Linke Ausschreitungen in Berlin

Machtkampf um die Rigaer Straße

Polizisten stehen vor einem besetzten Haus in der Rigaer Straße am 09.07.2016 in Berlin bei einer Demonstration linker und linksextremer Gruppen
Hier eskalierte die Gewalt: Polizisten am Samstagabend vor einem besetzten Haus in der Rigaer Straße © picture alliance / dpa - Maurizio Gambarini
Klaus Schroder im Gespräch mit Nana Brink · 11.07.2016
Die autonome Szene in Berlin zeigt sich von ihrer düsteren Seite: Dutzende von Polizisten werden bei einer Demonstration verletzt. Anlass: die Teilräumung eines besetzten Hauses in der Rigaer Straße. Der Berliner Politikwissenschaftler Klaus Schroeder warnt vor einer Eskalation, die auch Menschenleben kosten könnte.
Es war die wohl gewalttätigste Demonstration seit Jahren in Berlin: Bei Protesten gegen die Teilräumung eines besetzen Hauses in der Rigaer Straße wurden am Wochenende in Berlin 123 Polizisten verletzt. 86 Demonstranten nahmen die Beamten zumeist vorübergehend fest, wegen Körperverletzung, Gefangenenbefreiung und Verstößen gegen das Sprengstoffgesetz.
Für den Innensenator Frank Henkel (CDU) war es eine "linke Gewaltorgie", der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) meint, so könne es nicht weitergehen. Und fordert eine "nachhaltige Strategie der Innenverwaltung".
Der Politikwissenschaftler Klaus Schroeder
Der Politikwissenschaftler Klaus Schroeder© dpa / picture alliance / Klaus Franke
Der Berliner Politikwissenschaftler Klaus Schroeder wiederum findet: Der Konflikt ist "Chefsache". Müller selbst sollte "in vorderster Front stehen und die Verhandlungen führen", sagte Schroeder im Deutschlandradio Kultur.
Schroeder empfiehlt, einen Dialog mit dem nicht gewalttätigen Teil der linken Szene zu beginnen. Ziel müsse es sein, diesen von dem gewalttätigen Teil zu trennen, betonte er. Dass das klappt, sei allerdings unwahrscheinlich, räumte er ein.
Schroeder warnt eindringlich vor der Möglichkeit, dass der Konflikt drastisch eskaliert: Beide Seiten rüsteten in der derzeit hitzigen Situation eher auf als ab. Jetzt, wo die Wahlen in Berlin bevorstünden, greife die Politik zur "harten Linie": "Das hat natürlich einen Beigeschmack", betonte er.
Autonome Gruppen hätten zudem gerade eine Stellungnahme veröffentlicht, in der sie darauf hinwiesen, dass sie bisher darauf geachtet hätten, dass niemand zu Tode kommt, berichtete Schroeder. Laut den Autonomen könne sich das aber ändern, wenn die Gewalteskalation weitergehe.
"Hier werden terroristische Aktionen angekündigt, wenn der Staat sich nicht zurückzieht", sagte Schroeder. Das sei Erpressung.
Laut Schroeder will die autonome Szene in Berlin "vom Recht befreite Räume" schaffen. Sie begreife den Konflikt mit den Behörden inzwischen als Machtkampf.

Das Interview im Wortlaut:

Nana Brink: Linke Gewalt in Berlin – wie ernst ist die Gefahr? Berlin brennt, ja, das wäre vielleicht etwas übertrieben, aber die derzeitige Gewalt, die überschreitet ja das normale Maß, an das sich auch hart Gesottene hier in der Hauptstadt gewöhnt haben. In mehreren Stadtteilen wurden ja Autos und Bagger angezündet, über 3.500 Demonstranten standen am Wochenende ja rund 1.800 Polizisten in ganz Berlin gegenüber, und die hatten wahrlich keinen leichten Job, wurden mit Flaschen, Steinen und Knallkörpern beworfen.
Kenner der Szene sprechen von der aggressivsten Demonstration der zurückliegenden fünf Jahre in Berlin. Wie ist das zu erklären? Darüber spreche ich jetzt mit Professor Klaus Schroeder. Er ist Politikwissenschaftler und Zeithistoriker an der Freien Universität Berlin am Otto-Suhr-Institut. Schönen guten Morgen, Herr Schroeder!
Klaus Schroeder: Schönen guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Bei diesen gewaltsamen Protesten, die wir gesehen haben, geht es ja um die Teilräumung eines besetzten Hauses in der Rigaer Straße, das ist in Berlin-Friedrichshain. Ist das jetzt der Grund oder ist das nur ein Symptom für diese Auseinandersetzung, die wir sehen?
Schroeder: Es ist der Anlass, wieder zu Gewalt zu greifen, an sich aber hat die Rigaer Straße einen hohen Symbolwert in der Szene – sie ist sozusagen Herz und Kopf der Autonomenszene, ohne damit identisch zu sein.
Diese Teilräumung ist erfolgt, obschon es Drohungen gab, dann am Tag X, eine Gewaltorgie über die Stadt auszugießen, und das haben die Autonomen ja auch getan unmittelbar nach der Teilräumung.
Jeden Tag brannten Autos, wurden Bankhäuser entglast und so weiter, und dann eben am Samstag dieser Gewaltausbruch, der vorher angekündigt war, offensiv angekündigt war, umgesetzt wurde. Man kann da fragen, ob die Demonstration nicht hätte verboten werden müssen.
Brink: Können Sie uns ein bisschen erklären, wie es zu dieser Explosion von Gewalt kommt? Was ist da das Movens, was treibt die an?

