Bücher

Die Marketing-Tricks der Verlage

Broschüren sollen Appetit auf ein Buch machen.
Broschüren sollen Appetit auf ein Buch machen. © AFP / Robert Michael
Von Sven Ahnert · 07.10.2016
Wie bringen Literaturverlage Bücher unter die Leute, die es schwer haben? Etwa wegen ihres gewaltigen Umfangs, ihrer Komplexität oder auch nur wegen eines fremd klingenden Autorennamens? Sie locken - mit literarischen Appetithappen und anderen Ködern.
Neuerdings geben Verlage der geneigten Leserschaft aufwändig gestaltete Broschüren an die Hand, Hefte zum Buch. Es sind Köder mit Auszügen, Interviews, Fotos, Biografischem, Rezensionen, Essays. Manchmal schwellen sie zu schmalen Büchern an und werden verkauft, nicht mehr verschenkt. Ihr Tenor ist natürlich lobend: Sie sollen ja Appetit auf das Buch machen.
Was hat es mit diesen Paratexten auf sich? Wohin gehören sie im Dickicht der Texte rund um Bücher, den Anzeigen, Verlagsvorschauen, Klappentexten, Blogs, Kritiken etc.? Wer plant und schreibt sie? Ein Streifzug durch die Welt literarischer Lockmittel.

Manuskript zur Sendung:
Der größte Gegenwartsautor deutscher Sprache;
Nur das Erzählen triumphiert über die Zeit;
Ein mit biblischer Wucht erzählter Roman um Familientragödien und Befreiungsversuche.
Werbe- und "Locktexte" aus den Herbstprogrammen deutscher Verlage. Beispiele, wie sie in vielen Verlagsvorschauen so oder ähnlich auftauchen. Wie machen Verlage auf ihre Bücher neugierig? Rund 77.000 Neuerscheinungen kamen allein 2015 auf den deutschen Buchmarkt. Wie will man da neue Leser locken?
Sabine Baumann, Cheflektorin des Frankfurter Schöffling Verlages: "Es ist ja auch ganz wichtig, in der Flut der Neuerscheinungen sich zu unterscheiden, sich abzuheben. Manchmal beobachte ich einen Trend zu etwas Plakativerem. Also gerade die Verlage, die Bestseller-Literatur verlegen, Taschenbücher, müssen bestimmte Gimmicks, wie man sagt, beifügen."

Wie erreicht man Leser auf einem Kreuzfahrtschiff?

