Literarisch auf den Spuren der Donauschwaben

Von Georg Gruber · 23.10.2006
Robert Balogh arbeitet gerade am dritten Band einer Romantrilogie. Darin begibt sich der 34-jährige ungarische Schriftsteller auf die Spuren seiner Vorfahren, der Donauschwaben. Balogh sammelt Geschichten, Mythen und Anekdoten – aus einem nahezu untergegangenen Kosmos, einer Kultur, die im heutigen Ungarn zur leeren Folklore zu erstarren droht.
"Meine Oma kann kleine Geschichten, Märchen, es ist sehr merkwürdig und es ist auch interessant, dass unsere Familie war Hexen, auf schwobisch nennt man Brauchsfrau, sie war gute Hexe, sie konnte heilen, wenn ein Problem ist, sie kann es erlösen, mit beten, Zauberei, es ist sehr merkwürdig."

"Das schwobische Evangeliom" – so hat Robert Balogh den ersten Band seiner Romantrilogie genannt – und seine Großmutter spielte bei der Entstehung eine wichtige Rolle: Ihre Erzählungen bilden den Kern dieser Reise in die Vergangenheit, zu den ungarndeutschen Wurzeln seiner Familie. Seine Vorfahren sind Anfang des 19. Jahrhunderts von Ulm aus losgefahren, mit geliehenen Flößen, auf der Donau, flussabwärts.

Rund 60.000 Donauschwaben leben heute noch in Ungarn, eine Minderheit, deren Kultur im Absterben begriffen ist. In Baloghs Büchern wird sie wieder lebendig - obwohl oder vielleicht gerade weil er alles andere als verklärende Heimatkunde betreibt. Seine Bücher sind vielschichtig:

"Zum Beispiel in ersten gibt es neun verschiedene Schichten, abergläubische Schichten und ethnische Schichten und eine Schicht mit Bildern …"

Fotos, schwarz-weiß, so wie in einer Chronik, ergänzen die ungarischen Texte.

"Mit echte Bilder kann man es gut sichtbar machen, wie die aussehen, wie sah die aus, hier ist, die ersten Seite kleine Mädchen, aber sie sehen sehr lächerlich aus, sie haben einen Kopftuch wie Astronauten, wie kann es sein? Es war ihre Tracht, es ist interessant, meine Oma hat bis zum Tod ihre Tracht nicht ausgezogen. Sie trug Nylonschürzen, es war sehr lächerlich."

Berlin im Herbst 2006. Robert Balogh gibt – während des Internationalen Literaturfestivals - seine erste Lesung in Deutschland, in einem Cafe. Schwarze Haare, Brille, dunkle Augen. Einer der nicht auffällt. Bis er zu lesen anfängt:

"Schwäbisch ist eine rückständige Sprache, Großpapa, ungarisch soll man sprechen, schön, dass ihr im Dorf schwäbisch redet, ja erinnern kann man sich auf schwäbisch, welcher Opa der Wagner war und wer der Ururgroßvater, bis an die Flöße zurück, als wir das große Wasser runter geschwommen sind."

Robert Balogh, wurde 1972 im ungarischen Städtchen Pécs, auf Deutsch Fünfkirchen, geboren. Der Vater ist Ungar, arbeitete als Techniker, die Mutter als Krankenschwester, sie stammte aus einem kleinen donauschwäbischen Dorf. Doch schon als Junge distanzierte er sich von Brauchtum, Kultur und Sprache seiner Vorfahren. So kann er nun heute einen ganz anderen Blick auf die Geschichten und Mythen werfen.

"Er ist in extremer Weise ein Außenseiter und tut gut daran, das zu reflektieren und sich gehen zu lassen."

Sagt Wilhelm Droste, Dozent für deutsche Literatur an der Universität Budapest und ein ausgewiesener Kenner der literarischen Szene Ungarns.

"Eer ist auch ein sehr verspielter Mensch, das liebe ich daran, an seiner Art, damit umzugehen. Er lässt sich treiben, das sind sehr verspielte und sehr ernsthafte Bücher gleichzeitig, und das halte ich für eine sehr hohe Qualität."

Seine Bücher, für die er noch nach einem deutschen Verlag sucht, sind eine Mischung aus Fiktion und Dokument, keine soziologische Studie. Moderne Literatur. Er eröffnet einen Kosmos voller skurriler Anekdoten, bevölkert von seltsamen Gestalten, von guten Hexen und Pfarrern, die kleine Mädchen verführen, von Greisen, die Geister sehen. Magischer Realismus. Ein Stoff, den man sonst eher in Südamerika verorten würde.

Zu den Geschichten seiner Vorfahren fand er durch Zufall, vor zehn Jahren. Er war zu Besuch bei seiner Großmutter, unterhielt sich mit ihr über Alltägliches, bis der Gesprächsstoff ausging. Und er sie fragte: Was ist deine Geschichte?

"Erzähl mir über dein Leben, wie es war, wirklich."

Zu dieser Zeit arbeitete er fürs Radio, er stellte sein Mikrophon an, und sie begann zu erzählen.

"Und sie hat sehr viele Dinge über seines Leben erzählt, was ich eigentlich nicht gewusst habe, es war sehr merkwürdig."

Von früher, vom verrückten Großvater, der schwarze Männer sah und Kissen mit Messern zerschnitt, der den Brunnen bewachte, damit der böse Geist nicht herauskomme, der schrie und schrie, als er in einen Viehwaggon gesteckt wurde, 1945, nach dem Krieg, als die Ungarndeutschen ihre Heimat verlassen sollten:

"Und er hat Angst, er hat fürchterliche Angst und er kann schreien, ich will es neeeeet, zirka drei Tage lange, dann kommt ein Arzt und die Familie darf nach Hause gehen."

Hätte der Großvater nicht so geschrieen, wer weiß, dann wäre der Enkel Robert Balogh wohl nicht im ungarischen Fünfkirchen auf die Welt gekommen, wo er heute noch immer lebt, als Schriftsteller und Theaterautor. Und wenn er mit seiner Großmutter vor zehn Jahren nicht ins Gespräch gekommen wäre, hätte er den großen Stoff, der so nah und für ihn doch so fern war, schlichtweg übersehen.

"Sie ist sehr wichtig, ich bekam von sie sehr vieles, nicht nur Geschichte, nicht nur Liebe, eine Aufgabe auch bekommen habe. Das muss ich schreiben, ich fühle, dass da Oma dort oben auch hilft mir, sie hilft zum Stipendium und alles, seit ich mit diesem Thema beschäftigt ist, alles geht leichter, in Schreibung und meinem Beruf, ich kann sagen, dass ich knapp berühmt bin, das kann ich sagen, dass ich fast berühmt ist, das kann ich zu meiner Oma danke sagen."