Losgelöst von Schallplatten und CDs

Von Martin Risel · 06.03.2012
Der schwedische Anbieter "Spotify" ist der weltweite Marktführer beim Musikhören übers Internet. Bei Streaming-Diensten wie diesem muss der Kunde die Musik nicht mehr besitzen, sondern sie nur noch nutzen - zu Hause am PC oder überall auf mobilen Geräten.
Die Arctic Monkeys waren vor sieben Jahren so was wie ein Synonym für eine veränderte Musiklandschaft. Die britischen Musiker verbreiteten ihre Songs als MP3s im Netz, für das Myspace-Phänomen war keine Plattenfirma mehr nötig. Die digitale Revolution hat die Art, wie wir Musik hören, verändert – und sie entmaterialisiert: Losgelöst von Schallplatten und CDs – und so war die Musikindustrie ihre jahrzehntelangen Umsatzbringer losgeworden.

Milliarden MP3s wurden und werden auf Online-Plattformen geladen, getauscht, geklaut – die bisherigen Urheber- und Verwertungsrechte scheinbar aufgelöst im digitalen Nirwana. Viel zu lange hielten die alten Player der Musikindustrie an ihrer bisherigen Verwertung fest, schickten schließlich Abmahn-Anwälte los, um auch Kinder und Opas als illegale Downloader zu bestrafen.

"Ihr sagt wir sind kriminell, doch wir sind nur die User, im Knast saugen wir weiter, Copyrights sind was für Loser. Wir sind illegale, radikale, digitale Fans…"

Dabei verherrlicht die Hamburger Band Deichkind in ihrem aktuellen Song "Illegale Fans" eine Spezies, die vom Aussterben bedroht ist. Weniger die Kriminalisierung als die zuletzt eher inhaltliche Überzeugungsarbeit beginnt zu fruchten. Noch entscheidender aber sind die neuen Angebote. Jahrelang haben Marktstudien und Experten wie Tim Renner gepredigt: Macht es den Leuten einfacher, am besten noch cool und sexy, legal an Musik zu kommen. Und sie werden Euch folgen.

"Es müsste immer Musik da sein - egal, wo du bist. Willkommen bei Simfy! Simfy, deine Musik, immer und überall."

Und so klingt sie dann in der Werbung, die schöne neue Popmusik-Welt: "Simfy" heißt der noch junge deutsche Platzhirsch unter den sogenannten Streaming-Diensten. Was bedeutet das? Man muss die Musik nicht mehr besitzen, sondern sie nur noch nutzen – zu Hause am PC oder überall auf mobilen Geräten.

Und wie funktioniert das? Ich lade die Musik nicht runter, sondern rufe sie quasi übers Netz ab. Das geht zunächst mal kostenlos, allerdings unterbrochen von Werbung und mit eingeschränkten Funktionen. Deshalb wechseln Nutzer zunehmend zu einem Zugang mit Abo-Gebühr: Ab fünf, im vollem Umfang zehn Euro im Monat. Und dafür kann man – je nach Anbieter – aus 11 bis 15 Millionen Songs auswählen.

Deutschland ist allerdings bisher Streaming-Entwicklungsland. Nach der überfälligen Einigung zwischen dem IT-Branchenverband Bitkom und der Gema wird sich Musik-Streaming auch hierzulande durchsetzen – spätestens, wenn angeblich ab nächster Woche der weltweite Marktführer in Deutschland startet. Noch hat "Spotify" das nicht offiziell bestätigt.

Im weltgrößten Musikmarkt in den USA ist das schwedische Unternehmen längst erfolgreich. Und als dort im vergangenen Jahr der Wendepunkt geschafft war, schaute die europäische Musikindustrie neidisch über den Teich. Zum ersten Mal seit Jahren wurde wieder mehr verkauft als im Vorjahr – durch bezahlte Downloads und Streaming-Dienste. Gerade hat sich dazu Cary Sherman, Verbandsvorsitzender der US-Musikindustrie, in einem Interview mit dem Web2.0-Blog Techcrunch geäußert:

"Spotify könnte eine wichtige Rolle in der Zukunft spielen. Aber wir haben gelernt, dass es eben nicht nur einen großen Player gibt, dass es diverse Modelle geben muss, um für die unterschiedlichen Verbreitungswege bezahlen zu können. Wir sind eigentlich ganz optimistisch."

Ebenso Edgar Berger, Chef von Sony Music International, der vor kurzem von einer "Aufbruchstimmung in der Branche" sprach und "einem Wachstumsmarkt in ein bis drei Jahren". Denn durch gut gemachte Streaming-Dienste wird weniger illegal heruntergeladen.
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