London ruft

Von Jochen Spengler · 25.07.2012
Bis zum Wochenende muss auch der letzte Handgriff getan und London für den Ansturm der Besucher gerüstet sein. Die zahlreichen Sportstätten, an denen die Wettkämpfe der Olympischen Sommerspiele in London oder anderen britischen Spielstätten stattfinden, stehen bereit. Sorge bereitet dagegen der schon im Normalfall hoffnungslos überlastete Nahverkehr.
Skeptiker fürchten einen Verkehrsinfarkt der Acht-Millionen-Metropole. Denn das olympische Dorf liegt im Osten der Stadt. Wer vom westlich gelegenen Chelsea oder von Kensington aus dorthin will, der muss sich mitten durch die City schlagen, wo jeden Morgen 320.000 Berufspendler zur Arbeit gehen. Jetzt wird sich zeigen, ob die ehrgeizigen Vorhaben der Planer der Wirklichkeit standhalten.

"Eine große Ehre. Wenn meine Mutter noch lebte, wäre sie so stolz, genauso wie mein Mann,"

sagt Dinah Gould, die 100 Jahre alt und damit Großbritanniens älteste weibliche Fackelläuferin ist.

Die alte Dame in der weiß-goldenen Olympia-Uniform steht neben Dominik McGowen. Er ist elf und einer der Jüngsten:

"Das ist schon ein Altersunterschied, aber ich denke, Olympia ist für alle da."

"Ja genau,"

stimmt Dinah zu. Die beiden sind zwei von mehr als 8000 Auserwählten. 40.000 hatten sich darum beworben, einige hundert Meter die goldfarbenen Fackeln zu tragen. Sie sind 80 Zentimeter lang, 800 Gramm schwer und mit 8000 Löchern perforiert. Der 8000 Meilen lange Weg des olympischen Feuers durch Großbritannien ist ein Spektakel, das von der BBC 70 Tage lang in Bild und Ton begleitet wird

Wochenlang redeten aufgekratzte Moderatoren im Frühstücksfernsehen auf Fackelläufer ein, jetzt auch mal ihre Beglückung kundzutun und nicht immer klang die Versicherung, man sei begeistert, restlos überzeugend

Durch 1000 Städte und Dörfer in England, Wales, Schottland und Nordirland wurden die Fackeln transportiert: zu Fuß, im Kajak, auf dem Rad, mit der Dampflok, im Heißluftballon, zu Pferd oder auch im Rollstuhl. Die Strecke war so gewählt, dass 95 Prozent der Bevölkerung nicht weiter als 16 Kilometer von ihr entfernt wohnten – ein mobilisierendes Element.

"Es waren Augenblicke, die die Stimmung beflügelt haben. Ich habe die Fackel in Sheffield getragen und ich werde niemals die zwei Stunden im Team-Bus vergessen, als ich den Geschichten von 20 Leuten zuhörte, die die außergewöhnlichsten Dinge in ihrer Gemeinde getan haben.

Das ist nicht nur eine Feier der olympischen Flamme, das ist die Anerkennung von Herkules-Arbeiten, die diese Menschen manchmal jahrzehntelang für ihre Gemeinschaft geleistet haben - darum ging es bei dem Fackel-Lauf."

Das sagt Lord Sebastian Coe, zweifacher Olympiasieger im 1500-Meter-Lauf und Vorsitzender des Londoner Organisationskomitees Locog. Letzten Freitag traf die Flamme in London ein und wird seither mit zunehmender Begeisterung durch die Hauptstadtbezirke getragen. Übermorgen wird damit das olympische Feuer im Stadion entzündet und es ist ein großes Geheimnis, wer der letzte Fackelträger sein wird.

Schon jetzt freuen sich viele Briten auf die Spiele und auf das Mammutprogramm des parallel laufenden Kulturfestivals mit Freiluftkonzerten und Ausstellungen. Für andere aber hat die größte Schau der Erde eher abschreckende Wirkung. Sie fürchten, dass ihre Stadt noch chaotischer als sonst sein wird.

