers entnommen).

Doch bleibt am Ende der Eindruck, dass die Ostsee ein eher stilles Gewässer ist. Eines, dass Raum lässt für eigene Fantasien:

"auf dem menschenleeren Steg
lag einzig ein Junge, wie mir schien, und träumte von Sansibar"


- heißt es in Hendrik Jacksons Gedicht "Heiligendamm" entsprechend. Die Reize der Ostsee sind eben unterschwelliger, anregender als so manches afrikanische Abenteuer. Vor allem, wenn man diese Anthologie in der Strandtasche bei sich trägt.

Besprochen von Tobias Lehmkuhl

Ron Winkler (Hg.): Die Schönheit ein deutliches Rauschen. Ostseegedichte
Connewitzer Verlagsbuchhandlung, Leipzig 2010
156 Seiten, 15 Euro
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