Lorenz Pauli: "böse"

Wenn die Tiere fies werden

Ausschnitt aus dem Cover von "böse" von Lorenz Pauli und Kathrin Schärer
Ausschnitt aus dem Cover von "böse" von Lorenz Pauli und Kathrin Schärer © orell füssli Verlag
Von Kim Kindermann · 20.12.2016
Ganz und gar nicht idyllisch geht es auf dem Bauernhof zu, den Lorenz Pauli uns in "böse" zeigt: Die Tiere dort begeben sich in einen Wettstreit, wer der Gemeinste von ihnen ist. Das Ganze läuft bald aus dem Ruder. Kathrin Schärer hat das kongenial illustriert.
Der Bauernhof gilt im Allgemeinen als Hort des Glücks und des einfachen, aber perfekten Lebens. Wie oberflächlich und falsch das ist, zeigen Lorenz Pauli und Kathrin Schärer in ihrem genial fiesen Kinderbuch "böse".
Die Geschichte ist folgende: Unter der Ziege, dem Hund, der Taube, dem Pferd, der Katze und dem Schwein bricht ein Wettstreit darüber aus, wer von ihnen am Gemeinsten sein kann. Jeder denkt sich etwas aus. Der Hund erschreckt den Hahn, die Ziege zerstört das Blumenbeet, die Taube kackt dem Bauern auf den Kopf, und das Schwein behauptet, das Futter im Trog allein aufgefressen zu haben.
Von Mal zu Mal wird es heftiger. Jeder will den anderen übertrumpfen, noch gemeiner sein. Und so beschließt die Katze, vor den Augen der anderen eine Maus zu fangen.
Während sie sich anschleicht, erstarren die anderen. Sollen sie das Ende des Katzenstreichs mitansehen oder lieber doch nicht? Gebannt verfolgen sie, wie die Katze ihrem Opfer immer näher kommt. Unerträglich. Alles scheint möglich.
Doch genau in dem Moment, in dem die Katze zum Sprung ansetzt und die Maus verschlingen will, tritt das Pferd auf die Maus. Klack!
Genauso plötzlich, wie dieser Tritt kommt, genauso plötzlich erwachen die Tiere aus ihrer Erstarrung. Wie nur, Pferd, konntest Du so gemein sein? Warum die arme Maus töten? Das ist nicht lustig!

Überraschende Wendung

Doch das Pferd gibt sich kalt, erklärt, es könne noch viel gemeiner sein und mit einem Hufeisenfunken den Hof in Brand setzen. Fassungslos hören die Tiere, wie das Pferd der Katze dann auch noch die Mäusejagd verbietet: "Von jetzt an gehören alle Mäuse mir!" Verängstigt schleicht die aus ihren Blutrausch erwachte Katze betroffen davon.
Erst als sie weg ist, hebt das Pferd den Huf und siehe da: Die Maus lebt! Das Pferd hat sie gerettet.
Was für eine grandiose Geschichte. Lorenz Pauli zeigt nicht nur, dass es das perfekte Idyll nicht gibt. Er macht auch nicht nur eindringlich klar, wie anfangs lustig Gemeintes aus dem Ruder laufen kann, sondern er bedient eine ganze Partitur an Themen: Schadenfreude, Schaulust, Voreingenommenheit, Hilflosigkeit - und wie man mit schlauem, mutigen Handeln aus solch einer Situation wieder raus kommen kann. Besser können Kinder nicht ermutigt werden. Was für ein großer Spaß!
Dazu dann noch die beeindruckenden Bilder von Kathrin Schärer: Wie sie es schafft, den Tieren all diese Emotionen einzuhauchen, unglaublich! Oft braucht es den Text gar nicht, um deutlich zu machen, was wer gerade fühlt. Das amüsierte Grinsen der Ziege, die schreckgeweiteten Augen des Schweins, als die Katze sich anschleicht, und der angeekelte Aufschrei von Hahn und Hund, als das Pferd die Maus vermeintlich zertritt. All das spricht für sich selbst.
Dabei sind ihre Tiere realistisch gemalt, mit starkem Strich und in satten Farben. Niedliche Verfremdungen eines Walt Disney sucht man hier zum Glück vergebens. Nein, diese Tiere gibt es wirklich. Sie leben auf jedem Bauernhof – und sie können genauso gemein sein.
Insofern kann man "böse" auch als Hommage an George Orwells dystopische Fabel "Farm der Tiere" lesen – denn wie dort auch stehen die Tiere sinnbildlich für unser eigenes Handeln. Was für ein kluges Kinderbuch!

Lorenz Pauli: "böse"
mit Illustrationen von Kathrin Schärer
atlantis Verlag, Zürich 2016
32 Seiten, 14,95 EUR

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