Literatur

Guten Morgen, Du Schöne

Die Schriftstellerin Brigitte Reimann im Jahre 1962.
Brigitte Reimann wurde gerade einmal 39 Jahre alt. © picture alliance / dpa-ZB / Literaturzentrum Neubrandenburg
Von Carola Wiemers · 19.04.2014
Die Schriftstellerinnen Brigitte Reimann, Irmtraud Morgner und Maxie Wander bilden ein einzigartiges Dreigestirn in der deutschsprachigen Literatur. In ihren Romanen, Erzählungen, Briefen und Tagebüchern sprechen sie offen über Ängste und Sehnsüchte, unerfüllte Träume und Visionen. Doch ihr Schreiben ist nicht privat. In ihren Texten spiegelt sich die Zeitgeschichte, werden menschheitsgeschichtliche Themen verhandelt.
Während Brigitte Reimann und Irmtraud Morgner mit Romanen wie "Franziska Linkerhand" und "Amanda" moderne epische Formen ausprobieren, schafft Maxie Wander mit ihren Tonband-Protokollen "Guten Morgen, du Schöne" eine neue Form des Dokumentarischen. Brigitte Reimann stammte aus Burg bei Magdeburg und Irmtraud Morgner aus dem sächsischen Chemnitz, während die in Wien geborene Maxie Wander 1958 in die DDR kam.Die drei Autorinnen verbindet darüber hinaus das gleiche Schicksal: sie starben alle an einer Krebserkrankung. Brigitte Reimann wurde gerade einmal 39 Jahre alt, Irmtraud Morgner starb 56-jährig und Maxie Wander im Alter von nur 44 Jahren. Mit ihrem offensiv und mutig geführten Kampf gegen die Krankheit brachen sie auch ein gesellschaftliches Tabu.
In einer Langen Nacht soll ihrem Leben und Werk jeweils eine Stunde gewidmet werden. Es ging Reimann, Morgner und Wander stets darum, Verstand und Sinne für Utopien und Träume zu schärfen, für Kreativität, Glück und Schönheit. Angesichts untergehender Gesellschaftsutopien setzten sie auf "Privat"-Utopien (I. Morgner), widerständig und unbequem.
Diese Lange Nacht können Sie nach der Sendung sieben Tage lang in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören.
Brigitte Reimann (1933-1973)
"Zum Teufel mit dem ganzen Privatkram! Am Ende zählen ja doch bloß die Bücher, die man so zusammengekritzelt hat."
Brigitte Reimann Gesellschaft: Die Brigitte Reimann-Gesellschaft fördert durch die Vermittlung von Literatur und literaturwissenschaftlicher Forschung Zwecke der Berufs- und Volksbildung. Sie widmet sich dem Studium und der Verbreitung des Werkes von Brigitte Reimann. Da die Schriftstellerin mit vielen Autorinnen und Autoren der DDR in Verbindung stand, soll im Zusammenwirken mit dem Brigitte-Reimann Archiv des Literaturzentrums Neubrandenburg e. V. ein Ort der Diskussion entstehen, von dem Anregungen ausgehen für die Erforschung Literatur- und Kulturgeschichte der DDR.
Brigitte Reimann bei Wikipedia
Brigitte Reimann
FranziskaLinkerhand
Roman
2009 Aufbau TB
Die junge Architektin Franziska Linkerhand geht nach dem Studium nach Neustadt, um hier am Neubau von Wohnungen und einem Zentrum für die aufstrebende Industriestadt mitzuwirken. Rasch geraten ihre hochfliegenden Vorstellungen von einer innovativen, humanen, ästhetisch anspruchsvollen Architektur in Konflikt mit der nüchternen Realität im Planungsbüro. Franziska ist nicht der Typ, der schnell aufsteckt, und sie scheut keine Auseinandersetzungen. Aber auch die Beziehung zu Ben, ihrem zynischen Geliebten ist kompliziert, und Franziska beginnt zu ahnen, dass sie scheitern könnte. Der Roman zeigt ein illusionsloses und authentisches Bild der DDR der 60er-Jahre.
Zehn Jahre schrieb Brigitte Reimann an diesem Roman über die lebenshungrige, kompromisslose, von einer Vision und einer Liebe besessene junge Architektin Franziska Linkerhand. Obwohl unvollendet, ist dies eines der wichtigsten und schönsten Bücher der deutschen Gegenwartsliteratur. Die ungekürzte Ausgabe liefert ein illusionsloses Bild der DDR der 60er-Jahre und zeigt eine freimütigere Franziska Linkerhand, so radikal wie ihre Autorin in den Tagebüchern.
