Loske: Deutschland muss Vorreiterrolle übernehmen

Moderation: Marie Sagenschneider · 13.11.2006
Reinhard Loske hat die Bundesregierung aufgefordert, die anstehende EU-Ratspräsidentschaft und den Vorsitz bei der G8-Konferenz für den Klimaschutz einzusetzen. Vor allem die Europäische Union müsse sich verpflichten, ihren CO2-Ausstoß bis 2020 um 30 Prozent zu senken, betonte Loske. Dafür müsse Deutschland als Vorreiterstaat bis 2020 seine CO2-Emmissionen sogar um 40 Prozent reduzieren.
Marie Sagenschneider: Die Einsicht vollzieht sich weitaus langsamer als der Klimawandel. Dabei sind die Folgen der Erderwärmung schon lange nicht mehr zu übersehen. Das Eis in Grönland ist eben nicht ewig, es schmilzt schneller als erwartet. Wetterextreme, wie Hitzewellen, Dürreperioden und außergewöhnlich heftige Stürme werden zum Normalfall. Und Schuld sind wir selbst, ist vor allem das Kohlendioxid, das bei der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas freigesetzt wird. Das also gilt es in erster Linie zu reduzieren, wenn man die Welt retten will. Und genau das versuchen seit vergangener Woche Tausende von Umweltpolitikern und Experten in Nairobi auf der UN-Klimakonferenz. Es geht um die Frage, wie das Abkommen von Kyoto, das bis 2012 reicht, wie das fortgeschrieben werden soll. Reinhard Loske ist Umweltpolitiker der Grünen im Bundestag, er gehört der Deutschen Delegation in Nairobi an, morgen wird er dorthin fahren, und er ist nun am Telefon von Deutschlandradio Kultur. Guten Morgen, Herr Loske.

Reinhard Loske: Schönen guten Morgen.

Sagenschneider: Eine Woche hat man jetzt schon hinter sich in Nairobi, sozusagen Halbzeit. Welchen Eindruck haben Sie denn? Was kann erreicht werden auf diesem Gipfel?

Loske: Da sind ja im Wesentlichen zwei Themen, die im Vordergrund stehen. Das ist einmal eine Konferenz, die in Afrika stattfindet, insofern steht das Thema Anpassung der Entwicklungsländer an Klimaveränderung ganz, ganz oben auf der Tagesordnung. Wenn man zum Beispiel "The Nation" die Zeitung in Kenia liest, da geht es um die Frage, wie es mit dem Gletscher auf dem Mount Kenia oder auf dem Kilimandscharo weiter geht, oder wie sich Hirten in Zukunft in der Steppe überhaupt noch halten können, oder wenn beispielsweise in den Ländern, wo heute schon große Ressourcenprobleme sind, wie Ruanda, eben noch mehr Klimawandel ist. Also das heißt, das Thema Anpassung an Klimaveränderung ist in Afrika ein Riesenthema. Und das steht im Moment auf der Verhandlungsebene ganz weit oben. Und das zweite Thema ist natürlich das, was Sie angesprochen haben, der Post-Kyoto-Prozess, also wie geht es weiter nach 2012. Das ist erfahrungsgemäß immer so auf diesen Klimakonferenzen, in der ersten Woche bereiten die hohen Beamten die Gespräche vor, versuchen, technische Details und so weiter auszuräumen. In der zweiten Woche, die heute beginnt, ist dann die so genannte Ministersektion, und da werden dann Entscheidungen getroffen - hoffentlich.

Sagenschneider: Würden Sie insgesamt sagen, dass die Einsicht wächst? Denn immerhin hatte ja kürzlich erst Nicholas Stern, der frühere Chefvolkswirt der Weltbank beeindruckend zusammengefasst, welche ökonomischen Folgen der Klimawandel hat, und dass Vorsorge auch letztlich sehr viel preisgünstiger ist.

Loske: Ja, das ist richtig. Also die Aussage von Stern ist ja im Prinzip, Vorsorge ist wesentlich günstiger als Anpassung. Ob das schon durchschlägt in Nairobi, das kann man nicht sagen. Die Nairobi-Konferenz selber war eigentlich eher so eine Zwischenkonferenz, wo Arbeitsschritte besprochen werden sollen. Aber nachdem jetzt dieser Stern-Report gekommen ist, oder nachdem auch bekannt geworden ist, dass der wahrscheinlich im nächsten Februar erscheinende Bericht des UN-Klimawissenschaftlergremiums doch zeigt, dass die Folgen wahrscheinlich noch viel weit reichender und schlimmer sind, als bislang angenommen, kriegt diese Konferenz doch eine gewisse Bedeutung. Und es wäre in der Tat verheerend, wenn die Signale aus der Wissenschaft immer alarmierender werden und die Konferenzkarawane unbeeindruckt weiter zöge. Das wäre ein großes Problem, weil dann der Kyoto-Prozess insgesamt an Glaubwürdigkeit und an Integrität verlöre. Und deswegen, glaube ich, muss man jetzt wirklich zeigen, dass es einem ernst ist. Das müssen die Minister vor allen Dingen dadurch zeigen, dass sie konsequente Ankündigungen machen, die dann auch umgesetzt werden. Das ist ja das Entscheidende.

