Luther als Übersetzer

Von Lückenbüßern und Lügenmäulern

Denkmal des Reformators Martin Luther (1483-1546) mit der Stadtkirche im Hintergrund in der Lutherstadt Wittenberg (Sachsen-Anhalt).
Denkmal des Reformators Martin Luther: War Luther ein Sprachgenie? © dpa / picture alliance / Peter Endig
Von Matthias Bertsch · 01.11.2015
Der Reformator Martin Luther hat die deutsche Sprache durch seine Bibelübersetzung maßgeblich geprägt. Theologen, Schriftsteller und Übersetzer beschäftigen sich seit Jahren mit seinen Leistungen. Nun ist ein Sammelband zum Thema erschienen.
Am Anfang war ein Workshop. Um Luthers Bibelübersetzung für das Reformationsjubiläum zu aktualisieren, hatte die Uni Rostock vor zwei Jahren nicht nur Bibel-, sondern auch Literatur-Übersetzer geladen. Und die waren von dem sprachgewaltigen Mönch derart beeindruckt, dass sie ein Buch daraus gemacht haben: "Denn wir haben Deutsch. Luthers Sprache aus dem Geist der Übersetzung". Luther ist heute noch allgegenwärtig, ist die Übersetzerin und Mitherausgeberin des Bandes, Marie Luise Knott, überzeugt:
"Wir sind geprägt davon, alles, was wir haben oder wie wir reden, wir wissen es ja oft nicht, manchmal sitzt man ja in einer Situation und sagt: Ach, da gibt es ja das Wort Nachteule, und dann sage ich irgendwann, weil jetzt ich ja mittlerweile angefixt bin: Wetten, dass das auch von Luther ist? Quasi ist das ja zweimal dasselbe, heißt, die Eule ist ja nur nachts aktiv, und die Nachteule, tatsächlich, guckt man dann nach, ist von Luther."
Lückenbüßer, Gewissensbiss, Lästermaul, all das sind Wortschöpfungen des Reformators, genau wie die Redewendungen "Perlen vor die Säue werfen" oder "Sein Licht unter den Scheffel stellen". Luther verfolgte mit seinen Übersetzungen der Bibel immer das Ziel, Gottes Stimme hörbar zu machen, aber seine unermüdliche Arbeit an der Sprache lässt sich nicht auf ein rein religiöses Anliegen beschränken.
"Wenn er einen Text gemacht hat, dann hat er den Inhalt rübergebracht, und am Inhalt hat sich so gut wie nie etwas geändert, und trotzdem hat er manche Texte zehnmal überarbeitet. Daran erkennt man, dass es ihm wirklich um die Spracharbeit gegangen ist, um Rhythmisches, um Alliteration, um all diese Dinge, die das noch genauer, noch besser hörbar, noch eindringlicher machen, den Text, und diese Eindringlichkeit hat natürlich immer einen religiösen Hintergrund, aber er hat auch eine reine Sprachaspektseite."
Luther - ein Sprachfanatiker
Um diese Eindringlichkeit, ja den Sprachfanatismus Luthers zu verstehen, muss man sich seinen Kampf gegen die katholische Kirche vor Augen führen. Einen Eindruck davon gab die Lyrikerin Nora Gomringer, die vor kurzem auf dem Übersetzertag in Berlin – auch dieser stand im Zeichen des Reformators - aus Luthers Sendbrief vom Dolmetschen aus dem Jahr 1530 vortrug:
"Sie sind Doktores? Ich auch! Sie sind gelehrt? Ich auch! Sie sind Prediger? Ich auch! Sie sind Theologen? Ich auch! Sie sind Philosophen? Ich auch! Sie sind Dialektiker? Ich auch! Sie schreiben Bücher? Ich auch! Und will weiter rühmen: Ich kann Psalmen und Propheten auslegen; das können sie nicht. Ich kann dolmetschen; das können sie nicht. Ich kann beten, das können sie nicht."
Wie aber dolmetscht man richtig? Die meisten Papisten, so Luther abfällig über seine Kritiker, wollen am liebsten an der Vulgata, der auf Latein verfassten Bibel, festhalten: dass das gemeine Volk sie nicht versteht, ist ihnen nur recht. Und wenn die Bibel schon übersetzt wird, dann bitte buchstabengetreu – doch genau das lehnt Luther ab.