Franziska Linkerhand bei Wikipedia
Auszug aus dem Manuskript:
Brigitte Reimann (1968): "Ich finde, man sollte versuchen mit seinen Büchern oder Stücken oder was immer man da schreibt, versuchen anderen Leuten leben zu helfen. Ich meine, Fragen stellen, wenn’s geht sogar Fragen beantworten – und wie man irgendwelche Dinge verwirklicht, die man sich früher einmal vorgenommen hat als junger Mensch. Und solche Dinge wie der ganz persönliche Ehrgeiz und das, was man für diese Gesellschaft tut, inwieweit das zusammengeht, wie weit das möglich ist, das in Übereinstimmung zu bringen und solche Dinge."
Brigitte Reimann: "Es war einmal eine höchst lebendige Frau, die zweimal ein Studium begann, zweimal den Hochschulen entlief, aus Rebellion gegen ihre Herren Lehrer, provisorisch Lehrerin wurde, während sie ihr erstes Buch schrieb [...] eine Menge Männergeschichten hatte, eine Menge Dummheiten beging – die sie bis heute nicht bereut -, viermal heiratete, kein Kind wollte – was sie heute ein bisschen bereut -, weil sie Schreiben für wichtiger hielt [...] Es war einmal eine Schriftstellerin, die zu früh und zu viel Erfolg hatte, manchmal hungerte und manchmal wahnsinnig viel Geld verdiente, einen Haufen Orden bekam und so ziemlich alle Literaturpreise, die hierzulande verliehen werden, an eine Große Sache glaubte und an einer Großen Sache zweifelte, sich nach fremden Ländern sehnte und nur die Nachbarschaft zu sehen bekam." (VSch, 167f.)
Diese Lebensbilanz zieht Brigitte Reimann ein Jahr vor ihrem Tod in einem Brief an die Freundin Veralore Schwirtz, mit der sie seit ihrer Kindheit eng befreundet ist.
Geboren am 21. Juli 1933 in Burg bei Magdeburg, stirbt Brigitte Reimann am 20. Februar 1973 an Krebs – sie ist erst 39 Jahre alt.
Brigitte Reimann: "[...] heute schreibe ich unter Qualen an meinem ersten guten Roman, der wahrscheinlich auch mein letzter sein wird; heute bin ich unheilbar krank an Knochenkrebs [...] ich war immer eine selbständige Frau, habe mich immer selbst durchgebracht, mehr: ich habe all die Jahre meine Männer mit durchgebracht, die – jeder auf seine Art – untüchtig waren und eine Stütze brauchten – in jedem Sinne, vom moralischen bis zum finanziellen."
Irmtraud Morgner (1933-1990)
"Das Unmögliche erledigen wie gleich. Wunder dauern etwas länger"
Irmtraud Morgner bei Wikipedia
Irmtraud Morgner
Amanda. Ein Hexenroman
Faber & Faber (1995)
"Humor ist für mich eine Form der Lebensbewältigung. Er gehört zu meiner Seinsweise. Mithin auch zu meiner Literatur", schrieb einmal Irmtraud Morgner, und so ist es kein Wunder, dass auch aus ihrem 1983 erschienenen Hexenroman die ungewöhnlichsten Leute in den ungewöhnlichsten Gewöndern nur so herauspurzeln und die wunderlichsten Geschichten offenbaren. "Frauen lesen heute keine dicken Bücher mehr", sagt da beispielsweise der Oberengel Zacharias zu Oberteufel Kolbuk. Er sollte sich gründlich geirrt haben. Was nämlich die Morgner mit ihrer Zauberfeder beschreibt, was sie ihrer Spielfrau Laura Amanda Salman andichtet, was sie in ungehemmter Fabulierkunst aus Mythologie und DDR-Wirklichkeit in ihren poetischen Töpfen zusammenquirlt, das ist längst zur Lektüre ganzer Frauen- und Männergenerationen geworden. Und es hat dazu beigetragen, die 'teuflisch' strukturierte Welt ein wenig durchsichtiger zu machen.
