Literaturgeschichte

Das Unheilvolle des Menschseins

George Tabori am 15. Juni 2004 in Wien.
George Tabori am 15. Juni 2004 in Wien. © picture-alliance/ dpa / Roland Schlager
Von Carsten Hueck · 23.05.2014
George Tabori ist bei uns vor allem als Regisseur und Dramatiker bekannt. Anlässlich seines 100. Geburtstags erschienen nun auch seine Romane neu, neben Theaterwerken. Die Texte sind zwar stark von ihrer Zeit geprägt, aber heute noch genauso lesbar.
Hierzulande wurde George Tabori, der ungarische Jude mit britischem Pass, vor allem als Regisseur und Dramatiker bekannt. Nachdem er Jahrzehnte in Hollywood und New York als Drehbuchautor und Theatermacher gearbeitet hatte, inszenierte Tabori in Deutschland 1969 zum ersten Mal ein eigenes Stück: "Die Kannibalen". Eine schwarze Messe, von Kafka und den Marx Brothers ebenso beeinflusst wie von Brecht und der Bibel.
Tabori, dessen Vater in Auschwitz umgebracht wurde, erzählt "die ungewöhnliche Geschichte einer Tischgesellschaft". Schauplatz ist eine Baracke im Vernichtungslager, Häftlinge kochen dort einen Kameraden. Weil der Holocaust auf der Bühne damals höchstens als Dokumentartheater vorkam und die rebellierende Jugend Gut und Böse klar voneinander zu trennen wusste, war das ein Tabubruch.
Erstmals alle Dramentexte in einer Edition
Vom Geist der bewegten 60er Jahre inspiriert, aber auch vom amerikanischen Vaudeville, vom Happening und dem flotten Wortwitz guter Boulevardkomödien schlägt Tabori mit diesem Stück eine Schneise in die deutsche Theaterlandschaft. In den folgenden Jahrzehnten wird diese Schneise - dank "Pinkville" (1971), "Sigmunds Freude" (1975), "Jubiläum" (1983) und "M" (1985) - immer breiter. "Die Kannibalen" erweisen sich als Vorläufer eines modernen, spontanen, persönlichen, Kunst und Leben reflektierenden Theaters.
Aus Anlass des 100. Geburtstags erscheinen die gesammelten Theaterstücke des großen "Playmakers" Tabori nun im Göttinger Steidl Verlag. Der erste Band umfasst jene 15 Stücke Taboris, die nach 1952 in den USA und in London sowie zwischen 1969 und 1985 in Deutschland zur Uraufführung kamen. Im Herbst folgt der zweite Band mit den 1987 bis 2007 entstandenen Stücken. Erstmals werden alle Dramentexte Taboris, auch die hierzulande bislang unbekannten, in einer Edition verfügbar sein.
Begonnen hatte die Karriere des Autors Tabori jedoch mit Prosa: Zwischen 1942 und 1951 schrieb er vier Romane. Sie liegen nun - eine Taschenbuchausgabe aus den 1990er Jahren ist lange vergriffen - wieder vor, diesmal in schönes Leinen gebunden. Taboris Protagonisten agieren dort, wo sich der Autor im Zweiten Weltkrieg als britischer Auslandskorrespondent und Geheimdienstmitarbeiter aufhielt.
Tabori erzählt von emotionalen Verstrickungen und unliebsamen Wahrheiten
In "Das Opfer" liefern sich in einem jugoslawischen Dorf ein Nazi-Offizier und ein gefangener englischer Hauptmann einen Tag und eine Nacht lang ein abgründiges Duell, das weit über nationale und ideologische Gegensätze hinaus geht. Taboris existenzialistischer Erstling zeigt eine differenzierte Menschendarstellung, wie später auch charakterisiert er die Hauptfiguren jenseits von Täter-Opfer-Klischees. Auch in den folgenden Romanen, die während des Faschismus in Italien, im Irak und in Ägypten spielen, dokumentiert der Autor einerseits seine Zeit und erzählt andererseits von emotionalen Verstrickungen und existenzieller Verlorenheit des Menschen, von unliebsamen Wahrheiten und der Auflösung allzu fester Gewissheiten.
George Taboris Romane und seine Stücke der 1970er und 80er Jahre erweisen sich trotz ihrer zeitgebundenen Ästhetik und Themen als haltbar. Sie kreisen mit Witz und ohne falsche Pietät um die Schönheit, das Geheimnis und auch das Unheilvolle des Menschseins. Guter Stoff zum Lesen, Ansehen und nun auch Anfassen.

George Tabori: "Romane"
4 Bände ("Das Opfer", "Gefährten zur Linken", "Ein guter Mord", "Tod in Port Aarif")
Aus dem Englischen von Ursula Grützmacher-Tabori
Steidl Verlag, Göttingen 2014
Je ca. 300 Seiten, 68,00 Euro

Georg Tabori: "Theater", Band 1
Aus dem Englischen von Ursula Grützmacher-Tabori u.a.
Steidl Verlag, Göttingen 2014
720 Seiten, 49,80 Euro