Linksterrorismus in Italien

Klug rekapitulierte Zerreißprobe

Der amerikanische General James Lee Dozier
Der amerikanische General James Lee Dozier auf einem von den Entführern gemachten Foto. Am 17. Dezember 1981 wurde der ranghöchste Offizier im Nato-Hauptquartier Süd in Verona von den Roten Brigaden entführt. Die Polizei befreite ihn nach 42 Tagen. © picture alliance / dpa / Foto: UPI
Von Maike Albath · 11.09.2015
Giorgio Fontana verarbeitet in "Tod eines glücklichen Menschen" den Kampf des italienischen Staates gegen den Linksterrorismus der 1970er- und 80er-Jahre. Sein Stil ist teilweise betulich, aber die Geschichte fesselt trotzdem.
Es war eine Zerreißproben der italienischen Demokratie: Anschläge auf Repräsentanten des Staates in den 1970er- und frühen 1980er-Jahren. Auch Kriminologen, Untersuchungsrichter und Staatsanwälte fielen den Attacken linksextremistischer Terrorgruppen zum Opfer, und mehrfach traf es die liberaleren Vertreter dieser Berufsgruppen. Der Staat wolle mit diesen Männern seinen faschistischen Charakter übertünchen, lautete einer der Vorwürfe, und man berief sich mit vollmundiger Rhetorik auf die Partisanen während des Zweiten Weltkriegs. So ähnlich argumentiert auch der charismatische Terrorist Gianni Meraviglia in Giorgio Fontanas neuem Roman "Tod eines glücklichen Menschen", als Staatsanwalt Giacomo Colnaghi ihn im Sommer 1981 festnimmt und verhört.
Der junge Colnaghi, als HalbwaiseI aufgewachsen, weil sein Vater im Widerstand fiel, will begreifen, was in seinem Land vorgeht. Mit der Festsetzung Meraviglias gelingt ihm ein Coup, denn man hält den Terroristen für den Drahtzieher der Ermordung eines konservativen Politikers. Der Staatsanwalt leitet die Ermittlungen mit großem Geschick. Von einem tiefen Ethos durchdrungen, rekapituliert er seine eigene Familiengeschichte. Viel Zeit hat er nicht, denn auch er gerät ins Fadenkreuz der Terroristen.
Vorbilder sind reale Personen der Zeitgeschichte
Giorgio Fontana, 1981 in der Nähe von Varese geboren, heute in Mailand zu Hause und Absolvent der Philosophischen Fakultät, hatte sich bereits in seinem Debüt "Im Namen der Gerechtigkeit" mit gesellschaftspolitischen Fragen beschäftigt. Dort wurde Staatsanwalt Doni mit den Widersprüchen des Rechtsstaates konfrontiert, dessen Gesetze den Problemen eines Einwanderungslandes nicht mehr gerecht werden.
Sein neuer Roman greift einige der Figuren aus dem Erstling auf und liefert die Vorgeschichte. Das Personal in Tod eines glücklichen Menschen ist größten Teils fiktiv, aber von realen Personen der Zeitgeschichte inspiriert; die Ermordung des Untersuchungsrichters Guido Galli kommt vor, und ebenso wie der Staatsanwalt Emilio Alessandrini, auch er Opfer der Terrorvereinigung Prima Linea, stand er für den erfundenen Colnaghi Modell.
Fundierte Auseinandersetzung mit ideologisch besetzten Verwerfungen
Die historischen Hintergründe sind exakt recherchiert; in einer Nachbemerkung nennt Fontana seine Quellen und weist auf einige Sachbücher zu dem Thema hin. Aber sein Roman, 2014 mit dem renommierten Premio Campiello ausgezeichnet, ist kein moralisierender Nachhilfeunterricht in Geschichte, im Gegenteil. Der Autor packt einen Stoff an, der wie kaum ein anderer der Aufarbeitung bedarf, und er tut es auf mitreißende Weise. Dass ein Schriftsteller, dessen Generation Terrorismus häufig eher wie ein Popphänomen behandelt, eine so fundierte Auseinandersetzung mit den ideologisch besetzten Verwerfungen wagt, ist schon an sich bemerkenswert.
Fontanas literarische Mittel sind eher konventionell, es gibt einige etwas betuliche Szenen, aber sein Roman ist klug konstruiert und entwickelt einen starken Sog. Der Widerstandskampf der Arbeiter in der Mailänder Provinz wird ebenso vermittelt wie Mühen der Ebene im Justizapparat. Vor allem mit Colnaghi, ein frommer Katholik und von den Sorgen eines jungen Familienvaters geplagt, gelingt ihm eine einprägsame Figur. Bis in die Gegenwart hinein laboriert Italien an den Folgen jener bleiernen Jahre.

Giorgio Fontana: Tod eines glücklichen Menschen
Aus dem Italienischen von Karin Krieger
Nagel & Kimche, Zürich 2015
255 Seiten, 19,90 Euro

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