Lore-Krüger-Fotoausstellung in Berlin

Den Porträtierten sehr nah

Fotos der Ausstellung "Ein Koffer voller Bilder" hängen im Amerika Haus der Galerie C/O Berlin. C/O Berlin präsentiert weltweit als erste Institution eine große Retrospektive von Lore Krüger.
Fotos der Ausstellung "Ein Koffer voller Bilder" hängen im Amerika Haus der Galerie C/O Berlin. C/O Berlin präsentiert weltweit als erste Institution eine große Retrospektive von Lore Krüger. © picture alliance / dpa
Von Eva Hepper · 27.01.2015
Zehn Jahre blieben der deutsch-jüdischen Exilantin Lore Krüger, um sich als Fotokünstlerin zu entwickeln. Dass viele ihrer einfühlsamen, innovativen Bilder in der C/O-Galerie nun erstmal ausgestellt werden, ist ihren Nachkommen zu verdanken.
Das Porträt eines Mannes, der sich großzügig Rasierschaum auf Kinn und Wange pinselt, während ihm ein anderer den Handspiegel hält. Ein kleines Mädchen, das auf der Erde sitzt – mit geschlossenen Augen – und selbstverloren in ein Fladenbrot beißt. Eine Frau und Mann kochend inmitten einer Wagenburg. Die außergewöhnlichen Fotografien der Sinti- und Roma-Familien zeugen von Respekt und Empathie – fernab jeglichen Klischees.
Lore Krüger hat die "Gitanes" 1936 in Frankreich aufgenommen. Ihre Bilder sind vergleichbar mit den Sinti-Porträts von Marianne Breslauer aus den frühen 30er-Jahren. Doch während Breslauer berühmt wurde, ist Lore Krüger kaum bekannt. Eine Ausstellung und dieser Bildband würdigen nun erstmals das Werk der 1914 in Magdeburg geborenen und 2009 in Berlin verstorbenen Künstlerin.
Der in Leinen gebundene, schön gestaltete Band versammelt 80 Schwarz-Weiß-Fotografien aus den Jahren 1934 bis 1944. Sie reichen von Alltags- und Straßenszenen über Porträts und Stillleben bis hin zu abstrakten fotografischen Experimenten. Auffallend ist ihre hohe künstlerische Qualität. Krüger hatte ihre ganz eigene Bildsprache, angelehnt an die Strömungen ihrer Zeit wie etwa das vom Bauhaus inspirierte "Neue Sehen". Ein sorgfältig arrangiertes Teeservice von schräg oben aufgenommen oder geometrische Figuren aus Früchten oder Textilien erinnern nicht ohne Grund an den Bauhaus-Lehrer Lázló Moholy-Nagy.
Experimente im Labor
Dass viele Bilder hier zum ersten Mal überhaupt gezeigt werden, ist den Lebensumständen Lore Krügers geschuldet. Als Jüdin musste sie Deutschland 1934 verlassen. Nach einer Fotografenausbildung in Spanien, lernte sie in Paris bei der Moholy-Nagy-Schülerin Florence Henri bis zu ihrer Internierung in Südfrankreich. Schließlich gelang ihr die Flucht in die USA. Als sie 1946 nach Deutschland zurückkehrte, beendete sie ihre Fotografinnenlaufbahn – auch aus gesundheitlichen Gründen – und arbeitete als Übersetzerin. Ihre Nachkommen haben jetzt die Ausstellung und den Bildband initiiert.
Zehn Jahre, angesichts von Flucht und Exil, sind keine lange Zeit, um sich als Künstlerin zu entwickeln oder gar ein Werk zu schaffen. Dennoch gelang Lore Krüger genau das, wie Katharina Sykora in ihrem einfühlsamen Text belegt. Die renommierte Kunsthistorikerin bettet das schmale Œuvre in seinen zeit- und fotohistorischen Kontext ein. So wird deutlich, wie innovativ Krüger ihre Sujets behandelte. Zum Beispiel wenn sie im Labor mit der Technik der Montage, des Fotogramms und der Mehrfachbelichtung experimentierte.
Ganz besondere Dokumente der Zeitgeschichte sind die Porträts aus der New Yorker Exilanten-Szene; etwa die Bilder des Sozialdemokraten Kurt Rosenfeld oder des Schriftstellers Alfred Kantorowicz. Sie bezeugen wie nah Lore Krüger den Porträtierten kam und wie sensibel sie ihr Wesen einzufangen wusste. Ein wunderschöner Bildband!

Lore Krüger: Ein Koffer voller Bilder: Fotografien 1934-1944
Herausgegeben vom C/O Berlin
Übersetzt von Gillian Morris (deutsch/englisch)
Edition Braus, Berlin 2015
168 Seiten, 29,95 Euro

Mehr zum Thema