Literatur

Wortspieler in Berlin

Die Skyline hebt sich in Berlin im Licht der untergehenden Sonne ab. Im Vordergrund die Oberbaumbrücke, dahinter der Fernsehturm.
Die Skyline hebt sich in Berlin im Licht der untergehenden Sonne ab. Im Vordergrund die Oberbaumbrücke, dahinter der Fernsehturm. © dpa picture alliance/ Paul Zinken
Von Anke Schaefer · 22.04.2014
Der Russe Eugene Ostashevsky ist Dichter und Übersetzer und lebt eigentlich in New York. Nun arbeitet er für ein Jahr in Berlin, dank eines Stipendiums. Ostashevsky liebt das Spiel mit Worten und Sprachen.
So beginnt die Geschichte, an der Eugene Ostashevsky gerade arbeitet. Eine Geschichte, die mit den Worten "pirat", also Pirat - und "parrot", - Papagei - spielt. Eugene Ostashevsky steht in seinem Büro, einem schmalen Zimmer in einer weitläufigen Altbauwohnung in Berlin-Schöneberg. Er hält das schmale Büchlein in der Rechten, gestikuliert mit der Linken und deklamiert mit sichtbarer Freude.
"Weil der Klang in der Poesie ganz wichtig ist. Poesie betont die Tatsache, dass das, was wir sagen, bestimmt wird von der sprachlichen Form, in der wir es sagen. Also von den komplett zufälligen, konventionellen Formen, die uns unsere Sprache vorgibt."
Bei aller Betonung des akustischen Erlebnisses, ist es Eugene Ostashevsky doch auch wichtig, dass man einen Blick hinein in das kleine Büchlein wirft. Es wird illustriert von den Collagen seines New Yorker Künstler-Freundes Eugene Timerman, sie zeigen schwarz-rote Zwitterwesen: Piraten-Papageien. Und dann fällt auf: Manche Buchstaben sind in diesem englischen Text groß und fett gedruckt.
"Ich versuche hier noch eine zweite Geschichte zu erzählen: Wenn man die fettgedruckten Buchstaben zusammenfügt, dann ergibt das eine Geschichte in Russisch. Man kann das Buch also auf zwei Arten lesen."
Eugene Ostashevsky ist ein Zwitterwesen, genau so eines wie die collagierten Piraten-Papageien in diesem Büchlein. Er lebt in den USA, lehrt dort Literatur an der New York University, deren Logo auch das schwarze T-Shirt ziert, das er gerade trägt. Aber seine Wurzeln hat er in Russland.
Schwerer Abschied von der russischen Heimat
Arkady Severny, ein populärer russischer Chanson-Sänger - und insbesondere dieser Song über Piraten im Hafen von Kapstadt - begleitete Eugene Ostashevksys Jugend. Geboren wurde er 1968 in Leningrad. Dort gehörte es bis zum Fall der Mauer nicht nur in der jüdischen Gemeinde zum Alltag, Gedichte auswendig im Kopf zu haben und sie auch öffentlich vorzutragen:
"In den Schulen gab es Abende, an denen nur Gedichte vorgetragen wurden - und es könnte sogar sein, dass sich meine Eltern bei so einem Abend kennen gelernt haben! Aber sie waren auch Freunde von Joseph Brodsky, dem späteren Literaturnobelpreisträger, der ja auch aus Russland nach Amerika emigriert war. Also - ich bin schon sehr in dieser Atmosphäre aufgewachsen."
Die Eltern entschieden 1979 in die USA zu emigrieren. Der Abschied war schwer für den elfjährigen Eugene - und das Ankommen in New York auch:
"Das war ein echter Schock. New York war riesig, dreckig und kriminell. Und wir kamen aus einem anderen Universum. Heute lebt man in einer globalisierten Welt, damals aber war das noch nicht so. Daher ging es hier nicht nur um die Sprache - sondern um die gesamte Kultur. Alles war unverständlich."
Englisch lernte Eugene Ostashevsky vor zwei Fernsehern:
"Wir waren so arm, dass wir auf der Straße zwei Fernseher aufsammelten. Und das ist jetzt wirklich wahr: Der eine hatte nur Ton und der andere nur Bild und wir stellten sie übereinander. Und so haben wir dann Batman und die anderen amerikanischen Serien geguckt. Diese Helden und Geschichten tauchen jetzt auch wieder in meinen Gedichten auf. So habe ich englisch gelernt, als ich zwölf war. Vor dem Fernseher."
Ständiger Vergleich zwischen Deutschland, Russland und den USA
"The Girl from Nagasaki" auf Russisch - das Lied erzählt die Geschichte vom Mädchen aus Nagasaki, das geliebt wird von einem Schiffskapitän - auch diese Zeilen haben Eugene Ostashevsky zu seinem neuen Werk über die Piraten und die Papageien inspiriert.
Heute ist er 45, er hat den in der Kindheit erlittenen Kulturschock verarbeitet und künstlerisch-produktiv genutzt, er hat sich an das Leben in New York gewöhnt und es schätzen gelernt.
Eugene Ostashevskys Zwittergeist vergleicht ständig. Deutschland - mit Russland - mit Amerika. Und auch in Berlin prallen ja Welten aufeinander - dadurch ergeben sich Missverständnisse, was ihn zu neuen Sprachspielen inspiriert. Klar ist für ihn, es gibt nur einen Weg, um sich besser zu verstehen:
"Verstehen kommt vom Miteinander-sprechen. Je mehr man miteinander spricht, desto mehr versteht man sich."
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