Auszug aus dem Manuskript:
Irmtraud Morgner:"Ich bin in einem Haushalt ohne Bücher aufgewachsen. Was meine Eltern und ich miteinander zu verhandeln hatten, bewältigten wir mit einem Sprachschatz von etwa 500 Worten. Bis zu meinem 13. Lebensjahr war mir unvorstellbar, dass die Geheimnisse der Welt auch in Worten ausgedrückt werden könnten.
Ich vermutete die Nachrichten über diese Geheimnisse nur in der Musik. Denn der Zufall hatte zwischen die Möbel der guten Stube ein Klavier gestellt. Meine Mutter hatte es mit in die Ehe gebracht und spielte drauf, der fehlenden Ausbildung wegen natürlich mangelhaft, aber mit gutem Geschmack. Ich bewunderte meine Mutter und sie erwirkte beim Verdiener, meinem Vater, dessen Lokfahrerei ich auch bewunderte, die Genehmigung für Klavierunterricht. Da außer einem Radio, auf dessen Skala mein Vater die erreichbaren Sender mit zwei Bleistiftstrichen angezeigt hatte, keine Unterhaltungsquelle erreichbar war, wurde das Klavier mein Unterhalter. Heute steht es mir im Rücken, wenn ich am Schreibtisch sitze."
Irmtraud Morgners Schreibtisch steht in Ost-Berlin, wo sie seit 1958 als freie Schriftstellerin lebt. An diesem Tisch entsteht ihr literarisches Werk, dessen Zentrum ein Roman-Projekt bildet, das unter der Bezeichnung "Salman"-Trilogie in die Literaturgeschichte eingegangen ist. Dazu gehören der 1974 erschienene Roman "Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura", "Amanda. Ein Hexenroman" von 1983 sowie ein aus dem Nachlass rekonstruierter "Roman in Fragmenten", der seit 1998 unter dem Titel "Das heroische Testament" bekannt ist.
Irmtraud Morgner konnte ihr Vorhaben nicht mehr vollenden. 1933 in Chemnitz geboren, starb sie am 6. Mai 1990 im Alter von nur 57 Jahren an Krebs.
Bei Kriegsende ist Morgner 12 Jahre alt. Es grenzt für sie an ein Wunder, dem faschistischen Terror tatsächlich entkommen zu sein.
Irmtraud Morgner: "Es erschien mir wirklich als ob die Welt auf dem Kopf stünde. Es war ein ungeheures Gefühl, kaum zu glauben, dass man das überlebt hatte. Das Wunderbarste an der Sache war, sich in den Arm zu zwicken und zu sagen: Ich habe es überlebt ...
Was für Glückspilze – und das Gefühl war, alles was noch kommen kann, kann nur besser werden. Und das sichere Gefühl vor allem, das war der letzte Krieg."
"Maxie Wander hat uns mit ihrer Sammlung protokollarischer Lebensbeschreibungen von Frauen erstaunliche Nachrichten von der Menschwerdung geschenkt. In keinem Roman der letzten Zeit fand ich solche Reichtümer." - Irmtraud Morgner
Maxie Wander (1933-1977)
"Die Augen sind ein Instrument des Teufels."
Maxie Wander bei Wikipedia
Maxie Wander
Leben wär eine prima Alternative
Tagebücher und Briefe.
2009 Suhrkamp
Im Sommer 1976 bestätigt sich der schlimme Verdacht: Maxie Wander leidet an Krebs und wird ein Jahr später daran sterben. Die vorliegende Sammlung von Tagebucheinträgen und Briefen ermöglicht es dem Leser, sie auf diesem Lebensabschnitt zu begleiten. Mit klarem Blick und scharfer Selbstironie schildert sie ihre Odyssee durch die Behandlungsräume verschiedener Ärzte, die Sprachlosigkeit im Angesicht der Krankheit und die Intensität, die das Leben bekommt, wenn es nicht länger selbstverständlich ist.
Maxie Wander bezaubert auch in den schwärzesten Augenblicken mit ihrer Faszination für die kleinen Dinge des Lebens, mit ihrem Lebenswillen und mit ihrer Selbsterkenntnis: Leben wär eine prima Alternative. Ein Titel, der für Leserinnen und Leser in Ost und West zur Maxime wurde und ihre Aufzeichnungen zum Kultbuch machte.