"”I’m not interested ... I’m not really in to sports ... I am going up to Yorkshire to get away from it all.”"

Zeitungen und Zeitschriften sind voll mit Schreckensszenarien und vorschnellen Zusammenbruchs-Prognosen.

Alex Williams ist Direktor bei der Verkehrsbehörde Transport for London und hat zwei Prioritäten: fantastische Spiele und London am Laufen zu halten:

Die 150 Jahre alte U-Bahn, die schon in Normalzeiten täglich drei Millionen Passagiere befördert, muss nun eine weitere Million verkraften und die roten Busse sollen zwei Millionen Fahrgäste zusätzlich transportieren.
Deswegen hat Großbritannien in den letzten Jahren über acht Milliarden Euro in den Ausbau und die Ausbesserung des Bahn- und Busnetzes gesteckt. Doch eine Garantie dafür, dass die Investitionen Verkehrsprobleme verhindern werden, kann der TFL-Direktor nicht abgeben:

"Wir können uns nicht dazu verpflichten, einen perfekten Service zu liefern. Es wird zu einigen Störungen während der Spiele kommen – bei der U-Bahn, bei den S-Bahnen. Aber wir sind entschlossen, sie schnellstmöglich zu beheben.

Stratford in Ostlondon, das Tor zu den Spielen, wird von elf verschiedenen Zuglinien angefahren. Wenn es also zu Problemen etwa bei der Jubilee-Line oder bei der Central-Line kommt, dann gibt es immer noch zehn andere Wege zu den Spielen zu gelangen."

Insgesamt rechnet die Verkehrsbehörde damit, dass es auf einem Drittel der U-Bahnhöfe erheblich enger wird als sonst - mit Wartezeiten von einer halben Stunde.

Priorität haben die Athleten; sie sollen rechtzeitig zu ihren Wettkampf- und Trainingsstätten kommen, die sich nicht nur im neuen Olympiapark befinden, sondern über London verstreut sind.

"Wenn ich einem Sportler sage, dass er 31 Minuten vom Dorf zur Sportstätte braucht – dann ist es entscheidend, dass das garantiert ist. Weil ihre ganze Zeit-Planung vom Warmup bis zum Rennen auf dieser Zeit-Angabe beruht."

Und so verteidigt Lord Coe die 50 Kilometer Sonderfahrspuren mit grüner Welle mitten durch London für die sogenannte olympische Familie – zu ihr gehören nicht nur die 10.500 Athleten, sondern auch die 14.000 Funktionäre, die Sponsoren und rund 20.000 Journalisten.

Normalsterbliche haben auf den Spuren nichts zu suchen, auch Taxis nicht; sie dürfen sie noch nicht einmal zum Wenden überqueren, was schon zur Protestblockade und zum Hupkonzert der Cabbies geführt hat.

"Jeder in der Welt kennt die schwarzen Londoner Taxis und welchen Service wir bieten. Das hier kostet mich meinen Lebensunterhalt. Wenn ich falsch abbiege, muss ich 130 Pfund Strafe zahlen.

Wenn jemand auf der anderen Straßenseite winkt, dürfen wir nicht wenden und ihn mitnehmen. Auch wenn wir ihn rauslassen wollen, müssen wir ums Karree fahren. Das sorgt für Ärger. Aber auf dem Parkstreifen der Großen Hotels ist es erlaubt mitzunehmen und rauszulassen. Da gibt es eine Regel für die Reichen und eine andere für die Armen in London."

Der Londoner verspottet die Fahrspuren als ZIL-Lines, benannt nach den russischen ZIL-Limousinen, mit denen die KP-Funktionäre früher durch Moskau gerauscht sind.

Vor zwölf Jahren – bei den Olympischen Spielen von Sydney – betrug der Sicherheits-Etat noch 140 Millionen Euro. Das aber war vor den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York und vom 7. Juli 2005 in London.