Katja Scholtz, Programmleiterin des Hamburger Mare Verlages: "In erster Linie versuchen wir durch die Bücher selbst, Lust auf die Bücher zu machen. Wir legen sehr viel Wert auf die Gestaltung der Bücher. Das ist etwas, dass sich mit der Zeit herumgesprochen hat - und auch Werbung macht und Neugier auf weitere Bücher aus dem Verlag."
Jürgen Welte, Marketingleiter der Rowohlt-Verlage, Reinbek und Berlin: "Wir konkurrieren heute um das gleiche Freizeitbudget wir vor einigen Jahren und teilen uns das aber mit sehr vielen Medien und Unterhaltungsformen. Unsere Herausforderung heute ist zu überlegen, wo können wir auf Bücher aufmerksam machen und mit welchen Mitteln erreichen wir in einer Modezeitschrift unsere Leserinnen, auf einem Kreuzfahrtschiff."
Seit es Bücher gibt, wird für Bücher geworben. Mal grell, mal mit dem nötigen Ernst, und dann wieder verspielt und lockend. Bücher wollen verkauft werden und wenn erforderlich, auch mal mit den Mitteln der Autowerbung. Wie verführen Verlage ihr Publikum, wie sprechen sie über ihre Bücher? Auf vielen Wegen – mit Videos und Annoncen. Mit Veranstaltungen und Begegnungsangeboten. Mit schön gemachten Broschüren, Leseproben und Interviews mit den Autoren.
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Im Jahr 2004 erschien Péter Esterházys große, fast 1000-seitige Familienchronik "Harmonia Cælestis". Ein Ereignis, das der Berlin Verlag mit einer Sonderpublikation begleitete. "Marginalien" nannte der Verlag eine knapp 80-seitige Broschüre, die Text und Autor in den Fokus rückt.
Darin finden sich ein Gespräch von Péter Esterházy mit dem Kritiker Wend Kässens, Anmerkungen der Übersetzerin Terézia Mora, zwei Essays von László F. Földényi und Julianna Wernitzer, ein Verzeichnis der zitierten Werke, eine Hommage des Autors an Danilo Kiš sowie Fotos und Bilder, unter anderem von der letzten Seite des Originalmanuskripts, der umfangreichen Kapiteleinrichtung, vom Stammbaum der Esterházys, von einer Menükarte und vom Vater des Autors.
Immer wieder tauchen solch lockende Begleitprodukte in der jüngeren Verlagsgeschichte auf. Die literarische Begleitbroschüre zu oftmals schwerer Kost, wird mal gratis, mal gegen Gebühr wie im Fall von Peter Esterhazys "Harmonia Cælestis", einem interessierten Lesepublikum an die Hand gegeben.
Sabine Baumann, Cheflektorin des Frankfurter Schöffling Verlages: "Es ist sicher eine Grauzone zwischen einer einführenden Literaturwissenschaft und einer Art Verführungsversuch, zu sagen, befasse dich mit diesem Buch, befasse dich mit diesem Autor, lerne etwas Neues kennen. Das finde ich aber auch legitim, und ich finde auch, dass die Literaturwissenschaft an den Universitäten zugänglicher geworden ist, weniger trocken, und das finde ich keinen Fehler. Ich finde, dass diese Grauzone auch ein schöner Bereich sein kann, in dem man sich gerne tummelt."

Grauzone zwischen Feuilleton und Eigenwerbung

In dieser sprachlichen Grauzone zwischen Feuilleton und Eigenwerbung tummelt sich der Frankfurter Schöffling Verlag. Er hat mit aufwändigen Begleitbroschüren die Veröffentlichung zweier epischer Romane flankiert: "Die Tutoren" von Bora Ćosić und "Frohburg" von Guntram Vesper.
"Man muss sich das vorstellen, das ist ein Taschenbuch, das ansonsten genauso aussieht wie der Roman selbst. Ich hab das für mich immer die kleinen Tutoren genannt, als Arbeitstitel, weil das Buch schon wie der Roman aussieht. Es hat dasselbe Cover, nur einen anderen Untertitel, nämlich "Material, Texte, Fotos", so dass man bei dieser Einführung immer gleich wusste, wenn man den Roman sah, aha, das ist das Werk, um das es geht."
Anders als die großen Publikumsverlage S. Fischer, Rowohlt oder Ullstein setzt Schöffling damit gezielt auf ein Werbemittel, das den Rahmen klassischer Verlagswerbung sprengt und selbst zu einem Buchobjekt wird. Der 128-seitige Materialienband zu Bora Ćosićs "Die Tutoren", der auch im Netz als ebook herunterzuladen ist, ist die bislang umfänglichste Begleit- und Werbebroschüre des Verlags.
"Es ist ein essayistisches Werk, wir haben darin eine Einführung in das Werk von der kroatischen Literaturwissenschaftlerin Alida Bremer, die den Autor als Rabelais des Balkan bezeichnet und einzeln auf die fünf großen Kapitel dieser Familiengeschichte eingeht und Fäden verknüpft, die im Roman teilweise bewusst fallengelassen und wieder aufgegriffen werden."
Diese Texte begleiten den Roman, einen voluminösen modernen Klassiker des Balkan, ausschließlich positiv. Ihr Zweck ist die Begleitung des Verlagsprodukts, nicht die wissenschaftliche Erschließung. Oder die künstlerische Bearbeitung und Aneignung auch in anderen Medien. Oder die Interpretation durch passionierte Adepten. Obwohl die Paratexte alle diese Aspekte aufweisen: Erschließung, Bearbeitung, Aneignung, Interpretation. Und vermutlich noch einige mehr.
Carolin John-Wenndorf: "Unbestreitbar ist ja, dass diese Broschüren werbenden Charakter haben und das können sie durch unterschiedliche Elemente erzielen, zum Beispiel durch sehr viele Fotografien, die zumindest den Blick lenken."
Die Literaturwissenschaftlerin Carolin John-Wenndorf stellt in ihrem Buch "Der öffentliche Autor" die Geschichte textlicher und bildlicher Inszenierung von Schriftstellern und ihrem Werk dar.
Carolin John-Wenndorf: "Dann durch bestimmte Reiz- oder Fahnenwörter, die dem Kosmos des Buches entnommen sind, dann aber vielleicht in etwas einfacherer oder reduzierterer Sprache dargestellt sind, um den Leser hinein zu locken. Oder auch die Typographie: große Überschriften, kleine Zitate. Wenn dann auch noch das Buch von prominenter Stelle gelobt wird, dann färbt diese Prominenz und das Expertentum auf das Buch ab oder der Leser denkt "Aha", wenn derjenige das Buch lobt, dann muss es ja tatsächlich lesenswert sein. Wie dann das Lob zustande gekommen ist und ob derjenige, der das Buch gelobt hat, es tatsächlich gelesen hat, steht auf einem anderen Blatt, aber es hat die Funktion des verkaufsfördernden, monetären Aspektes."

