Lyrik-Avantgarde aus den USA

09.02.2012
Dieser Gedichtband von Hilda Doolittle, kurz H.D., aus dem Jahr 1916 wurde zu einem der Kerntexte der amerikanischen Moderne. Erst jetzt wurde er ins Deutsche übersetzt. Und weist H.D. die Bedeutung zu, die ihr zusteht.
Hilda Doolittle ist eine der wichtigsten Autorinnen der angloamerikanischen Moderne, ihr Debütband erschien 1916 – und liegt nun endlich in deutscher Übersetzung vor. Sie war 30 Jahre alt, als dieser Gedichtzyklus erschien und lebte seit fünf Jahren in Europa (wo sie 1961 auch starb). Amerika hatte sie nicht zuletzt verlassen, weil sie ihrem damaligen Verlobten Ezra Pound folgte. Das Liebesbündnis zerbrach bald, die literarische Beziehung und Wertschätzung blieb bestehen.

Dass sie in die Literaturgeschichte nur mit ihren Initialen H.D. einging, verdankt Hilda Doolittle auch Pound, der in der schönen Dichterin all das verkörpert sah, was die literarische Avantgarde Anfang des 20. Jahrhunderts - die Imagisten - sich auf die Fahnen geschrieben hatte. Er lobte ihre Lyrik in den höchsten Tönen, an der sei "nichts Schwammiges ... - kein überflüssiges Adjektiv, keine Metaphern, die nicht der Prüfung standhalten". Es ging den "Imagists" um den Bruch mit den literarischen Konventionen, mit dem lyrischen Regelwerk der viktorianischen Zeit. Nicht mehr festgelegte Reime und vorgegebene Rhythmen sollten die Gedichte beherrschen, sondern der freie Vers.

Gemeinsam mit ihrem Ehemann Richard Aldington und Ezra Pound hat H.D. die poetologischen Grundsätze des Imaginismus formuliert, in denen es unter anderem heißt: "Sequenzen sind nach der musikalischen Rhythmik zu gestalten, nicht nach der des Metronoms" und "Unter keinen Umständen werden Worte verwendet, die nicht zur Darstellung beitragen".

Was und wie H.D. sich an diese Grundsätze nicht nur hält, sondern wie sie mit ihnen sprachgestaltend und bildformend umgeht, davon kann man sich in ihrem ersten Gedichtband überzeugen. Er ist eine große Hommage aufs Meer. Sie benutzt anstelle der traditionellen Verse eine klare Sprache, den freien Reim. Der Band wurde zu einem der Kerntexte der amerikanischen Moderne. Dass er jetzt erst ins Deutsche übersetzt wurde, ist höchst verwunderlich, hat aber sicher auch damit zu tun, dass – anders als Pound – die Literaturwissenschaft H.D. erst sehr spät die Bedeutung zuwies, die ihr zusteht.

Die zweisprachige Ausgabe, die der kleine Verlag luxbooks (der sich überhaupt um die amerikanische Dichtung des 20. Jahrhunderts verdient macht) jetzt vorlegt, ist vorbildlich. Die Übersetzerin Annette Kühn deckt die Schwierigkeiten beim Übersetzen auf: die komprimierten Verse, die puristische Sprache lassen sich nicht ohne Verluste ins Deutsche übertragen. Sie macht das an Beispielen deutlich, wenn sie sich etwa entscheiden muss, ob und warum sie sich – weil Doolittle bei "tear down" (niederreißen) auf "down" verzichtet - für "tear"/Träne entscheidet. Abgesehen von solch klugen Erläuterungen, die einen Einblick in die Mühen der Übersetzerarbeit geben, kann man in und mit diesen Gedichten lernen, was Sprache, was Lyrik vermag: Wir sehen neu und lernen die Bedeutung der Worte neu buchstabieren, wenn wir durch die Augen der Dichterin etwa auf einen Pfirsichbaum schauen: "O weißer Pfirsich,/ deine Blüten-Schöpfe/dick auf dem Zweig/ bringen Sommer und reife Früchte/ in ihre blauroten Herzen"

Für Schnellleser und fixe Versteher ist der Band nichts, für die, die in der Sprache versinken wollen, kann er alles werden.

Besprochen von Manuela Reichart

H.D.: MeeresGarten
Übersetzt von Annette Kühn, mit Illustrationen von Martina Hoffmann
luxbooks, Wiesbaden 2012
132 Seiten, 19,80 Euro