Heute haben sich die Sicherheitskosten für den Steuerzahler nahezu verzehnfacht: auf 1,3 Milliarden Euro, die der Steuerzahler trägt. Auch wenn die zuständige britische Innenministerin Theresa May versichert:

"Ich kann gegenüber dem Parlament bestätigen, dass es keine spezifische Bedrohung gegen die Spiele gibt und dass der Bedrohungsgrad unverändert bleibt ... Die Sicherheits-Vorkehrungen wurden akribisch geplant. Es werden die größten und vielschichtigsten in diesem Land sein seit dem Zweiten Weltkrieg."

Dafür sorgen 12.500 Polizisten, Scharfschützen und auch Soldaten mit Flugabwehrbatterien in Parks und auf Wohntürmen, Kampfjets und Hubschraubern, die den Luftraum über London kontrollieren.

Das größte britische Kriegsschiff, die HMS Ocean, ein Hubschrauberträger, ankert in der Themse vor Greenwich und konnte dort am vorletzten Wochenende besichtigt werden. Wenn schon der Steuerzahler dafür zahle, dann dürfe er es sich auch anschauen, sagt ein schwer gewichtiger Sergeant der Royal Navy.

Allein 140 Einsatzorte – von den Sportarenen, über Trainingsplätze bis zu Hotels – wollen geschützt sein; eine Aufgabe, die das Organisationskomitee anfangs unterschätzt hat. Im Dezember musste das Budget für den Anlagenschutz auf 700 Millionen Euro verdoppelt werden

Davon wollte auch ein Privatunternehmen profitieren – G4S, mit 650.000 Mitarbeitern in 125 Ländern Weltmarktführer in Sachen Sicherheit. Es versprach, 10.400 Sicherheitsleute bereit zu stellen und stellte dafür 360 Millionen Euro in Rechnung. Doch das Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 10 Milliarden Euro überschätzte sich – es kann nur 7000 Leute abstellen.

So wird die Armee nun mindestens 17.000 Soldaten im Einsatz haben – fast doppelt soviel wie in Afghanistan dienen. Sie sichern Sportstätten, kontrollieren Eintrittskarten und gucken in Rucksäcke und Handtaschen.

Nun ist die Sicherheit der Spiele durch die stärkere Rolle des Militärs keineswegs geschwächt; ob allerdings London 2012 vor allem als friedliches Sportereignis oder angesichts all der Uniformierten als Hochsicherheitszone in die Annalen eingeht, ist offen. Die Atmosphäre diese Spiele der Sommerspiele aber dürfte aber noch von etwas Anderem, leider nicht Planbarem geprägt werden: dem Wetter.

Seit die Regierung kurz vor Ostern nach monatelangem Ausbleiben von Regen offiziell eine Trockenheit ausrief und ein Gartenschlauchverbot verhängte, regnete es ohne Unterlass in Großbritannien. Lord Coe bedauerte schon:

"Ich habe keine hotline zum Allmächtigen. Gelegentlich habe ich mir die in den letzten Monaten gewünscht. Aber bislang hat er nicht auf mich gehört. Wir sind nun einmal eine nordeuropäische Nation ... und ja, manchmal werden wir nass. Und manchmal ist es eine dämpfende Atmosphäre, aber nie eine niederschmetternde."

Vielleicht aber hat der Lord doch einen Draht nach oben. Jedenfalls wurde in den letzten Tagen mehrfach die Sonne gesichtet.

Billig ist Olympia nicht. Zwar kosten die Spiele nur ein Drittel dessen, was China vor vier Jahren ausgegeben hat; es sind aber immer noch mindestens neun Milliarden Pfund – fast zwölf Milliarden Euro. Aber, so ist Premierminister Cameron überzeugt: Sie werden sich lohnen.

"Ich erwarte Vorteile für die britische Wirtschaft von mehr als einer Milliarde Pfund. Und ich bin zuversichtlich, dass wir über 13 Milliarden in den kommenden vier Jahren erzielen können durch die Veranstaltung der Spiele."