Buch-Begleittexte werden auch "Paratexte" genannt

Die eigentliche Herausforderung, so lässt es sich vielleicht auf den Punkt bringen, war der Spagat, dass nichts in diesem Roman intellektuell und literarisch, gehoben oder anspruchsvoll sein will, dass es als eine Enzyklopädie des Geschwätzes, der Borniertheit, Brutalität, Halbbildung, Vorurteile, Banalitäten und Banalisierungen, dummdreisten Einebnungen und zulässigen Verquickungen daherkommt.
Aus Brigitte Döbert: "Die Tutoren. Ein Tutorium, gewissermaßen, zur Übersetzung von Bora Ćosićs Chef d´Oeuvre". Ein Aufsatz aus der Verlagsbroschüre "Bora Ćosić: Die Tutoren. Der große Roman Europas. Material, Texte, Fotos".
Texte, die ein Buch begleiten, ein Umfeld schaffen, nennt der französische Literaturkritiker Gérard Genette "Paratexte".
Der Paratext ist also jenes Beiwerk, durch das ein Text zum Buch wird und als solches vor die Leser und allgemeiner vor die Öffentlichkeit tritt.
Carolin John-Wenndorf: "Paratexte sind all das, was sich im Umfeld des Buches befindet, also all jene Texte, die mit dem Buch in Zusammenhang stehen, aber nicht das Buch selber sind. Das Spannende an den Paratexten ist ja auch, dass sie sich nicht an den Buchleser wenden, sondern an eine diffuse Gesamtheit, also auch an Personen, die das Buch nicht lesen oder nicht vollständig lesen, aber maßgeblich an der Rezeption und der Verbreitung des Buches beteiligt sind, das machen diese Paratexte so besonders."
Literarische Appetithappen wie die umfängliche Begleitbroschüre zum Roman "Die Tutoren" von Bora Ćosić sind "Paratexte de luxe", Texte, die die Lektüre des Romans fundiert vorbereiten und potenzielle Leser einstimmen sollen auf eine literarische Entdeckungsfahrt. Seit in den Zeitungen und Radioanstalten der Platz für längere Artikel und Sendungen knapper geworden ist, kann sich der Verlag auf hinreichende Resonanz in den Medien nicht mehr verlassen. Der Erfolg gibt ihm Recht. Schöffling wurde die Broschüre förmlich aus den Händen gerissen. Sie musste nachgedruckt werden.
Sabine Baumann: "Wir haben eine Beschreibung der Übersetzerin, von ihrer Arbeit, vor welcher Herausforderung sie stand. Wir haben Originalkritiken, die ein bisschen die Rezeption damals beschreiben sollen. Wir haben natürlich ganz klassisch, Informationen über den Autor, eine Chronik seines Lebens und seines Werks. Wir haben eine Beschreibung des Buches."
Der Roman "Die Tutoren" ist eine Familienchronik, in der Sprachspiele und Gattungspersiflagen die Zeit zum Stehen gebracht haben.
Bei einem kleinen Literaturverlag wie Schöffling ist es sicher nicht ungewöhnlich, dass Lektorat, Marketing und Werbung an einem Tisch sitzen und gemeinsam die Idee einer Lockbroschüre mit dem Umfang eines kleinen Taschenbuchs aushecken. Ungewöhnlich ist aber schon, dass die Lektorin die komplette Publikation begleitet und wie ein echtes Buch betreut hat – von der Idee bis zur Broschüre und dem E-Book.

