Lust und Leiden

Eine kleine Philosophie-Geschichte des Masochismus

Eine Frau in schwarzer Lederwäsche mit einer Peitsche in der Hand
Wer hat die Peitsche in der Hand. eher die Frau, der Mann? Darüber lässt sich trefflich philosophieren. © B1861_Lehtikuva_Oy
Von Catherine Newmark · 05.02.2017
"Du gehst zu Frauen? Vergiss die Peitsche nicht!", sagte Friedrich Nietzsche einst. Er ließ offen, wer wen damit verhauen sollte - andere Philosophen aber hatten sehr feste Vorstellungen von der masochistischen Rolle der Frau, die vom Mann beherrscht werden müsse.
"Oh! es soll eben nie ein Ende nehmen", rief ich erregt, ja heftig, "nur der Tod soll uns trennen. Wenn du nicht mein sein kannst, ganz mein und für immer, so will ich dein Sklave sein, dir dienen, alles von dir dulden, nur stoß mich nicht von dir."
Das ist die Urszene. "Heftig erregt" unterwirft sich Severin der von ihm angebeteten Wanda. 1870 war das, im Roman "Venus im Pelz" des galizischen Autors Leopold Ritter von Sacher-Masoch. Der Erfolgsschriftsteller war bekannt für seine etwas abseitigeren sexuellen Phantasien. Von Zeitgenossen wurden sie ihm gerne als "slawische Romantik" ausgelegt. Bis, ja bis sie in die Fänge der Sexualpsychiatrie gerieten.
Auftritt Richard von Krafft-Ebing, seines Zeichens Psychiater und Rechtsmediziner in Graz. Flugs wird aus dem Namen eines ehemals verehrten Autors ein Synonym für eine sexuelle Perversion:
"Das Gegenstück des Sadismus ist der Masochismus. Während jener Schmerzen zufügen und Gewalt anwenden will, geht dieser darauf aus, Schmerzen zu leiden und sich der Gewalt unterworfen zu fühlen."

"Willige Unterordnung unter das andere Geschlecht"

Schreibt Krafft-Ebing 1886 in seiner "Psychopathologia sexualis", einer ausgesprochen kurzweiligen Auflistung aller ihm als Rechtsmediziner bekannten sexuellen "Perversionen".
Musik: "Some of them want to abuse you / Some of them want to be abused"
Interessanterweise beschreibt Krafft-Ebing die sexuellen Perversionen ausschließlich an männlichen Beispielen. Der Masochismus ist für ihn bei Männern eine Perversion. Bei Frauen hingegen fast schon Natur:
"Beim Weibe ist die willige Unterordnung unter das andere Geschlecht eine physiologische Erscheinung. Infolge seiner passiven Rolle bei der Fortpflanzung und der von jeher bestehenden sozialen Zustände sind für das Weib mit der Vorstellung geschlechtlicher Beziehungen überhaupt die Vorstellungen der Unterwerfung regelmässig verbunden."
Sigmund Freud, dem das Weib bekanntlich rätselhaft war, folgte Krafft-Ebing in dieser Einschätzung und beschrieb den Masochismus nachgerade als Ausdruck des weiblichen Wesens.
Typische Misogynie der Jahrhundertwende? Vielleicht. Auch der polemische Friedrich Nietzsche verewigte sich mit dem Satz: "Du gehst zu Frauen? Vergiss die Peitsche nicht!". Allerdings lässt er offen, in wessen Hand die Peitsche sich finden sollte. Wenn man jenem berühmten Foto glauben mag, das ihn und Paul Rée eingespannt vor einem von Lou Andreas-Salomé gelenkten Leiterwagen zeigt, darf man allerdings folgern: nicht unbedingt in seiner.

Passivität als das Wesen der Frau

Musik: "Strike, dear mistress, and cure his heart."
Deutlich fiel dem Freud-Schüler Theodor Reik die Unwucht der bisherigen Erklärungen auf, welche Masochismus ausschließlich bei Männern untersuchten, ihn aber trotzdem als wesenhaft weiblich deklarierten:
"Die Passivität mag freilich vom Wesen der weiblichen Sexualität nicht leicht abtrennbar sein, aber das Erdulden von Schmerzen, Gepeitschtwerden, Gefesseltwerden, Demütigungen und Erniedrigungen gehören nicht zu den sexuellen Zielen der normalen Frau."
...schrieb er 1940 in seiner großangelegten Studie "Aus Leiden Freuden. Masochismus und Gesellschaft".
Auch die zweite psychologische Grundannahme von Krafft-Ebing und Freud wurde Mitte des 20. Jahrhunderts in Frage gestellt: nämlich dass Sadismus und Masochismus überhaupt zusammengehören. Der französische Philosoph Gilles Deleuze stellte 1968 in seinem Aufsatz "Sacher-Masoch und der Masochismus" klar: Sadisten und Masochisten verbindet nichts. Der Sadist, wie ihn sich der Marquis de Sade ausdachte, sucht ein Opfer, das er quälen kann. Der Masochist hingegen einen Komplizen seines Verlangens.
Das Begriffspaar "SM" hat sich, wie man weiß, trotzdem gehalten. Wobei das damit Bezeichnete heute im Allgemeinen weitgehend der masochistischen Inszenierungsphantasie entspringt, nicht der entfesselten Sadeschen Gewaltorgie. Und mit Sacher-Masochs Urszene noch immer das penible Verhandeln, Aushandeln und vertragliche Festlegen von Herrschaft und Unterwerfung teilt.

Auch unschuldigste Pärchen legen sich in Handschellen

Musik: "Strike, dear mistress, and cure his heart"
In Zeiten, in denen sich noch die unschuldigsten jungen Pärchen pinkfarbige Flauschhandschellen kaufen, scheint freiwillige sexuelle Unterwerfung ziemlich salonfähig geworden zu sein.
Den Welt-Erfolg der Softporno-SM-Phantasie "Shades of Grey" haben viele Feministinnen dennoch bestürzt aufgenommen. Und fragten: wie lässt sich angesichts von Emanzipation und Gleichberechtigung die offensichtliche Sehnsucht nach archaischen und gewalttätigen Geschlechterrollen erklären?
Vielleicht geht es aber gar nicht um die Gewalt, sondern um den Vertrag. Gerade wenn die Geschlechterrollen heute nicht mehr klar festgelegt sind, scheint es geboten, ja notwendig, sexuelle Begegnungen mehr oder weniger explizit auszuhandeln. Wenn manche amerikanische Staaten mit ihren "Yes means Yes"-Gesetzen jede Form von Sex ohne vorgängige klare Abmachung ächten – was ist das anderes, als die Verallgemeinerung des masochistischen Vertrags- und Konsensdenkens? Vielleicht werfen uns Sacher-Masochs-Fantasien gar nicht in die Vergangenheit zurück, vielleicht haben sie vielmehr unsere Gegenwart ganz entscheidend geprägt.
Musik: "Sweet Dreams are made of this."
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