Lourdes

Die Wunderprüfer

Die heilige Grotte in Lourdes
Die heilige Grotte in Lourdes © dpa
Von Lisa von Prondzinski  · 17.08.2014
Rund sechs Millionen Pilger zieht es jährlich in den französischen Wallfahrtsort Lourdes. Gelähmte und sogar Krebskranke berichten, der Besuch habe sie geheilt. Ein internationales Komitee von Ärzten untersucht die ehemaligen Patienten.
"Wenn man nach Lourdes kommt, gerade mit den Kranken zusammen, dann sind die eigenen Probleme und Sorgen nur noch klein. Aber das Entscheidende ist, und das kann man gar nicht so richtig erklären, das ist die Atmosphäre in Lourdes. Die Atmosphäre ist eine sehr intensive."
Seit 1972 besucht der Arzt Rolf Theiß fast jedes Jahr den Wallfahrtsort Lourdes in Frankreich. Der 66 Jahre alte Chirurg ist groß, schlank und hat volles weißes Haar. In Saarburg bei Trier hat er eine eigene Praxis. In Lourdes hat Rolf Theiß immer wieder Menschen getroffen, die glaubten, plötzlich gesund geworden zu sein:
"Da war eine Schottin, die dort in der Grotte war und sie kam dann raus und sagte: 'Ich bin geheilt worden, ich kann wieder gehen und kann wieder tanzen'."
Heilungen werden in einem Büro angemeldet
Rolf Theiß gehört als einziger deutscher Arzt dem Internationalen medizinischen Komitee von Lourdes an. Dieser Kreis von rund 20 Ärzten aus Ländern wie den USA, England, Belgien und Frankreich prüft solche so genannten Spontanheilungen - nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Die meisten dieser Heilungen lassen sich jedoch schon in dem so genannten "Büro für medizinische Bestandsaufnahmen" in der Wallfahrtsstätte erklären. Dort müssen sich die vermeintlich Geheilten zuerst melden. Nur die außergewöhnlichen Fälle – zwei, drei jedes Jahr - werden dann dem internationalen Gremium als Akte vorgelegt. Einige der Ärzte – etwa Internisten, Onkologen und Orthopäden - prüfen den Fall dann gemeinsam. Sie müssen viele Fragen klären. Zum Beispiel:
"War es wirklich eine Krankheit und ist die Krankheit behandelt worden? Das heißt vielleicht so behandelt worden, dass sie vielleicht dadurch schon geheilt wurde, oder ist es so, dass es eben eine außergewöhnliche Heilung ist. Nicht erklärbar."
Medizinisch nicht erklärbar war zum Beispiel die Heilung eines Franzosen namens Pierre Bely. Er litt unter Multipler Sklerose, einer Krankheit, die als nicht heilbar gilt. Bely war noch keine 50 Jahre alt, als er nicht mehr gehen konnte und auf den Rollstuhl angewiesen war. Dann, Ende der 1980er-Jahre, bei einer Krankensalbung in Lourdes, passierte das Unerklärliche, erzählt der Mediziner Theiß:
"Es gibt dort in der Krankensalbung die Worte, die heißen: 'Der Herr richtet dich auf'. Und er hatte das gespürt, dass auf einmal ein schmerzhaftes Empfinden von innen kam und wie Kälte. Und es war tatsächlich so, dass er in der Nacht aufstehen konnte und er konnte sogar gehen – wenn auch sehr wackelig."
Gremium fand keine Gründe für die Heilung
Das von der Kirche unabhängig arbeitende Gremium konnte keine Gründe für diese Heilung finden: Weder die Auswertungen der Krankenakte noch die Untersuchungen einiger der Ärzte brachten eine plausible Erklärung.
"In der Regel dauert es vier Jahre mindestens, bis eine solche Heilung auch anerkannt wird und zwar anerkannt als medizinisch nicht erklärbare, als unerklärliche Heilung, und dann erst werden die Akten geschlossen."
Das kann aber auch 20 Jahre dauern. So wollen die Mediziner sichergehen, dass der Geheilte dauerhaft gesund bleibt. Der Fall Piere Bely wurde an die Kirche weitergeleitet. Die erklärte dessen Heilung sogar zum Wunder. Seit den legendären Marienerscheinungen in Lourdes im Jahre 1858 hat die Kirche bisher 69 Heilungen dort zu Wundern erklärt. Was die Ärzte des ehrenamtlich tätigen internationalen Komitees verbindet, ist der Glaube, sagt Rolf Theiß. Aber nicht jedes Mitglied müsse katholisch sein. Dass das Gremium derzeit nur mit Katholiken besetzt ist, sei Zufall. Wichtig sei vor allem, ...
"...dass jemand offen ist für die Themen, die dort angesprochen werden und sich damit auseinandersetzen kann. Wenn jemand das alles ablehnt und sagt, es gibt keine ungewöhnlichen Heilungen, sondern alles ist erklärbar, dann kann man nur sagen: Da stimmt was nicht, weil das menschliche Leben ist wirklich voller kleiner und großer Wunder."
Verletzter Fuß heilte durch das Quellwasser
Unerwartet gesund geworden ist auch ein Mann, der in der Nähe von Saarburg wohnt und dessen Heilung Rolf Theiß seit einigen Jahren prüft. Der heute 64-jährige Mann hatte vor über 20 Jahren einen Unfall, bei dem er sich einen Fuß so sehr verletzte, dass er gar nicht mehr gehen konnte. Nachdem er aber in Lourdes ein Bad mit dem Wasser aus der Quelle genommen hatte, ging es ihm auf einmal besser:
"Er kam aus dem Bad, verspürte ein Wärmegefühl und konnte wieder auftreten."
Solange die Untersuchung eines Falles durch das Lourdes-Komitee noch nicht abgeschlossen ist, dürfen die Mediziner öffentlich nur wenig darüber sagen. Bei den jährlichen Treffen des medizinischen Lourdes-Komitees aber hat Theiß seinen Kollegen schon mehrmals über den Zustand dieses Mannes berichtet. Ob solche spontanen Heilungen am Ende nicht doch erklärbar sind und den Medizinern heute einfach nur noch das nötige Wissen fehlt? Für Rolf Theiß, den Arzt und Katholiken, ist das eine Glaubensfrage:
"Wir wissen ja nicht, ob es neben unserer kleinen Welt hier, mit den drei Dimensionen, die uns jetzt ganz groß erschient, ob es nicht eine vierte, eine fünfte oder weitere Dimension gibt und dann sieht alles wieder anders aus. Aber wir können schon sagen, dass wir mit unserem kleinen Gehirn nicht alles erklären können und gerade nach der Frage „woher" und „wohin" – da gibt es große Grenzen."
Und welche wichtige Funktion der Glaube hat, hat der Mediziner immer wieder bei kranken Menschen beobachtet:
"Wenn jemand aufhört zu hoffen, dann ist er schon fast tot, weil er dann auf einmal keine Basis mehr findet, weiterzumachen. Der Mensch, der Hoffnung hat, der macht weiter."
Mehr zum Thema