Zu Broschüre kommt manchmal noch eine Webseite

Sabine Baumann: "Von der Konzeption bis zum Erscheinen dieses kostenlosen Büchleins sind drei, vier Monate vergangen. Ich habe mich schon relativ intensiv damit beschäftigt. Erstens, diese Artikel einzuwerben, die Leute anzusprechen, die Leute zu fragen, ob sie etwas dazu beisteuern können. Dann war Korrektur zu lesen, wie bei einem ganz normalen Buch auch, das im Verlag erscheint. Wir haben das gratis an die Presse und den Buchhandel verteilt. Wir haben dazu auch eine Website erstellt. Das war eine besondere Marketingmaßnahme, die man nicht jedem einzelnen Buch angedeihen lassen kann."
Ohne Zweifel ist Frohburg das Opus magnum von Guntram Vesper, zugleich für den Autor der Ausgangspunkt von allem: Der Ort seiner Geburt 1941, Jugend, Aufwachsen und Erwachen, die Flucht der Familie 1957, das umliegende Land die Folie der Geschichtsbetrachtung einer deutschen Epoche.
Werbetext aus der Begleitbroschüre "Dossier" zu Guntram Vespers Roman "Frohburg".
Zu Guntram Vespers 1000-seitigen autobiographischen Heimatroman "Frohburg" wurde ein ähnlich großzügig gestaltetes Begleitheft wie für Bora Ćosićs Wälzer "Die Tutoren" herausgegeben. Eine knapp 20-seitige, vertiefende Verlagsbroschüre, gedacht als eine Handreichung für das interessierte Publikum und den Buchhandel. Carolin John-Wenndorf, Autorin des Buches "Der öffentliche Autor".
Carolin John-Wenndorf: "Mit klein gestalteten Broschüren, die dann auch verheißen eine Annäherung an die Entstehungsbedingungen oder an die Person des Autors; zum Beispiel bei Guntram Vesper in der Broschüre zu 'Frohburg' gibt’s da Postkarten, die dann von Hand geschrieben sind und diese kleinen Anreize des persönlichen Moments, die dann vielleicht auch das Moment des Boulevardesken in sich tragen – das ist schon immer ein Reizmittel gewesen und die Schwelle herabsetzen helfen, dass Buch auch zu kaufen, mit diesem sanften Einstieg."
So führt der in Frohburg geborene und aufgewachsene Autor in Häppchen durch seine alte Heimat und lenkt den Blick auf die Familiensaga. Vesper wird zum Chronisten, zum Heimatforscher seiner selbst. Die Broschüre ist weniger ein Text über den Roman, eher eine vom Autor verfasste Home Story. Es ist ein gelungener Dreh, mit dem Lesern und Kritikern ein großer Unbekannter als Heimatdichter vorgestellt wird. Viele Fotos lenken den Blick, und die handschriftlichen Notizen des Autors vermitteln auratisches Flair, als wäre Guntram Vesper ein Klassiker schon zu Lebzeiten. Der Autor und das Lektorat Hand in Hand gearbeitet.
Sabine Baumann: "Auch hier ist es wieder ein großer Teil Text des Verlages, also auch der Klappentext, der zugleich Vorschautext ist, Informationen über den Autor, Preise, die er gewonnen und über Lyrikbände, die er geschrieben hat und natürlich über Frohburg selber."