"Denn man muss nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man soll Deutsch reden, wie diese Esel tun, sondern muss die Mutter im Hause, die Kinder auf den Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt drum fragen und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetschen; da verstehen sie es denn und merken, dass man deutsch mit ihnen redet."
"Dem Volk aufs Maul schauen" ist bis heute eine der am meisten zitierten Redewendungen Luthers. Nur: Was heißt das eigentlich und wer ist das Volk? Neben acht Literaturübersetzern haben auch sieben Schriftsteller Texte für den Sammelband über Luther beigetragen. Auch sie hatten den Auftrag, das Fortwirken seiner Sprache zu reflektieren – wie Marcel Beyer, der auf dem Übersetzertag aus seinem Beitrag las:
"Lieber, was soll man sagen?
Die deutsche Sprache ist
ein Schwein. Neunzig Millionen
verschwitzte Einzelkämpfer
singen das Lob der deutschen
Unverrottbarkeit, singen
DEUTSCHE DICH BEI UNS
EIN sie tragen die Allwetterjacke,
tragen festen Loden, singen
BEDEUTSCHE DICH,
sie singen -ZUNGE, anscheinend
weiter nichts als eine Frage
der Hormone."
In der Diskussion wies Beyer darauf hin, dass ihn sein Wohnort Dresden zu seinem Gedicht "De monstro alio", "Vom anderen Ungeheuer" animiert habe.
"Seit November ist es so, dass sich – heißt es Pegida, heißt es NPD, heißt es AfD – also dieser Mob allwöchentlich unter dem Luther-Denkmal trifft und dort Hass predigt. Das war die ganz akute Gegenwart, in der ich geschrieben habe, Februar, März."
Luthers Antisemitismus wird kaum thematisiert
Das Gedicht sei großartig, erwiderte die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff, die ebenfalls einen Beitrag für das Buch geschrieben hat, aber habe mit Luther nichts zu tun.
"Luther ist nun tatsächlich nicht nur einfach so ein großer Name, sondern er ist maßgebend für die Entwicklung der deutschen Sprache geworden, verdammt noch mal. Das ist keine Kleinigkeit, und ich kann diesen lächerlichen Unernst nicht ertragen, bei einer Sache, die so maßgeblich geworden ist kulturell und auch im religiösen Denken sehr maßgeblich geworden ist."
Was aber war Luther nun: Ein sprachgewaltiges Genie, das die deutsche Sprache und damit auch Identität tief geprägt hat, oder – mit seinen Attacken auf Katholiken und Juden – ein Wegbereiter der Ausgrenzung und des Nationalismus? Oder beides? Was auf dem Übersetzertag kurz, aber heftig ausbrach, wird im Buch leider kaum thematisiert. Und noch etwas fehlt vollständig in dieser Suche nach der Aktualität Luthers: die Perspektive auf Deutschland als Einwanderungsland. Denn damit, so der Theologe Martin Rösel, der die Revision der Lutherbibel koordiniert und den Übersetzerworkshop in Rostock organisiert hat, wird sich der zur Frage umformulierte Buchtitel: "Was für ein Deutsch haben wir denn?" noch einmal ganz neu stellen.
"Was jetzt, auch mit der Einwanderungswelle durch die Flüchtlinge und so passiert, das kann, glaube ich, niemand vorhersagen. Wie stark es gelingen wird, dass da dann eben nicht nur rudimentäre Sprachkenntnisse sondern gute deutsche Sprachkenntnisse vermittelt werden, an die dann auch kulturelle Gedanken angedockt werden können, das ist, glaube ich, im Moment ganz offen."

Marie Luise Knott / Thomas Brovot / Ulrich Blumenbach (Hg.): Denn wir haben Deutsch. Luthers Sprache aus dem Geist der Übersetzung
Matthes & Seitz, Berlin 2015
335 Seiten, 24,90 Euro

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