Büffeln im Londoner "Knowledge Point"

Die härteste Taxi-Schule der Welt

Londoner Cab in der Oxford Street.
Ein klassisches London Cab in der Oxford Street. © picture alliance / dpa / Daniel Kalker
Von Ruth Rach · 25.08.2016
Sie sind besser als ein GPS: Taxifahrer in London, auch "Cabbies" genannt, kennen ihre Stadt auswendig. Das lernen sie in der härtesten Taxischule der Welt, dem "Knowledge Point".
Sie sitzen pärchenweise an Pulten, auf denen riesige A-Z Stadtpläne von London aufgedruckt sind und fragen sich gegenseitig ab: Die Schüler im Knowledge Point – der ältesten Taxischule in London.
Das "Knowledge" ist die schwierigste Geografieprüfung der Welt. Drei Jahre lang bimsen sich die angehenden Black Cab Driver Londons Stadtplan ein. 25.000 Straßen und unzählige "Wahrzeichen": Krankenhäuser, Clubs, Galerien, Hotels, und ja, sogar das nächste öffentliche Klo. Ein Black Cab Driver muss jede Route kennen, im Umkreis von sechs Meilen rund um den Trafalgar Square. Er muss besser sein als ein Navi.
Jack: "Im Moment habe ich nur eines im Kopf: das Knowledge. Rund um die Uhr. Ansonsten bin ich total vergesslich. In meinem Gedächtnis hat nichts anderes mehr Platz."
Jack ist Mitte zwanzig und hat bald Prüfung. Er lernt nach einem alten viktorianischen Prinzip, sagt ihr Lehrer Peter Allen.
Peter Allen: "Wiederholung. Die Schüler müssen jede einzelne Route mit dem Roller abfahren und dann auf dem Stadtplan nachzeichnen, immer wieder, jeden Tag. Bis sie sitzt."

Ortsgedächtnis größer als bei normalen Menschen

Inzwischen können sie jede Straße, jede Ecke, jedes Haus vor ihrem inneren Auge abrufen. Und nach Bedarf auch in die Vogelperspektive hochzoomen, dann haben sie die ganze Route im Bild.
Und im Hirn. Genauer: in ihrem Hippocampus. Das haben wissenschaftliche Studien nachgewiesen. Der hintere Teil ist für das Ortsgedächtnis zuständig und bei Londoner Cabbies deutlich größer als bei normalen Menschen. Wird es nicht mehr benutzt, bildet es sich wieder zurück. Sich das "Knowledge" zu erwerben, kommt einem Leistungssport gleich, sagt Malcolm Linksy, der die Taxischule gegründet hat.
Malcolm Linksy: "Die Ausbildung verlangt höchste Disziplin. Am besten eignen sich Leute, die harte Trainingsprogramme hinter sich haben, Sportler zum Beispiel und ehemalige Soldaten."
Du musst dich dem Knowledge mit Leib und Seele verschreiben, bestätigt Nectra.
Nectra: "Du hast kein gesellschaftliches Leben mehr, kein Familienleben, kein Einkommen. Ich kann das nur machen, weil meine Freundin das Geld hereinbringt."
Nectra ist 56. Er hat noch mindestens ein Jahr bis zur Prüfung.
Nectra: "Du hast das Gefühl, dein Hirn explodiert. Du hast tausende Puzzlestücke im Kopf, die sich irgendwann einmal zusammenfügen. Ich kann vor lauter Straßen und Routen gar nicht mehr schlafen..."

Cabbies haben hohes Prestige

Sein Nebensitzer fragt Nectra eine neue Route ab. Der starrt ins Leere, rauft sich die Haare, dann spult er ganz plötzlich eine Liste von Straßennamen ab, die sein Partner mit einem Filzstift auf der Karte einzeichnet.
Anschließend prüfen die beiden mit einem Baumwollfaden, ob dies wirklich die direkteste Linie ist.
Nectra: "Ich setze mir stets hohe Maßstäbe. Klar, könnte ich ein Uber-Fahrer werden, das wäre sehr viel leichter, aber ein Cabbie hat ein ganz anderes Prestige. Das 'Knowledge' gehört zum Londoner Kulturgut."
Aber können Londons Taxifahrer tatsächlich gegen Minicabs und Uberfahrer bestehen, die sich nicht auf die Karte im Hirn, sondern auf ihr Navigationsgerät verlassen?
Navis seien völlig okay, sagt Malcolm Linksy, aber nur außerhalb von London.
Linksy: "In der Londoner Innenstadt gibt es viel zu viele Hochhäuser und Tunnel, die den GPS-Empfang stören. Außerdem dauert es Monate, bis die Umleitungen in die Software einprogrammiert sind. Londoner Cabbies können viel schneller reagieren."
Peter Allen, Lehrer und Taxifahrer, begleitet mich zum Ausgang. Gleich in den Hallen unterhalb der Knowledge Point Taxischule werden die klassischen Londoner Cabs produziert und ausgestellt. Peter deutet auf eine Reihe funkelnagelneuer Autos.
Allen: "Hier haben die Schüler ihr Ziel vor Augen. Jedes Mal wenn sie einen schlechten Tag haben, laufen sie an diesen Taxis vorbei und sagen: Darauf arbeite ich hin, das will ich werden."

In unserer Sommerreihe "Stadt Land Karte" widmen wir uns der Bedeutung der Kartographie heutzutage.

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