Literaturfest am Berliner Wannsee

Schüsse, Sekt und Ideen für die Zukunft

Blick auf die Pfaueninsel im Berliner Wannsee
Der Wannsee im Sonnenschein: In diesem Ambiente findet jedes Jahr das Sommerfest statt. © picture alliance / dpa
Von Verena Kemna · 25.08.2014
Jedes Jahr findet das Literaturfest am Wannsee in Berlin statt. Autoren kommen, Verleger und Leser ebenfalls. Und in diesem Jahr wurde sogar geschossen!
Der Schießstand ist direkt an der Rasenfläche im großen Vorgarten aufgebaut. Auf Plakaten steht der Romantitel "Mit heiler Haut" der Französin Céline Minard. Während die Besucher im Literarischen Colloquium am Schießstand rätseln, weshalb sie denn zur Flinte greifen sollen, klärt das Verlagsheft von Matthes & Seitz auf. Da heißt es: "Mit heiler Haut" sei ein praller Western mit wilden Schießereien vor spektakulären Landschaften und voller extremer Charaktere. Einige schießen tatsächlich, wundert sich Céline Minard. Die preisgekrönte Autorin sitzt im Garten der Backsteinvilla, streicht sich die glatten braunen Haare aus dem ungeschminkten Gesicht und lacht herzlich. Die Französin, die derzeit in Paris lebt, kramt ihren soeben erschienenen Western aus einer Tüte und buchstabiert.
"Habe ich das richtig gesagt?", möchte sie noch wissen, lacht, schüttelt den Kopf und erklärt, dass sie überhaupt kein Deutsch kann.
Keine Wolke am Himmel
"Als ich das geschrieben habe, habe ich auf 2000 Metern Höhe in den Alpen gezeltet und mich wie eine Pionierin gefühlt. In der Ebene gab es viele Tiere, vor allem Murmeltiere, die kommen auch in meinem Buch vor. Vielleicht ist das ja komisch, in den Alpen oder in Paris einen Western zu schreiben, aber es ist genauso skurril, nach Berlin zu kommen, um an einem Seeufer darüber zu sprechen. Das ist toll, ich freue mich!"
Sie blinzelt in die Sonne, keine Wolke am Himmel. Auf der großen Terrasse vor der Villa aus der Gründerzeit ist wie jedes Jahr eine Lesebühne aufgebaut. Einige Verleger, Autoren, Kritiker und Literaturbegeisterte sitzen schon auf den weißen Plastikstühlen, andere Besucher schlendern mit Gläsern in der Hand auf einem serpentinenartig geschwungenen Pflasterweg den abschüssigen Hang hinunter in Richtung Wannsee. David Wagner ist Stammgast.
"Das ist immer das große Treffen am See. Ich sehe gerade viele Bekannte, manchmal weiß ich auch den Namen nicht, die lernt man dann vielleicht kennen. Tomas Espedal ist da, das ist ein super Autor, ein Norweger. Ich habe dieses Buch, Gehen oder die Kunst, ein aufregendes Leben zu führen, gelesen, das ist ein super Buch."
Die Lesebühne am Wasser ist ein "magischer Ort"
Er verschwindet in der Menge. Zwischen Laubbäumen glitzert der Wannsee, Segelboote und Ausflugsdampfer gleiten vorbei. Die sogenannte Rotunde, eine zweite Lesebühne unter freiem Himmel, steht nur wenige Meter vom Ufer entfernt. Ein magischer Ort, meint der Berliner Regisseur und Filmemacher Peter Zach. Er freut sich, dass in diesem Jahr sein Lieblingsverlag das Fest gestaltet.
"Ich mag den Verlag Matthes und Seitz auch sehr gerne, der hat ein ganz tolles Programm. Dieses Buch, diese letzte Erscheinung über den Schmetterlingssammler, die war ganz toll, ich was ganz begeistert davon. Aber sonst lasse ich mich einfach treiben, gucke einfach, was es für Neuerscheinungen gibt, den Autoren ein bisschen zuhören."
"Mit seinen langen Ohren hört der Esel die Umgebung nicht nur nach Freunden und Feinden ab, er kann mit ihnen auch seine Stimmung anzeigen. Die Ohren hängen oder spielen lassen, stellen, drehen oder einzeln abknicken."
Es wird gelacht und applaudiert, die Journalistin und Kulturwissenschaftlerin Jutta Person liest mit einem Schmunzeln aus ihrem Buch über Esel, erschienen in der Reihe Naturkunden. Jutta Person trägt schulterlange offene Haare, ein leuchtend orangefarbenes Kleid. Viele stehen nach der Lesung Schlange und halten der Autorin das aufgeschlagene Eselsbuch entgegen. Die Atmosphäre ist familiär, die Autorin nimmt sich Zeit, signiert und erklärt.
"Also, es geht ja um diesen Blick auf die Natur, es geht ja nie um die Natur selbst. Matthes und Seitz hat ja schon früh mit Nischenthemen angefangen, also das sind jetzt natürlich keine populären Massenthemen, aber das ist, glaube ich, eine Tradition, die es sich lohnt, wieder zu beleben."
Naturthemen haben sich in das Programm geschmuggelt
Drinnen auf knarzendem Parkettboden steht der Büchertisch. Da liegen die Erinnerungen des legendären Insektenforschers Jean-Henri Fabre neben schmalen Bänden über Esel, Heringe und Krähen, dem Western von Céline Minard und vielen anderen. Verleger Andreas Rötzer steht unscheinbar im dunklen Cordanzug in der Menge. Hier ein Gespräch mit Verlagsvertretern und Buchhändlern, da eines mit Nachwuchsautoren.
"Wir machen seit zehn Jahren in Berlin Bücher und mir ist aufgefallen, dass in das Verlagsprogramm sich heimlich immer mehr Themen zu Natur, Tieren, Pflanzen, praktisch eingeschmuggelt haben und als mir das klar wurde, habe ich versucht, das zu einem Programmschwerpunkt zu machen."
Er verrät, dass der Verlag gerade an einem Buch über Möpse arbeitet. Das Wort Nischenverlag hört er nicht gerne. Andreas Rötzer formuliert es lieber so:
"Wir sind ein Verlag, der viele Leser braucht und sucht und die richtigen Bücher dafür hat."
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