Lisa Vreeland: "Peggy Guggenheim"

"Ich hatte keine Ahnung, wie sehr sie gelitten hat"

Die US-amerikanische Kunstmäzenin und -sammlerin Peggy Guggenheim sitzt auf einem Himmelbett im Schlafzimmer ihres Hauses in Venedig; undatierte Aufnahme.
Die US-amerikanische Kunstmäzenin und -sammlerin Peggy Guggenheim sitzt auf einem Himmelbett im Schlafzimmer ihres Hauses in Venedig; undatierte Aufnahme. © picture-alliance / dpa / giornalfoto mailand
Lisa Immordino Vreeland im Gespräch Susanne Burg · 07.05.2016
Es sieht so aus, als würde ich sehr von exzentrischen Frauen angezogen werden", sagt Lisa Vreeland, die eine Dokumentation über die Kunstsammlerin Peggy Guggenheim gedreht hat. Doch bei der Arbeit an ihrem Biopic entdeckte sie nicht nur eine sehr reiche, sondern auch eine sehr traurige Frau.
Sie suchte nach einer Beschäftigung als ihre Kinder größer wurden und sie alleine auf dem Land in England war. Peggy Guggenheim. Und sie beschloss 1938 in London eine Galerie zu gründen – Guggenheim Jeune. Beraten wurde sie dabei von Marcel Duchamp. Im Lauf der Jahre wurde sie zu einer der einflussreichsten amerikanischen Kunstmäzeninnen und Sammlerinnen moderner Kunst. Sie sammelte Meisterwerke aus Kubismus, Futurismus, Surrealismus und amerikanischem abstrakten Expressionismus, unterstützte die Karrieren von Künstlern wie Jackson Pollock oder Max Ernst, den sie 1941 auch heiratete.
All das ist zu sehen in dem Film "Peggy Guggenheim". Regisseurin ist Lisa Vreeland. Sie hat vor fünf Jahren ihre Schwiegergroßmutter Diana Vreeland in Szene gesetzt, Mode-Designerin und langjährige Chefredakteurin der Vogue. Nun widmet sie sich einer anderen exzentrischen Frau im Kunstbetrieb.
Susanne Burg: In Ihrem ersten Film ging es um die Großmutter Ihres Ehemannes, die sehr exzentrische Modefotografin Diana Vreeland – nun um eine andere sehr exzentrische Frau im Kunstbetrieb, nämlich Peggy Guggenheim. Was interessiert Sie an diesen Frauen?
Lisa Vreeland: Es sieht so aus, als würde ich sehr von exzentrischen Frauen angezogen werden - und das ist in der Tat der Fall. Ich glaube, es ist die Geschichte der Neuerfindung dieser Frauen, die mir so gefällt. Das 20. Jahrhundert interessiert mich sehr und auf eine lustige Art sind ihre Welten eng miteinander verbunden. Aber es geht mir vor allem um ihre großartigen Charaktere und die Erfüllung eines Traums.

