Luxemburg 1945

Überfallen, unterdrückt, befreit

Blick auf das Monument du Souventir mit der luxemburgischen Flagge zur Erinnerung an die Gefallenen des Ersten und Zweiten Weltkriegs.
Das Denkmal Gëlle Fra in Luxemburg-Stadt erinnert an die Gefallenen des 1. und 2. Weltkriegs © dpa / Romain Fellens
Von Paul Stänner  · 22.04.2015
1945 war für viele Länder eine Zeitenwende. Das Deutsche Historische Museum thematisiert die europäische Dimension dieser Zäsur und blickt in zwölf Länder - auch nach Luxemburg, das oftmals beim Blick auf das Kriegsende übersehen wird.
Wir betreten einen dunklen Raum. An den Wänden hängen großformatige Fotos vom Kriegsende, darunter jenes bekannte Porträt eines blonden Jungen in Wehrmachtsuniform, der erschöpft und verstört in die Kamera blickt. 1945.
"Dieser Bereich empfängt den Besucher, wenn er in unsere Ausstellung kommt. Und soll ihn einstimmen auf die Situation zu Kriegsende, wir zeigen die Jubelfeiern, die Befreiung von KZ-Häftlingen, aber eben auch die Zerstörung, die der Krieg hinterlassen hat."
Maja Peers ist die Leiterin des Projekts im Deutschen Historischen Museum. Um uns herum wird noch gearbeitet, Exponate werden an ihren Plätzen aufgestellt und aufgehängt, Verpackungsmaterial wird entsorgt. Vorsichtig betreten wir den nächsten, einen auffallend hellen Ausstellungsraum.
"... er steht für uns eigentlich den Moment des Innehaltens zum Zeitpunkt des Kriegsendes. Wir zeigen hier zum einen die Kriegsfolgen und damit auch Zahlenangaben, zum Beispiel sieben Millionen befreite Zwangsarbeiter, 40 Millionen Heimatlose, die der Krieg auf die Straße geworfen hat, 13 Millionen Opfer von nationalsozialistischen Verbrechen, und wir zeigen hier zum ersten Mal die Gesichter von 36 Personen, deren Geschichte wir in der Ausstellung vorzeigen und vorstellen möchten."
1945 - die Zeitenwende. Nicht nur in Deutschland. Das Deutsche Historische Museum blickt in seiner Ausstellung auf zwölf Länder, die das Unglück hatten, im Umfeld des Deutschen Reiches zu liegen, angegriffen und - die meisten von ihnen - erobert zu werden.
Auf dem Fußboden weiße Linien. Ländergrenzen. Belgien rechts, Niederlanden links. Dazwischen Luxemburg, das kleinste der überfallenen Länder. Was weiß man in Deutschland über Krieg und Nachkriegszeit in Luxemburg? Wir stehen vor einem mannshohen Holzschrank mit verwirrenden 48 kleinen rechteckigen Schubladen.
"Wenn man sich das Objekt genauer ansieht und das daneben liegende Objekt betrachtet, denn kann man erkennen, dass es sich hierbei um eine sogenannte 'Schu-Mine', eine Schützenmine von 1942 oder etwas später, handelt, und dieser Schrank, den wir hier sehen können, wurde zusammengestellt aus den Hüllen von Holzminen - das sind also Minen, die nicht detoniert sind, von ihrem Sprengkörper befreit worden sind - und ein Handwerker hat daraus eben ganz pragmatisch einen Schrank gebaut."
1940 überfällt Deutschland das neutrale Luxemburg
In der Nacht vom 9. auf den 10. Mai 1940 hatte die deutsche Wehrmacht das neutrale Luxemburg überfallen. Die kleine, eher symbolische Armee des Landes nahm den aussichtslosen Kampf gar nicht erst auf. Das Land wurde "germanisiert" - nicht einmal die Wörter "Merci" oder "Bonjour" durften die Luxemburger benutzen. Menschen, die den Nazis als unsichere Charaktere erschienen, wurden zwangsumgesiedelt. Ein länglicher Pappkarton mit der Aufschrift "Mimosa" Foto-Papier enthält Erinnerungen einer Familie, die nach Schlesien umgesiedelt wurde und Zwangsarbeit leisten musste -
"... und diese Fotokiste dokumentiert zum einen die Zeit in Schlesien, aber eben auch die Rückkehr aus der Umsiedlung zurück nach Luxemburg."
Ende 1944 befreiten die Alliierten Luxemburg, im Zuge der Ardennenoffensive geriet das Land aber erneut unter deutsche Kontrolle und musste ein zweites Mal befreit werden. Danach war ein Drittel aller Gebäude im Lande beschädigt.
Verschleppt und umgebracht
3963 Menschenwaren in deutsche Konzentrationslager verschleppt worden. Vor allem Juden: Vor der Besatzung hatten 3500 Juden in Luxemburg gelebt, zwei Drittel von ihnen wurden umgebracht. Wir stehen an einer Vitrine, die die Rückkehr der Juden thematisiert.
"Wir zeigen hier als Symbol des Neubeginns des jüdischen kulturellen und religiösen Lebens den Tora-Mantel einer Synagoge in Esch an der Alzette. Diese Synagoge ist ebenso wie die Synagoge in Luxemburg-Stadt zerstört worden, stark zerstört worden, aber viele rituelle Gegenstände konnten von den jüdischen Gemeinden gerettet werden und dieser Tora-Mantel gehört auch dazu und steht für uns für den Neubeginn jüdischen Lebens in Luxemburg."
Neuanfang und Aufbruch
1945. Der politische und gesellschaftliche Neuanfang war überall ein schwieriger Prozess. Die Rückkehrer aus Gefangenschaft und Zwangsdienst mussten eingegliedert werden. Häufig gab es Konkurrenz zwischen unterschiedlichen Opfergruppen, wenn es um Entschädigungsforderungen ging. Wer hatte mit den Deutschen gemeinsame Sache gemacht? In fast allen Ländern wurde gegen Kollaborateure verhandelt.
1945 - aber auch: der Anfang neuen Lebens. Wir verlassen den Luxemburg-Teil der Ausstellung mit einem Blick auf ein leuchtendes Plakat: In rot und blau ragen zwei Schlote auf, die Stadt Esch an der Alzette, die sich die "Metropole des Eisens" nennt, wirbt für eine Landesausstellung des luxemburgischen Händlerverbandes im Jahr 1950. Der Titel: "Le Luxembourg au Travail" - Das schaffende Luxemburg.
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Info: Die Ausstellung "1945 - Niederlage. Befreiung. Neuanfang. Zwölf Länder Europas nach dem Zweiten Weltkrieg" ist vom 24. April bis 25. Oktober 2015 im Deutschen Historischen Museum Berlin zu sehen.

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