Klappentext als klassisches Lockmittel

Der Klappentext ist das klassische Lockmittel der Buchverlage. Er wird beim Stöbern in den lokalen oder Online-Buchhandlungen zuerst gelesen oder zumindest überflogen. Elemente des Klappentextes, der auf dem Buch zu lesen ist, finden sich in der Broschüre wieder. Sabine Baumann vom Schöffling Verlag.
Sabine Baumann: "Den Klappentext schreibt der Lektor im Verlag, und meistens wird er bei einem kleinen Verlag wie uns dann auch noch von den anderen Abteilungen gegengelesen, denn der Vertrieb hat dann noch Wünsche, wie ein Buch eingeordnet wird, welche Stichworte fallen sollen, wie eine Geschichte eingeführt werden soll. Das wird immer gemeinsam besprochen."
Vom Klappentext zum Broschüren-Aufsatz ist es ein nicht ganz so weiter Weg, wie man denken könnte. Denn es müssen neben den Ansprüchen des Vertriebs auch die der Marketing- und Presseabteilung erfüllt werden.
Kann man für Philosophie Reklame machen? Der Hamburger Traditionsverlag Felix Meiner, weltberühmt für seine Philosophische Bibliothek, hat bislang eher diskret für seine Bücher geworben.
Johannes Kambylis: "Wir haben häufig Leseproben online auf der Website, das heißt, wer sich über unsre Bücher informieren will, findet bei zahlreichen Titeln eine zwanzig- bis dreißigseitige Leseprobe online, wo man schon einmal reinschauen kann."
Johannes Kamybilis, Marketingchef des Felix Meiner Verlags in Hamburg.
Johannes Kambylis: "Was für mich wichtig ist, ist dass wir stets angemessen werben. Wir wollen ja keine falschen Erwartungen wecken. Deshalb versuchen wir in der Vorschau möglichst sachlich zu informieren, darüber, was die Bücher, die wir hier publizieren, enthalten und worum es geht. Das ist nicht so ganz einfach, weil es hochkomplexe Themen sind, die ein hohes Fachwissen voraussetzen, und das dann zu komprimieren auf wenige Zeilen und Sätze ist immer eine hohe Herausforderung."
Wie jede Werbung will auch die für Philosophie ihre Zielgruppe erreichen. Marktschreier wären fehl am Platz. Aber auf bestimmte Reizworte, den wechselnden Moden und Trends entnommen, reagiert auch die akademische Community. Und Leseproben, wie sie der Felix Meiner Verlag auf seiner Website anbietet, sind unverdächtig. Als Werbung im Sinne von "Lockung" oder "Verführung" zum Kauf erscheinen sie nicht. Doch nun betritt man beim Traditionsverlag Neuland.
Eine gedruckte Textprobe zum Mitnehmen nämlich, gehalten im Stil der "blauen" Reihe, die sich an ein größeres Publikum wendet als die klassische grüne.