Auszug aus dem Manuskript:
Maxie Wander (1977): "Na ich bin in Wien geboren, 1933, und lebte da bis 1952. Hab’ dann eine Tochter bekommen, hab’ zehn Klassen Schule gemacht, eigentlich 11 Klassen und ein Jahr vor der Matura sprang ich ab. Da hatte ich einen Freund. Dann hab’ ich einiges probiert. Ausbildung gab’s keine damals und ich habe jedenfalls keine gemacht. War dann am Kommunistischen Theater in Wien als Kartenverkäuferin, als Lohnverrechnerin. Dann war ich im Friedensrat als Sekretärin, das hat mir großen Spaß gemacht. Und dann ging mein Mann, der war damals Journalist und Schriftsteller, der ging damals nach Berlin, nach Potsdam und ich ging mit."
Bescheiden und schlicht hören sich die Sätze an, mit denen die Wienerin Elfriede Brunner - spätere Maxie Wander - die ersten zwei Jahrzehnte ihres Lebens umschreibt. Elfriede, genannt Fritzi, kommt am 3. Januar 1933 im "roten" Arbeiterbezirk Hernals zur Welt, wo man mit der Straßenbahn bis in den Wiener Wald fahren kann. Bereits im 19. Jahrhundert lebten im Vorstadtbezirk Hernals die armen Ziegelarbeiter aus der Slowakei und Böhmen, die "Ziegelböhm" genannt.
Da Maxie Wanders Eltern überzeugte Kommunisten sind, wächst sie in ein politisches Milieu hinein. Der Vater, Alois Brunner, stammt aus einer armen Tullnerfelder Landarbeiterfamilie, lernt erst mit 22 Jahren Lesen und Schreiben und arbeitet als Maschinist auf einem Donaudampfer. 1929 heiratet er die in Wien geborene Käthe Müller. Sie hat auf der Klosterschule zu den "Barmherzigen Schwestern" gelernt und arbeitet als Weißnäherin. Den Kontakt zu ihren Eltern hält Maxie Wander stets aufrecht und schreibt ihnen täglich Briefe.
Mit ihrem Mann, dem österreichischen Schriftsteller Fred Wander, der als Jude Fritz Rosenblatt die KZ-Höllen Auschwitz und Buchenwald überlebt, geht sie 1956 in die DDR. Ab 1958 bewohnen sie ein kleines Siedlungshaus in Kleinmachnow direkt an der Grenze zu Westberlin. Die gemeinsame Tochter Kitty bleibt in den ersten zwei Jahren bei der Großmutter in Wien.
Maxie Wander: "Apropos DDR, ich sage mir das manchmal vor: Wir leben in der DDR, was ist das eigentlich? Ich meine das nur phonetisch, als Wort. Das Wort Österreich, wie das klingt, Skandinavien, England, Frankreich. Das Wort Mexiko, Mensch, ist das schön. Und was sagt uns das Wort DDR? Ein abstrakter Begriff? Kann man eigentlich ein Gefühl entwickeln für ein Land, das so heißt? Es ist nämlich wirklich mehr, dieses Land, es hat Reize, die man entdecken muss. Aber vielleicht muss ein Landesname Jahrhunderte Zeit haben zu wachsen?" (TB, 157)
Maxie Wander (1977): "Ich hab dann begonnen in der "Milchader", da wurde ein Jugendobjekt gebaut, das sollte das Rhin-Havelluch ent- und bewässern. Das war am Beginn der sechziger Jahre und wir waren zwei Leute, die da rumreisten, mit Jugendlichen sprachen und ne Zeitung machten - eine selbständige Zeitung. Dann hab ich ein Kind gekriegt, ein zweites. Und ein oder zwei Jahre später bin ich dann, da gab es eine Journalistenausbildung in Grünau und da war ich einundeinhalb Jahre, hab die Bibliothek gemacht und nebenbei studiert."
Maxie Wanders temperamentvolle, charismatische Lebensart fällt auf. Anfangs erscheint das "Wiener Madl" den Nachbarn und auch einigen Freunden lediglich als charmante Ehefrau und Sekretärin ihres Mannes, als eine Mitgereiste und Hausfrau.
Doch in ihr steckt eine rastlos Suchende, die sich danach sehnt, kreativ, schöpferisch zu sein. Und es treibt sie die Angst um, sie könnte ihr Leben vergeuden.
Maxie Wander: "Unterwegs sein ist alles. Je fremder die Menschen um dich herum, um so näher kommst du dir selbst. Man findet sich nicht selbst, ehe man andere Menschen gefunden hat!" (Leben, 7)