Lobbyarbeit für den "Platz an der Sonne"

Von Bernd Ulrich · 19.12.2012
Nachdem das Deutsche Kaiserreich gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit Verspätung in den Wettstreit um Kolonien eingestiegen war, gründete sich am 19. Dezember 1887 die Deutsche Kolonialgesellschaft. Ihr Ziel: Die Verbreitung des kolonialen Gedankens.
"Die Kolonialpolitik will nichts Anderes, als die Kraftsteigerung und Lebensbereicherung der stärkeren, besseren Rasse, auf Kosten der schwächeren, geringeren, die Ausbeutung der nutzlos aufgespeicherten Reichtümer dieser im Dienste des Kulturfortschrittes jener."

Offener als im Jahr 1885 Carl Peters, seines Zeichens Geschäftemacher und Begründer von "Deutsch Ostafrika", hätte man es nicht formulieren können: Für viele Verfechter einer Kolonialpolitik am Ende des 19. Jahrhunderts war – nicht nur in Deutschland - die Inbesitznahme fremder Territorien durch einen kruden Sozialdarwinismus gerechtfertigt. Das schloss ein gönnerhaftes Auftreten gegenüber den "Eingeborenen" mit ein, blieb aber bestimmt von ökonomischen Interessen. Der Volkswirtschaft in Freiburg lehrende Philippovich von Philippsberg, einer der engagiertesten Kolonialpolitiker der Zeit, formulierte es in einer Rede am 6. Mai 1887 so:

"Die Negerkultivierung wird geändert werden durch die Kolonialverwaltungen. Dieselben werden die Eingebornen in den Gebrauch und dem Nutzen der mannigfachen Güterformen unterweisen. Das wird den Sinn der Eingebornen für die Produkte europäischer Industrie wecken und entfalten. Dadurch erschließt sich eine reiche Quelle des Handels, welche nie versiegen wird."

Hinzu kamen weitere, als reine Sachgründe vorgebrachte Argumente: Die Kolonien könnten die zur Auswanderung Entschlossenen aufnehmen und die ersehnten Bodenschätze der Kolonien sowie die dort angebauten Produkte das Kaiserreich unabhängiger von Importen machen.

Bereits zu Beginn der 1880er-Jahre hatten sich vor diesem Hintergrund diverse Gruppierungen und Vereine allein deshalb gebildet, um eine deutsche Kolonialmacht zu popularisieren und zugleich die notwendige Lobbyarbeit zu vereinheitlichen. Zu einem der mächtigsten Verbände wurde die Deutsche Kolonialgesellschaft, die am 19. Dezember 1887 aus der Verbindung des Deutschen Kolonialvereins und der Gesellschaft für deutsche Kolonisation hervorging. Sie verfolgte, wie es in ihrer Satzung unter anderem hieß, den Zweck:

"Die nationale Arbeit der deutschen Kolonisation zuzuwenden und die Erkenntnis der Notwendigkeit derselben in immer weitere Kreise zu tragen; die praktische Lösung kolonialer Fragen zu fördern; für alle auf diese Ziele gerichteten, in unserem Vaterlande getrennt auftretenden Bestrebungen einen Mittelpunkt zu bilden."

Bis zum Jahr 1890 vereinigten sich hier 17.000 Mitglieder, flächendeckend in 186 Ortsvereinen organisiert. Ihre Einwirkung auf die politischen Entscheidungsträger war beachtlich. In enger Zusammenarbeit mit dem Alldeutschen Verband und dem Flottenverein, aber auch mit den verbreiteten Kriegervereinen entstand eine mächtige pressure group. Nicht zuletzt meist fremd-exotisch wirkende Bildmotive in Büchern und Sammelalben oder auch den "Eingeborenen" abgeguckte Bekleidungen bei von der Kolonialgesellschaft organisierten Festen und während des Faschings taten ein Übriges, um den kolonialen Gedanken zu verbreiten.
Es gab indessen auch Widerstand. Noch am 26. Januar 1889 konnte der führende deutsche Sozialdemokrat, August Bebel, in einer Reichstagsrede ausführen, dass …

"… heute das deutsche Volk in seiner sehr großen Mehrheit kühl bis ins Herz hinein dieser ganzen Kolonialfrage gegenüber steht. Nach meiner Meinung ist das deutsche Volk nicht geneigt, sich in solche kolonialen Abenteuer, wie sie hier uns zugemutet werden, einzulassen."

Zu den stärksten Kritikern gehörte schon früh auch Reichskanzler Otto von Bismarck. Der Historiker Klaus Goebel:

"Einem Kolonialenthusiasten antwortete er sogar einmal: Ihre Karte von Afrika ist ja sehr schön, aber meine Karte von Afrika liegt in Europa – hier liegt Russland, hier liegt Frankreich, wir sind in der Mitte: Das ist meine Karte von Afrika."

Tatsächlich lag in der bald sprichwörtlich gewordenen Suche nach einem "Platz an der Sonne" unter den Großmächten der Keim vieler Konflikte mit den klassischen Kolonialmächten England und Frankreich. Aber die Haltung Bismarcks änderte sich, vor allem deshalb, weil die Ausweitung der Kolonien in Neuguinea und in Afrika – neben Deutsch Ostafrika, auch Deutsch Südwestafrika, Kamerun und Togo - kaum mehr aufzuhalten war.

Nach dem Ersten Weltkrieg verlor Deutschland seine Kolonien. Die Deutsche Kolonialgesellschaft jedoch bestand weiter und versuchte, inmitten des globalen Ausbaus kolonialer Expansion, den deutschen Kolonial-Gedanken hoch zu halten. Angewachsen auf fast 30.000 Mitglieder, blieb ihr Einfluss allerdings begrenzt. Die Nationalsozialisten aber, mit deren Machtübernahme neue koloniale Hoffnungen aufkeimten, verfolgten die Schaffung ganz anderer Imperien. 1936 wurde die Kolonialgesellschaft schließlich aufgelöst.