Louise Welsh: "Tamburlaine muss sterben"

Rezensiert von Pieke Biermann · 14.04.2005
Historische Rätsel sind immer spannend, vor allem wenn sie sich um skandalträchtige Leute ranken. Der nie völlig aufgeklärte Tod des elisabethanischen Dichters und Dramatikers Christopher Marlowe ist zweifellos faszinierender Stoff und hat schon unzählige Werke inspiriert.
Nun hat sich die schottische Autorin Louise Welsh seiner angenommen, auf Anregung ihres Verlages, wie sie in der Danksagung wissen lässt. "Tamburlaine muss sterben" heißt ihr zweiter Prosaband. Zehn Tage in Marlowes Leben, von ihm selbst niedergeschrieben in einer Nacht vom 29. auf den 30.Mai 1593, bei "vier Kerzen". Die Niederschrift ist angelegt als Ermittlung in eigener Sache und gleichzeitig, für den Fall seines Todes, eine Art Lebensversicherung, nämlich zur Sicherung seines Nach-Lebens.

Christopher Marlowe ist 29, berühmt, erfolgreich und viel kopiert. Sechs Theaterstücke haben seinen Ruhm begründet. "Tamburlaine" war das erste. Darin feiert der erst 23-Jährige den Titelhelden Tamerlan als grausamen, exzentrisch-ketzerischen Eroberer. Er selbst ist tief verstrickt in sexuelle Ausschweifungen und die Machtspiele des elisabethanischen Zeitalters. Cambridge ernennt ihn erst nach Intervention des Geheimdienstes zum Magister Artium - mit dem Hinweis auf "wertvolle Dienste" für ihre Majestät. Er war, statt zu studieren, etwas häufig auf dem Kontinent unterwegs und als Spion, Falschmünzer und notorischer Raufbold zugange. Plötzlich tauchen in London, wo die Pest ebenso wütet wie politische Brutalität, Ketzertexte auf, verfasst von einem "Tamburlaine", in Marlowes Stil.
Ketzerei ist ein Kapitalverbrechen, geahndet mit so unschönen Strafen wie Rädern, Vierteilen und Aufknüpfen.

Louise Welsh gilt seit ihrem ersten Roman "Dunkelkammer" als Krimiautorin. "Tamburlaine muss sterben" ist kein Krimi, sondern eine geradezu klassische Künstlernovelle. Ihr Thema der ewige Kampf zwischen der Radikalität der romantischen Künstlerexistenz und dem Gewirr aus Moralitäten und Opportunitäten ihres jeweiligen gesellschaftlichen Kontextes. Der Dichter verfolgt von seiner radikalsten Schöpfung. Geködert für einen Verrat mit der Aussicht auf Unsterblichkeit. Der am Ende das anfangs verhöhnte "armselige Theater der Leidenschaften" seiner Gesellschaft kontert mit einem "Theater des Blutes", einem blutrauschhaften Mord an seinem Freund. So weit, so (französisches) 19.Jahrhundert.

Louise Welsh ist auch eine brillante Atmosphärikerin, ihre knappe, dichte (und von Wolfgang Müller insgesamt sehr schön übersetzte) Prosa lässt einen das rottende, derbe, gefährliche London buchstäblich riechen. Und ihr gelingt ein wunderbares literarisches Manöver: Vor allem in den spöttischen bis sarkastischen Passagen scheint durch ihre Prosa hindurch exakt das berühmte "sardonische Lächeln" des echten Christopher Marlowe. Chapeau!

Louise Welsh: Tamburlaine muss sterben
Aus dem Englischen von Wolfgang Müller
Verlag Antje Kunstmann, München 2005
14,90 Euro