Manchmal ist die Leseprobe die richtige Maßnahme

Johannes Kambylis: "Wir haben in diesem Herbst zum ersten Mal eine Leseprobe gemacht für ein Buch, von dem wir denken, dass es genau die richtige Maßnahme ist, eine Leseprobe zu machen. Denn Günter Fröhlich ist Philosoph in Regensburg und hat ein Buch über das Denken an sich geschrieben, und er beschreibt in 24 Kapiteln, die er Etüden nennt, wie man philosophisches Denken lernen kann. Das liest sich sehr leicht, und der Begriff Etüden ist nicht ganz aus der Luft gegriffen, denn es liest sich so, wie Chopin anhört, es perlt eigentlich wirklich."
Ganz im Bann des Meeres steht das Belletristik- und Sachbuch-Programm des Hamburger Mare-Verlages. Der Verlag veröffentlicht ausschließlich Bücher, die wie auch immer, vom Meer beseelt sind: Klassiker wie "Moby Dick", Sachbücher über die Geschichte des Windes und des Sextanten, aktuelle Romane. Werbung beginnt auch in Hamburg mit dem Text, der durch Ankündigungen aller Art schippert.
Katja Scholtz: "Bei uns ist das so, dass der Basistext der Vorschautext ist, weil, das sind die Texte, die zuerst entstehen und aus denen entstehen später oft die Klappentexte."
Katja Scholtz, Programmleiterin des Hamburger Mare Verlages, über die Vorschau, den Prospekt für Buchhändler und Presse, der die Neuerscheinungen des nächsten Halbjahres ankündigt.
Katja Scholtz: "Wir müssen uns dann natürlich genau überlegen, was schreibt man auf Klappe 1, was setzt man auf die U 4. Viele Bücher sind im Laden eingeschweißt, das heißt der Text auf U 4 ist wichtiger als auf Klappe 1, den manche Leser gar nicht unbedingt anschauen können, Wir kennen uns selber, wir kennen unser Lese- und Kaufverhalten. Zunächst ist es entscheidend, ob der Titel auf uns wirkt, die Covergestaltung und der Buchtitel. Aber dann drehen wir das Buch um, und schauen, was auf der U 4 steht, insofern ist das schon sehr wichtig, was wir da finden."
U 4 ist die hintere Umschlag-Seite eines Buches. Im Zeitalter eingeschweißter Bücher trägt sie meist den Werbetext. Er ist in der Regel eine Variante des klassischen Klappentextes. Denselben Text findet man auch in den Verlagsvorschauen. In sie kleben Literatur- und Publikumsverlage zuweilen kleine Heftchen mit Textproben ein, die neugierig auf das Buch machen sollen.
Katja Scholtz: "Man schafft natürlich irgendwie einen kleinen haptischen Anreiz. Es ist etwas, was man herausnehmen kann, in dem man blättern kann und man kann sich dem Umschlag in dem etwas anderen Kontext anschauen. Aber vor allem soll der Anreiz geschaffen werden zu lesen."
Wenn es nur einen Autor gibt, dem Sie dieses Jahr eine Chance geben wollen, dann nehmen Sie Sarah Moss. - The Times.

