Literatur als Mittel der Verständigung

Von Jürgen König · 21.01.2013
Mit dem Franz-Hessel-Preis wurden in Berlin die Schriftsteller Andreas Maier und Eric Vuillard ausgezeichnet. Zum Auftakt der Feiern von "50 Jahre Elysée-Vertrag" lobte Kulturstaatsminister Bernd Neumann die enge kulturelle Verbindung von Frankreich und Deutschland.
Um 17 Uhr 30 ist der Nachmittag so gut wie vorbei, aber so richtig begonnen hat der Abend noch nicht. Zu dieser Stunde zwischen Tag und Nacht fällt es vielleicht wirklich schwer, so etwas wie Festlichkeit aufkommen zu lassen. Die Preisverleihung sollte den Auftakt der großen Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages bilden: Doch geriet sie etwas matt, obwohl alle Redner sich wacker mühten. Kein falscher Ton schlich sich ein, aber auch keiner, der über das, was man zu solchen Anlässen eben so sagt, nennenswert hinausging.

Kulturstaatsminister Bernd Neumann würdigte "50 Jahre Elysée-Vertrag" als ein Zeichen von 50-jähriger politischer Freundschaft und gewachsenem Vertrauen zwischen zwei Ländern, die davor "bittere Kriege" gegeneinander geführt hätten, nach "all den Gräueln und Verbrechen durch die nationalsozialistische Terrorherrschaft auch in Frankreich":

"50 Jahre Elysée-Vertrag heißt vor allem aber auch: 50 Jahre intensive kulturelle Beziehungen. Die größte Gemeinsamkeit zwischen unseren beiden Ländern ist nicht die Ökonomie, sondern die Kultur – die über Jahrhunderte gewachsene, christlich-abendländische und europäische Kultur, die die Identität unserer Länder prägt und die Frankreich und Deutschland mehr verbindet als alle anderen Länder."

Die französische Ministerin für Kultur und Kommunikation, Aurélie Filippetti stand dem nicht nach, sagte mit Blick auf den Namenspatron des Preises, den deutsch-französischen Schriftsteller und Übersetzer Franz Hessel:

"Sein Leben symbolisiert es: diese beständige Verbindung zwischen unseren beiden Ländern, zwischen unseren beiden Nationen, durch diese ganze bewegende, oft schmerzhafte Geschichte hindurch, die uns am Ende vereint hat. Und die uns auch erlaubt hat, im Laufe der Jahre und der Generationen eine gemeinsame, dauerhafte Freundschaft zu entwickeln – die wir heute und morgen hier feiern."

Der Journalist Johannes Wilms pries Eric Vuillard und Andreas Maier als "würdige Preisträger", deren Thematik und deren Erzählweise als jeweils repräsentativ angesehen werden könne für unterschiedliche Tendenzen in der deutschen und französischen Gegenwartsliteratur. Doch verstieg er sich immer mal wieder in Geisteshöhen, bei den man nicht mehr recht zu folgen wusste. Eric Vuillards Roman "Congo" etwa, dessen erster Teil die Berliner Kongo-Konferenz von 1884/85 thematisiert, auf der die Europäer Afrika unter sich aufteilten, dessen zweiter Teil dann die Verhältnisse im Kongo aus afrikanischer Perspektive schildert -, diesen Roman charakterisierte Johannes Wilms so:

"Das grauenhafte, historisch verbürgte Geschehen, das deren Gegenstand ist, hat Eric Vuillard jeweils in einer distanzierten Perspektive erzählt. Sein Verfahren gemahnt an jene Dokumentation, die alte Filmsequenzen, die in der Regel eine propagandistische Botschaft transportierten, dekonstruieren und deren Bruchstücke zum Mosaik einer neuen, einer dekontaminierten Konfession zusammenfügen, die von Empathie getragene Aufklärung im Schilde führt."

"Das Mosaik einer neuen, dekontaminierten Konfession" - nun ja. Die Preisträger ihrerseits priesen die Kraft der Literatur als Mittel der Verständigung, als illusionsraubend erwies sich allerdings Andreas Maier, der viele Länder aufzählte, in denen er als Stipendiat monatelang gelebt und gearbeitet hatte - aber:

"Zwei Bücher von mir wurden ins Französische übersetzt; es gab ein paar Lesungen, aber ich war nie länger als 48 Stunden in Frankreich. Als Schüler bin ich noch wochenlang durch das Land getrampt. Bei meinen Stipendien war ich nie mit Franzosen zusammen. Was ist Frankreich gegen meine 17 Monate in Italien? Auch in Polen war ich länger. Italienisch kann ich heute, französisch hab ich mehr oder minder völlig verlernt.

Wir sind ja engste Nachbarn – ich als Wetterauer bin aufgewachsen in der Mitte zwischen Frankreich und der DDR. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich beklage das nicht, es fällt mir nur auf: Reisen kann ich als Privatperson ja jederzeit nach Frankreich. Aber im Betrieb selbst sind die Berührungspunkte doch eher gering im Vergleich zu anderen Ländern."

Keine große Jubelfeier des deutsch-französischen Miteinanders. Einzig bewegend waren ein Chor und eine Tanzgruppe: Berliner Jugendliche, die - eingeladen von der organisierenden Stiftung Genshagen – nach wochenlanger Probenarbeit Textfragmente der Preisträger vertanzten und besangen. Um 18 Uhr 30 war die Preisverleihung vorbei, so richtig angefangen hatte der Abend immer noch nicht.

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