Ein unglaublich guter Zugang zu Peggy Guggenheim

Susanne Burg: Genau, denn Peggy Guggenheim hat das alles selbst geschaffen. Eine Frau, mit der Sie gesprochen haben, ist die Biographin Jacqueline Bogard Weld. Sie hat für ihr Buch "The Wayward Guggenheim" 1978/79 die letzten Interviews mit Peggy Guggenheim geführt. Die Tonaufnahmen galten als verschollen. Sie haben sie dann wieder gefunden. Können Sie die Geschichte erzählen, wie Sie sie gefunden haben?
Lisa Vreeland: Als Jackie Bogard Weld an dem Buch "The Wayward Guggenheim" arbeitete, hatte sie einen unglaublich guten Zugang zu Peggy Guggenheim und konnte so die einzige autorisierte Biographie über sie schreiben, weil sie damals noch lebte. Sie verbrachten zwei Sommer damit, ausführlich miteinander zu sprechen. Als das Buch entstand, ließ mich Jackie freundlicherweise in ihrer Wohnung arbeiten, wo ich auch alle Recherchen einsehen konnte, die sie bisher gemacht hatte. Sie hatte die Tonband-Kassetten mit den Aufnahmen, von denen sie sagte, sie seien im Haus verloren gegangen. Und weil sie verschiedene Wohnungen hatte, war sie nicht sicher, in welchem Haus sie sich befanden. Es war wirklich lustig - sie erlaubte mir ihre Schränke zu öffnen, in ihrem Park-Avenue-Apartment in New York, um dort zu suchen. Schließlich fragte ich nach einem Keller und in der Tat fanden sich da die Bänder in einem Schuhkarton - und sie sagte: "Da sind sie!"
Susanne Burg: Und was war das für ein Gefühl?
Lisa Vreeland: Es war ein absolutes Siegesgefühl. Das war einer dieser großartigen Momente, wenn man sich so gut fühlt, weil man hart gearbeitet hat. Ich habe mit einer Freundin zusammen gearbeitet und ich weiß noch, wie ich lachte und rief: "Ja, wir haben sie gefunden! Endlich gewonnen!"
Susanne Burg: Sie haben sich diese ganzen Aufnahmen angehört – Sie hatten sich ja schon lange mit Peggy Guggenheim beschäftigt, auch ihre Autobiographie gelesen – was für eine Person hat sich in diesen Aufnahmen für Sie offenbart?
Lisa Vreeland: Als wir mit dem Film anfingen, hatte ich überlegt, ihre Stimme von einer Schauspielerin einsprechen zu lassen. Wir hatten eine Menge Material, nicht nur Jackies Buch, es gibt da noch all die anderen Biographien und einen Haufen Artikel – ich wollte also eine Schauspielerin die Voice-Overs machen lassen. Die Qualität der Tonbänder ist ziemlich beeinträchtigt, darum gibt es so viele Untertitel im Film. Zuerst wollten wir das Audio-Material gar nicht verwenden. Aber mein Produzent meinte, lass uns versuchen, mit diesen Tapes zu arbeiten – und das hinzukriegen war eine Riesenarbeit, aber wir haben es schließlich hinbekommen. Auf diese Weise wurde sie noch einmal richtig lebendig, weil es ihre Stimme ist, die uns durch den Film führt und sie ihre Geschichte erzählt. Aber es gibt auch eine ganze Reihe anderer Leute, die in Interviews mithelfen die Geschichte zu erzählen. Man merkt schon, dass Peggy sich schon nahe am Ende ihres Lebens befand, sie gab nicht so viel von sich preis in diesen Aufnahmen, aber Jackies Fragen waren sehr gut und halfen so, die Erzählung voranzubringen.
Susanne Burg: Man hatte fast das Gefühl, sie wollte nicht richtig antworten, sie hat recht einsilbig geantwortet.
Lisa Vreeland: Ja, das waren in der Tat einsilbige Antworten und es war schwer damit zu arbeiten, weil die Antwort oft einfach nur "Ja" oder "Nein" lautet oder "Ist das nicht wunderbar?". Das ist wirklich etwas dünn, aber es zeigt auch sehr klar, wer Peggy Guggenheim war. Als ich mit dem Film anfing, hatte ich keine Ahnung, wie sehr sie emotional gelitten hat. Der Tod war in ihrem Leben immer wieder präsent, wenn Leute starben, die sie wirklich liebte. Das zeigt sich hier recht deutlich.
Peggy Guggenheim, 81, im Palazzo Venier dei Leoni in Venedig, Aufnahme von 1979
Peggy Guggenheim, 81, im Palazzo Venier dei Leoni in Venedig, Aufnahme von 1979© AP Archiv
Sie war kein sehr nach innen gekehrter Mensch und das ist Teil ihres Nachlasses. Ich hoffe, dass der Film den Blick auf sie zurechtrücken wird, weil wir jetzt in Gänze sehen können, was sie alles erreicht hat. Viele Menschen, gerade die der jüngeren Generationen, kennen sie nur als eine Frau, die eine Sammlung in Venedig hat, sie wissen nichts darüber, was sie vorher schon geschafft hat.