Alles, was den Leser neugierig machen könnte

atja Scholtz: "Manchmal integrieren wir dabei noch Pressestimmen, insofern wir welche haben und die übersetzen konnten. Wir haben ein, zwei Mal Interviews mit dem Autor abgedruckt, also alles, von dem wir denken, dass es den Leser neugierig machen könnte."
Wie erzeugt man Neugier auf neue Bücher? Bei Schöffling, Meiner und Mare stehen Appetithappen im Mittelpunkt einer auf passionierte Leser zielenden Werbekampagne, sie produzieren Broschüren zu einem Werk oder Auszüge aus ihm und bleiben damit dem Buch nahe. Bei einem Konzernverlag wie Rowohlt muss es mehr sein, manchmal eine Mischung aus Starautor und aktuellem Thema, die unter den Nägeln brennen soll. Die Boulevardzeitung ist nicht fern.
Und alles gerät ins Wanken, was verlässlich schien.
Aus einem nur diesem neuen Buch gewidmeten, von Rowohlt eigens produzierten und versandten achtseitigen DIN-A-4-Folder aus festem Papier mit dem Aufdruck: "Noch nicht angeboten" – nämlich nicht in der Herbstvorschau des Rowohlt-Verlages. Angaben zu Thema und Gattung des Buches fehlen.
Im Rowohlt Verlag hat die Reklame eine lange Tradition. Bereits in den Rowohlt Taschenbüchern der 1950er und 1960er Jahre stolperte der Leser immer wieder über Werbung für Pfandbriefe oder Rauchwaren.
Man spart viel Geld beim Kauf von Taschenbüchern. Und wird das Eingesparte gut gespart, dann zahlt die Bank oder Sparkasse den weiteren Bucherwerb: Für die Jahreszinsen eines einzigen 100-Mark-Pfandbriefs kann man sich zwei Taschenbücher kaufen.
Social Media: Facebook, Twitter, YouTube, Instagram; Google+, Buchboutique und Pinterest: Jeder Buchverlag nutzt heute das Netz und bewegt sich mehr oder weniger bei Facebook, Twitter und Youtube. Noch werden zum größten Teil gedruckte Bücher beworben und verkauft. Hier kommt ein Hauch Retro mit ins Spiel. Wer auf Qualitätsbücher in bibliophiler Aufmachung wie etwa Mare setzt, denkt natürlich an ein ausgewähltes Lesepublikum, das sich nicht unbedingt über einen "Tweet" freut, sondern etwas zum Blättern möchte: etwas Schönes, das einstimmt auf das neue, sorgfältig gestaltete Buch. Für das eilige, brandaktuelle Buch über Terror, Netzwelt und heikle Lebensfragen reicht dagegen die geschickt platzierte Information in den sozialen Medien.

Der Schriftsteller als Marke

Jürgen Welte, Marketingleiter der Verlag Rowohlt-Verlage, Reinbek und Berlin: "Das Stichwort ist, auch eine crossmediale Vermarktung für Bücher anzustreben, und von anderen Produkten, von anderen Herstellern, Markenartiklern zu lernen, und das zu übertragen auf die stillen Buchverlage, mit ihren stillen zeitfressenden Produkten. Bei uns ist zu allererster Linie der Schriftsteller die Marke, die es zu bewerben gilt, und diese Marke tragen wir hinaus in die Welt. Wo immer wir die Möglichkeit finden, auf unser Buch aufmerksam zu machen, werden wir das in der Zukunft tun."
Das Buch ist nicht nur eine Ware, das wenig liebevoll als "zeitfressend" eingestuft wird und nicht etwa als ein Ereignis, auf das die geneigte Leserschaft längst schon wartet. Aus Sicht des Rowohlt Verlages erscheint es auch als eine Art schwergängiger Luxusartikel, der, ob er nun dreihundert oder eintausend Seiten Umfang hat, für diverse Zielgruppen erst attraktiv gemacht werden muss. Eine interessante Entwicklung in einem Traditionshaus wie Rowohlt.
Holla die Waldfee: Ein neuer Schwede! Schräg-komisch. Herzerwärmend.
Werbung für den bei Rowohlt erschienenen Roman "Anton hat kein Glück" von Lars Vasa Johansson.
Verlage sind heute einem großen Druck ausgesetzt, immer früher, immer schneller auf neue Titel aufmerksam zu machen. Ein Stephen King, ein Roman von Thomas Pynchon braucht diese Verkaufshilfen nicht. Der Autorenname ist Grund genug, den neuen Roman zu kaufen. Schwieriger ist es für weniger bekannte oder gar neue Autoren, auch für neue Themen.
Jürgen Welte: "Wir stellen uns die Frage, was dem Buch am besten tut. Und wir haben aktuell einen Thriller, den wir mit seinen ersten fünf Sätzen bewerben. Denn wenn sie die gelesen haben, werden sie weiterlesen wollen und sie wissen, sie werden eine schlaflose Nacht haben."
Die ersten Seiten von Totenfang sind da.
Mitteilung auf Rowohlts Website zu Simon Becketts neuem Roman "Totenfang".
Der menschliche Körper, selbst zu über sechzig Prozent aus Wasser bestehend, ist nicht von sich aus schwimmfähig. Er treibt nur so lange an der Wasseroberfläche, wie Luft in den Lungen vorhanden ist. Sobald sie den Körper verlässt, sinkt er langsam auf den Grund. Ist das Wasser sehr kalt oder tief, dann bleibt er dort und durchläuft einen düsteren Auflösungsprozess, der Jahre andauern kann.