Leider sagt der Regierungschef nicht, wie er auf einen Gewinn von mehr als fünf Milliarden Euro kommt. Studien über frühere Spiele untermauern jedenfalls, dass der Steuerzahler immer drauf zahlt. Natürlich haben die großen Baufirmen profitiert, an die Aufträge von sechs Milliarden Pfund gegangen sind.

Auch die Hotels, Restaurants und Supermärkte hoffen darauf, dass die Geschäfte zumindest nicht schlechter laufen als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Kleine Firmen aber haben wenig von Olympia; das jedenfalls glauben sieben Prozent der Mitglieder des Verbands kleiner Unternehmen, für den Pierre William spricht.

"Die Spiele sind dem Vereinigten Königreich verkauft worden als ein großartiges Ereignis, das den Gemeinschaftsgeist befördert und den Stolz - und das gut ist fürs Geschäft, egal in welchem Bereich. Aber nun gibt es ein wachsendes Gefühl bei kleinen Unternehmen, dass sie ausgeschlossen sind von den Handelsmöglichkeiten, die Olympia bietet."

Schuld daran sei der übertriebene Schutz der Sponsoren-Interessen durch Locog und das IOC

Doch Locog-Chef Sebastian Coe verteidigt das rigide Vorgehen seiner Aufpasser. Neben den Einnahmen aus dem Ticketverkauf seien es schließlich die eine Milliarde Euro der Sponsoren, mit denen der Ablauf der Spiele bezahlt werde. Man müsse ihre Rechte schützen.

"”We have to protect the rights of the sponsors because they pay a large part of the Games.”"

Und dann wird er von einem BBC-Radiomoderator gefragt, ob man denn als Zuschauer aufs Olympiagelände mit einem T-Shirt von Pepsi Cola dürfe.

"Nein, Sie würden wahrscheinlich damit nicht reinkommen, weil Coca Cola Sponsor ist und Millionen Pfund in dieses Projekt investiert."

Und als der Journalist nachhakt, ob man denn mit Nike-Sportschuhen reinkomme, wo doch Adidas Sponsor sei, kommt Seb Coe ins Schwimmen und meint schließlich, ja, wahrscheinlich.

Er ist sich mit Regierung und IOC einig in der Einschätzung, dass im Vorfeld der Spiele viel zu negativ berichtet werde. Man möge doch die mediale Aufmerksamkeit darauf richten, was in den sieben Jahren, seit man Paris als Bewerber ausgestochen habe, alles gelungen sei angesichts der Herausforderung, Olympische Spiele nicht weit außerhalb, sondern mitten in einer Millionenmetropole zu wagen.

"Glauben Sie nicht, dies sei ein Spaziergang - es ist wirklich, wirklich kompliziert. Es geht um die Fähigkeit innerhalb von 19 Tagen in dieser Stadt 26 gleichzeitig stattfindende Weltmeisterschaften zu veranstalten. Ich finde, wir haben viele Dinge sehr gut gemacht.

Wir sind innerhalb des Zeit- und Budgetplans geblieben. Wir haben ein Organisationskomitee zusammengebracht, das die Meßlatte in vielerlei Hinsicht hoch gesetzt hat. Mir sagen die Teilnehmer, dass wir für sie Bedingungen geschaffen haben, wie es sie bei keinen Spielen zuvor gab."

Tatsächlich bescheinigen neutrale Beobachter den britischen Organisatoren eine hervorragende Vorbereitung – von der frühzeitigen Fertigstellung der Sportstätten, über die Durchführung des Fackellaufs, der Mobilisierung von 70.000 freiwilligen Helfern bis hin zum Verkauf der 8,8 Millionen Tickets.

"”The streets will be ready, won’t they? The trains will be ready, the taxis will be ready, the theatres will be ready, the hotels will be ready, the bicycles will be ready and above all: the people of London will be ready ...

to welcome the worlds finest athlets to the greatest games that will ever been held in the greatest city on earth. See you in London, thank you ...”"