Die Seligmann-Seite und die Guggenheim-Seite

Susanne Burg: Es ist ja eine unglaubliche Aufgabe, das Biographische mit der Sammlung zusammenzubringen. Sie erzählen auch die Geschichte ihrer Familie, zum Teil zumindest. Peggy stammt natürlich aus diesem Guggenheim-Clan, ihr Onkel ist Solomon Guggenheim, der den Grundstock gelegt hat im New Yorker Guggenheim Museum. Ihr Vater aber, Benjamin Guggenheim, der starb 1912 beim Untergang der Titanic. Sie war nicht ganz so reich wie die anderen – welche Position hatte Peggy anfangs in diesem Familienclan? Und wie wichtig war das auch für ihr weiteres Leben?
Lisa Vreeland: Von ihrer Jugend an war Peggy zur Hälfte Seligmann und zur Hälfte Guggenheim. Im Film haben wir versucht zu zeigen, dass die Seligmann-Seite vielleicht ein bisschen verrückt war, lustig, aber ein bisschen verrückt. Damit haben wir versucht, ein wenig zu spielen. Auf der Guggenheim Seite gab es einen Haufen Geschichte – die Tatsache, dass Peggy so jung ihren Vater verloren hat, entfernte sie von ihrer Familie, auch weil sie herausfand, dass sich ihr Vater geschäftlich anderweitig orientiert hatte: Er investiert Stahl, der zum Bau des Eiffelturms verwendet worden war. Das war allerdings ein ruinöses Geschäft und kostete ihn eine Menge Geld.
Sie war also nicht so wohlhabend wie die übrigen Mitglieder der Guggenheim-Familie. Sie fühlte sich von ihnen entfremdet. Sie mochte das Formale nicht, das diese Familie prägte, auch die andere, nicht nur die Guggenheims. Sie wollte weg von diesem Familienleben und als sie finanziell unabhängig war, ging sie ihren eigenen Weg. Sie blieb der Familie nur so lange nahe, wie ihre Schwester Benita lebte, und auch zu ihrer Schwester Hazel war der Kontakt eher locker, weil die in Europa lebte, weit weg von den anderen. Ihre Onkel kümmerten sich um ihr Geld, das war die Verbindung, die noch geblieben war. Es war ihre Art zu fliehen und ich glaube, dass sie letztlich ihren Trost gefunden hat, indem sie anfing Kunst zu sammeln.
Susanne Burg: Es gab im Film den Satz "Sex und Kunst gehörten für sie zusammen" – was für ein Antrieb war es für sie, Kunst zu sammeln, wie sehr waren für sie Leben und Kunst miteinander verquickt?
Lisa Vreeland: Peggy entschied sich Kunst zu sammeln als sie 40 Jahre alt war, nachdem John Holmes gestorben war, wahrscheinlich der wichtigste Mann in ihrem Leben. Zu diesem Zeitpunkt beschloss sie, dass sie ein neues Metier brauchte und das wurde dann das Sammeln von Kunst – sie wollte ein Kunstmuseum eröffnen. Es wurde zu ihrer Antriebskraft, zu ihrer Leidenschaft. Ich denke sie hat darin ihre wahre Identität gefunden. Sie hat ja vor allem Künstler unterstützt, die nicht sehr bekannt waren, die Außenseiter ihrer Zeit, die nun als die großen Meister des 20. Jahrhunderts anerkannt sind. Mit ihnen hat sie wohl ihre Identität gespürt, eine wirkliche Aufgabe. Was mir immer sehr an ihr gefallen hat, ist, dass sie von Anfang an eine Sammlung schaffen wollte, um sie mit anderen Menschen zu teilen. Es ging ihr nicht darum, ihr Ego zu befriedigen, sondern darum, eine Sammlung aufzubauen und der Welt zugänglich zu machen. Das ist eine ganz besondere Form des Mäzenatentums, was ich sehr wichtig finde.
Susanne Burg: Die Sammlung war also nicht nur eine reine Geldanlage. Gleichzeitig war sie aber auch sehr geschickt, sie hat in Paris Ende der30er Jahre jeden Tag ein Kunstwerk gekauft, da Hitlers Truppen schon auf dem Weg nach Paris waren. So hat sie quasi für kein Geld Werke von Kubisten, Surrealisten, Expressionisten bekommen – das ist doch auch schon ziemlich abgebrüht…
Lisa Vreeland: Es gab diese Phase in ihrem Leben, die sie in ihrer Autobiographie "ein Bild pro Tag kaufen" genannt hat – das begann 1939 als sie in Paris war. Es war eine gefährliche Zeit, sie war eine jüdische Frau und es war vielleicht nicht das Klügste, was sie tun konnte, aber sie merkte, dass diese Künstler Geld brauchten. Viele von ihnen mussten aus Paris fliehen und diese unterstützte sie. Sicherlich hat sie dabei auch ein paar Schnäppchen gemacht und nach Sonderpreisen gefragt, aber das geschah auch zu einer Zeit, in der es möglich war ein Bild für 60 oder 200 Dollar zu kaufen. Ich bin mir nicht sicher, ob sie die Künstler ausnutzte, ich glaube das eigentlich nicht, denn sie brauchten ja das Geld, und das waren damals eben die Preise für Kunst – heute sieht die Realität natürlich ganz anders aus. Sie war dabei sehr klug, was ihre Auswahl betraf. Sie hatte natürlich auch ein wenig Hilfe, Nelly van Doesburg war dort, auch Howard Putzel, aber sie hat definitiv ihre eigene Auswahl getroffen. Sie hatte diese berühmte Liste der verschiedenen Künstler aus unterschiedlichen Kunstrichtungen, die sie abarbeiten wollte, um das Museum mit all dem auszustatten, was es ihrer Ansicht nach haben sollte. Sie hat es letztendlich nicht vollständig geschafft alles abzuhaken, aber sie hat die Sammlung kontinuierlich aufgebaut - und das sehen wir heute in Venedig.