Bestseller brauchen per se keine Lockbroschüren

Mehr geht nicht, sonst wäre der Krimi dahin. Wer will schon in der Leseprobe lesen, wer der Mörder ist? Den Krimi eines "Kultautors" lockend anzukündigen ist daher ein werbliches Kinderspiel der Marketingabteilung: eher eine Übung in Bescheidung, im Vorenthalten, als eine lockende Ausbreitung reizvoller Aspekte und Lesarten, wie es bei Schöfflings Romanen "Die Tutoren" und "Frohburg" der Fall ist. Bestseller wie Becketts "Totenfang" brauchen per se keine Lockbroschüren. Sie sind nicht schwer zugänglich und schrecken niemanden ab. Sie brauchen Marketing-Drama, gegebenenfalls eine Dosis Boulevard. Man muss nur wissen, dass es sie gibt. Das Versprechen mühelosen Genusses ist ihnen eingeschrieben. Vom Bestseller ist nur zu behaupten: Er ist so gut wie der vorige. Was also macht Jürgen Welte bei Rowohlt? Er erzählt vom Urheber als Marke.
Jürgen Welte: "Wir werden über die sozialen Medien, mit kleinen Filmchen, die wir mit Simon Beckett drehen werden, neugierig machen und sie hoffentlich scharenweise zum ersten weltweiten Erstverkaufstag in die Buchhandlungen treiben."
Bei der Vielzahl der Veröffentlichungen, die Rowohlt jedes Jahr zu bewerben hat, setzt die Marketingabteilung auf punktuelle Aktionen. Um jeden Titel zu bewerben, fehlt auch dem zum Konzern Holtzbrinck gehörenden Verlag das Geld. An Broschüren zu einzelnen sperrigen Titeln aber, wie sie Schöffling produziert hat, denkt Jürgen Welte erst gar nicht.
Jürgen Welte: "Ich glaube, dass man gut beraten ist, dem schönen Spruch zu folgen, indem man das eine tut und das andere nicht lässt."
Literarische Appetithappen in Gestalt hübscher, aufwändig produzierter Broschüren sind die schöne Ausnahme in heutiger Verlagswerbung. Im Allgemeinen fokussiert sie sich immer stärker auf digitale Verbreitungsformen. Die traditionelle, auf das Medium Buch setzende, kostspielige und zeitaufwändige Alternative richtet sich an eine wohlinformierte Leserschaft – und bietet sich wohl auch nur bei anspruchsvollen literarischen Titeln an. Bei ihnen gilt ein Medienwechsel oft als nicht angemessen. Ein Filmchen auf Youtube, ein 140-Zeichen-Tweet, ein lässiger Blog würde von den potenziellen Leser nicht goutiert und sie auch nicht erreichen. Für den Verlag sind die einige tausend Euro teuren Broschüren zudem maßgeschneiderte Imagebroschüren: Wer einen "Vesper" von Schöffling mag, wird sich möglicherweise auch für einen "Ćosić" interessieren oder für den Mammutroman von Miljenko Jergović, der wieder von einer aufwändigen Broschüre begleitet wird.
Sabine Baumann: "Es wird wohl immer so sein, dass man versucht, die Buchhändler mit diesen Dingen zu locken, dass man auch dem Kritiker versucht zu sagen: Hier ist etwas Besonderes."
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