Lydie Auvrays Album "Musetteries"

Die Botschafterin des Akkordeons

Die Akkordeonspielerin Lydie Auvray
Bei Lydie Auvray klinge die Musette nur selten nach Musette, meint unser Kritiker. © imago / Mavericks
Von Carsten Beyer  · 10.11.2015
Für die Französin Lydie Auvray ist das Akkordeon mehr als ein reines Volksmusikinstrument. Sie spielt damit auch Rock, Pop, Reggae und sogar Hip-Hop. Auf ihrer neuesten CD "Musetteries" wendet sie sich nun ihren musikalischen Wurzeln zu, der französischen Musette.
Leicht und beschwingt kommt die Musik daher, und doch gibt es oft auch einen melancholischen, schicksalsschwangeren Unterton. Entstanden ist die Musette im späten 19. Jahrhundert in den Ballhäusern von Paris. Hier mischten sich Volkslieder aus der Auvergne, der Einfluss italienischer Einwanderer und später auch der Swing Manouche der osteuropäischen Sinti und Roma zu einem schwungvollen und sehr populären Tanz.

Der Name Musette stammt von einem Dudelsack, der damals meist die Hauptstimme übernahm. Nach und nach aber wurde dieser durch das Akkordeon abgelöst. So hat auch Lydie Auvray die Musik kennen gelernt, als Teenager in den Sechzigerjahren. Ihr musikbegeisterter Vater hatte sie in der Akkordeon- Klasse auf der Musikschule ihrer Heimatstadt angemeldet

Auvray: "In der Pubertät war das natürlich altbacken und überhaupt nicht modern. Und da habe ich mich so’n bisschen geschämt, ja, und da hab' ich erst mal Gitarre gelernt und Beatles-Songs und sonst irgendwelche Popsongs gesungen. Aber ich hab' immer mein Akkordeon behalten, hab' und zu für meinen Vater eben gespielt und als ich nach Berlin später nach dem Abitur gegangen bin, habe ich das irgendwann dann mal mitgebracht. Und dann war das eine kleine Sensation, dieser Klang und diese Art, zu spielen. Das kannte man allerhöchstens von Kommissar Maigret-Filmen."

Der besondere Klang der Musette wird vor allem geprägt durch das Knopfakkordeon. Dieses Instrument, das sich deutlich von dem in Deutschland üblichen Klavierakkordeon unterscheidet, ist besonders geeignet, die vielen Triolen der Musette klangrein und in der entsprechenden Geschwindigkeit zu spielen. Auf der Seite der rechten Hand, wo sich normalerweise die Tasten befinden, sind hier kleine Knöpfe angebracht. So kann Lydie Auvray nur mit Zeigefinger und kleinem Finger eine ganze Oktave halten.

Auvray: "Also ich erlebe immer wieder, wenn ich Workshops gebe oder auch so, dass Leute zu mir kommen und sagen: Ja wunderbar, wir spielen gerne ihre Stücke, aber immer in diesem dritten Teil, wenn die Triolen kommen, da ist es bei uns dann total schwierig. Und das liegt beim Knopfakkordeon eben einfach viel günstiger. Deshalb ist es auch so typisch für das Knopfakkordeon, diese Musik."
"Pour Toi" ist das vielleicht persönlichste Stück
Bei Lydie Auvray klingt die Musette selten nur nach Musette. Fast immer mischt sie Einflüsse anderer Genres in ihre Kompositionen. Hier mal ein karibischer Rhythmus, da mal eine Polka und auch vor Jazz und Tango-Einflüssen hat sie keine Scheu. Und dann ist da auch noch der Java, ein lebhaft schwingender Ländler, der in den Pariser Ballhäusern enorm populär war, nicht zuletzt wegen seines erotischen Untertons.

Auvray: "Das kennt man, wenn man alte französische Spielfilme sieht, und es ist ganz typisch, weil die Frauen haben immer die Hände um den Hals des Mannes, und die Männer haben die Hände, sagen wir mal, ziemlich tief im Rücken der Dame. Dieser Tanz ist sehr witzig, der wackelt so hin und her. Ich habe etliche Javas geschrieben. Das ist ein Stil, den ich auch sehr gerne mag."

Nur bei zwei Titeln auf dem neuen Album greift die Auvray zum Mikrofon. Obwohl sie eigentlich ganz gerne singt, ist es ihr lange schwergefallen, eigene Texte zu schreiben. Irgendwie sei da immer das Vorbild der großen französischen Chansonniers vor ihren Augen gewesen, sagt sie, das habe sie gehemmt. Geholfen, ihre Selbstzweifel zu überwinden, hat ihr dann ausgerechnet Hannes Wader. Der deutsche Liedermacher hat ihr eines Tages angeboten, ihre Texte gegenzulesen.

Auvray: "Hannes ist ja ein guter alter Freund, wir haben jahrelang früher zusammen gespielt und wir sind danach Freunde geblieben. Also schicke ich ihm meine Texte, um seine Meinung zu haben, und wenn er mir sagt, der Text ist klasse, dann … Das hätte ich früher nicht für möglich gehalten, dass es eines Tages passiert. Aber es passiert, und dann bin ich happy, dann denke ich, das kannst du singen."

In dem Stück "Pour Toi", dem vielleicht persönlichsten Stück auf der neuen CD, beschreibt Lydie Auvray, wie sie ihr Vater einst zum Akkordeonspielen gebracht hat. Damals hat sie ihn verflucht, den Automechaniker aus kleinen Verhältnissen, der selbst nie ein Instrument erlernen durfte und der seinen Traum dann auf die Tochter übertrug. Heute dagegen, 50 Jahre später, ist sie ihrem Vater einfach nur dankbar. Auch wenn er das nun leider nicht mehr miterleben kann.