Exempel für so viele weitere Sammlungen

Susanne Burg: Das heißt, sie hatte schon sehr klare Vorstellungen, davon, was sie sammeln wollte. Als sie dann1947 nach Venedig ging mit ihrer Sammlung, musste sie sich dann aber auch anhören: "Ah, die Sammlung zeugt von dem schlechten Geschmack einer reichen amerikanischen Frau." – Wieviel musste sie einstecken als Frau in der Kunstwelt?
Lisa Vreeland: Da sind eine Menge unterschiedliche Dinge passiert – sie war ja nicht nur eine Frau, sondern auch eine reiche Frau. Und die Tatsache, dass sie Geld hatte, ließ sie weniger seriös erscheinen. Sie war auch keine Intellektuelle. Wenn man an jemanden wie Gertrude Stein denkt, die schon ein bisschen früher angefangen hatte zu sammeln und die eine Intellektuelle war und als solche auch anerkannt - das war eine Ehre, die Peggy niemals zu Teil wurde.
Anfangs hat man sie also nicht ernst genommen, aber im Lauf der Zeit hat sie etwas Bedeutendes aufgebaut. Ich glaube es war Douglas Cooper, der gesagt hatte, es handele sich nur um die Gemäldesammlung einer reichen Amerikanerin, die bei der Biennale von 1948 gezeigt wurde. Aber genau diese Ausstellung auf dieser Biennale hatte enormen Einfluss auf viele italienische Künstler, wie Burri und Fontana, die nie zuvor so große Leinwände wie die von Pollock oder Kandinsky in Farbe gesehen hatten, die nie abstrakte Kunst dieser Art zu Gesicht bekommen hatten. Es war auch mutig von ihr als alleinstehende Frau, der bereits ein gewisser Ruf anhaftete, nach Venedig zu gehen – der Ruf einer sexuell vielleicht etwas zu freizügigen Frau. Unter Kunstsammlern in Venedig würde man so etwas bestimmt nicht verstehen, da gab es eine ganz andere Tradition. Aber sie statuierte damit ein Exempel für so viele weitere Sammlungen, wie die von Agnelli, der den Palazzo Grassi gekauft hat, der später dann von François Pinault übernommen wurde. Sie hat allgemein das Konzept populär gemacht, sich die zeitgenössische Kunst einmal genauer anzusehen.
Susanne Burg: Wir haben am Anfang über Ihr Interesse an diesen Frauenfiguren gesprochen. Wie würden Sie zusammenfassend sagen, wie wir Peggy Guggenheim nochmal neu entdecken können?
Lisa Vreeland: Ich denke, historisch ist sie bekannt für ihren wirklich sehr schönen Palazzo in Venedig, die Peggy Guggenheim Sammlung. Aber ich hoffe, dieser Film schafft es zu zeigen, wie hart sie dafür gearbeitet hat, was für ein Erbe sie der Welt hinterlässt. John Richardson hat sie sehr klug als Bestäuberin bezeichnet, aber ich glaube sie war vor allem eine Unterstützerin all dieser verschiedenen Künstler und hat viele Momente der Kunst erst ermöglicht.
Sie hat für viele Künstler eine entscheidende Rolle gespielt, die historisch wohl noch an Bedeutung gewinnen wird. Aber ich glaube, es ist auch sehr wichtig zu wissen, dass sie ein sehr schmerzvolles Leben hatte – ein schwieriges Leben. Ja, sie war wohlhabend, aber emotional gab es viele Tiefen und sie war sehr traurig, aber auch mit diesen persönlichen Schwierigkeiten kann man seine Träume wahr werden lassen. Ich hoffe, das ist eine Botschaft, die positiv rüberkommt – hier ist jemand, der vielleicht nicht so geliebt wurde, wie sie hätte geliebt werden sollen, sie hätte noch mehr Liebe geben können, aber sie war in der Lage durch harte Arbeit, ihren Traum zu erfüllen.

Übersetzung aus dem Englischen von Marei Ahmia
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