Sagenschneider: Das Entscheidende wird aber auch sein, wie die größten Umweltsünder sich verhalten, wie zum Beispiel die USA, die das Abkommen von Kyoto ja nicht unterzeichnet hatten. Wir groß, Herr Loske, ist eigentlich Ihre Hoffnung, dass die US-Regierung nun nach dem Machtwechsel im Kongress doch mehr Konzessionen machen wird, zumal wir erleben, dass in den USA viele Bundesstaaten, auch hunderte von Städten, dass da längst ein Wandel eingesetzt hat, was die Umweltpolitik anbelangt?

Loske: Ich erwarte von der Bundesebene nicht viel, muss ich sagen. Aber es ist tatsächlich so, wie Sie sagen. Oben im Nordosten, in Neuengland haben sich viele Staaten entschlossen, wirklich Klimaschutz zu machen, Kalifornien macht eine ganze Menge, viele Städte machen was. Und ich glaube, das Thema wird mehr und mehr an Bedeutung gewinnen in den USA, vor allen in Kombination auch mit dem Thema Energiesicherheit, also quasi hohe Außenabhängigkeit von Energieimporten. Und ich gehe eigentlich davon aus, dass das in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnt. Man kann sich ja mal vorstellen ein Szenario, 2008 gibt es Präsidentschaftswahlen und für die Demokraten läuft Hillary Clinton und für die Republikaner läuft Senator McCain. Das sind beides Leute, die wissen, was Klimapolitik ist und zumindest ankündigen, sich dafür einzusetzen. So könnte ich mir vorstellen, dass das Thema dann im Wahlkampf eine Rolle spielt, und dass die Amerikaner, wenn sie sich dann mal entschieden haben, auch ganz anders herangehen. Das ist durchaus typisch für sie, dass die Themen lange links liegen lassen, aber wenn sie sie dann angehen - Stichwort: Apollo-Mission zum Mond - dann gehen sie richtig zur Sache. Das ist durchaus denkbar.

Sagenschneider: Da wird richtig reingebuttert, ja? Wie steht es denn um Europa? Hier wird die Bundesregierung im ersten Halbjahr 2007 ja Gelegenheit haben, einiges zu forcieren, weil Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft ab Januar übernimmt. Was sollte das Ziel der EU sein für ein Nachfolgeabkommen zu Kyoto?

Loske: Also Deutschland hat zwei große Möglichkeiten. Einmal haben wir die EU-Ratspräsidentschaft und wir sitzen auch der G8 vor, also den großen Industriestaaten. Und das muss in der Tat unbedingt genutzt werden, um den Klimaschutz und die Energiepolitik voran zu bringen. Und das wichtigste auf europäischer Ebene ist, dass die Europäische Union sich verpflichtet, bis zum Jahr 2020 ihren CO2 Ausstoß um 30 Prozent zu senken. Und um das erreichen zu können, müssen Vorreiterstaaten wie Deutschland mehr machen. Das heißt also, Deutschland müsste sich vornehmen 40 Prozent bis 2020 CO2 und andere Spurengase zu reduzieren. Das sagt übrigens auch die Regierung. Nur, bei der Bundesregierung haben wir im Moment ein bisschen die Sorge, dass Rhetorik und Realpolitik ziemlich weit auseinander klaffen, und dass andere das merken. Deswegen ist konsequentes, glaubwürdiges Handeln ganz zwingend angesagt, auch gerade bei uns in Deutschland.

Sagenschneider: Na gut, also das glaubwürdige Handeln wird natürlich unterstützt dadurch, dass Deutschland ein Vorreiter ist und wirklich auch immer noch gut dasteht. Aber insgesamt die EU ja jetzt schon nicht, obwohl sie Kyoto unterzeichnet hat.

Loske: Na ja gut, also die EU, das ist in der Tat richtig, viele Staaten, die das Kyoto-Protokoll ratifiziert haben, die drohen, ihre Klimaschutzziele zu verfehlen. Das ist also in der Tat ein großes Problem. Man sagt ja immer, das Kyoto-Protokoll sei zu schwach. In der Tat, das ist es auch, aber nicht mal diese schwachen Ziele werden von vielen Erreicht, deswegen muss da jetzt noch eine Menge gemacht werden bis 2012. Denn erreicht werden können sie natürlich noch, wenn man konsequent handelt. Und deswegen kommt es jetzt auch so sehr darauf an, dass der Emissionshandel, also das zentrale klimapolitische Instrument in Europa, wirklich auch glaubwürdig umgesetzt wird. Das wird praktisch zum Lackmustest für die klimapolitische Glaubwürdigkeit. Und mit unserer Vorreiterrolle schön und gut, aber wir hatten natürlich auch Sonderbedingungen durch die Deutsche Einheit. Wir sollten uns nicht ausruhen auf unseren Lorbeeren, sondern wir sollten Druck machen. Und das geht jetzt besonders im ersten Halbjahr 2007, wo wir die Ratspräsidentschaft haben.

Sagenschneider: Herr Loske, ich danke Ihnen. Reinhard Loske war das. Er ist Umweltpolitiker der Grünen und Mitglied der Deutschen Delegation beim UN-Gipfel in Nairobi.