Das autonome Ziel: vom Recht befreite Räume

Schroeder: Die autonome Szene möchte befreite Räume, vom Recht befreite, von der bürgerlichen Gesellschaft befreite Räume – dazu dienen diese besetzten Häuser, und die Rigaer ist ein Symbol dafür –, und sie sind der Meinung, sie werden hier angegriffen, sie sollen diese Freiräume nicht mehr haben. Sie begreifen es inzwischen als Machtkampf und nicht so sehr als kapitalistisches Profitstreben von Leuten, die modernisieren wollen, Luxusbauten errichten wollen. Also ihnen ist jetzt klar, es geht hier um einen Machtkampf, und diesen Kampf wollen sie annehmen.
Brink: Es gibt viele Facetten von linker Gewalt in Berlin. Der Verfassungsschutz hat das mal so definiert: Es gibt diese Brandstiftungen, es gibt die Geschehen rund um den 1. Mai, an die man sich ja schon fast gewöhnt hat, und es gibt ja sozusagen auch diese Gewalt, die wir jetzt sehen, also im Umfang von bestimmten Räumen, wo sich Linksextremisten zusammentun. Hat man das bislang nicht differenziert genug, nicht genau hinguckt?
Schroeder: Ja, hingeguckt hat man schon, aber man war sich uneins, was man machen kann. Man wollte einerseits – ähnlich wie am 1. Mai – deeskalieren, andererseits wollte man aber der gewaltbereiten autonomen Szene nicht zu viel Spielraum lassen. Und dann hat man gezögert, hat nichts getan. Jetzt steht die Wahl bevor hier in Berlin, dann greift man zur harten Linie, und das hat natürlich einen Beigeschmack – warum hat man es nicht vorher schon getan? Hat das etwa mit den Wahlen was zu tun, fragen sich viele Beobachter.
Und das deutet darauf hin, dass das jetzt in einer hitzigen Situation weitergeht, dass beide Seiten eher aufrüsten als abrüsten, und es könnte eine Eskalation bevorstehen, zumal autonome Gruppen gerade eine Stellungnahme veröffentlicht haben, in der sie darauf hinweisen, bisher hätten sie darauf geachtet, dass niemand zu Tode kommt, aber wenn die Gewalteskalation weitergeht – natürlich geht sie aus Sicht der Autonomen immer von der Polizei, dem Staat aus –, dann könnte sich das ändern.
Brink: Das ist ja ziemlich ungeheuerlich.
Schroeder: Eine unverhohlene Drohung, wo ich mich frage, wo sind wir gelandet? Hier werden terroristische Aktionen angekündigt, wenn der Staat sich nicht zurückzieht. Also erpresserisch wird gesagt, zieht eure Bullen ab, dann habt ihr das alles nicht, dann brennen die Autos auch nicht mehr, oder aber wir eskalieren.
Berlins Innensenator Frank Henkel
Berlins Innensenator Frank Henkel: Harte Linie vor der Wahl© dpa / Soeren Stache
Brink: Die Frage ist ja, wie bekommt man das Problem gelöst. Wenn Sie sagen, es ist schon kurz davor, wirklich weiter zu eskalieren – wobei ich mich jetzt gerade frage, wie diese Eskalation aussehen soll, und ich möchte gar nicht darüber nachdenken, was Sie angedeutet haben, dass nämlich Menschen, also Menschen sind ja schon zu Schaden gekommen, aber wirklich auch, dass es dann tödliche Anschläge geben kann.
Die politische Landschaft ist ja gespalten, also der Regierende Bürgermeister Michael Müller von der SPD sowie Grüne, Linke und Piraten haben ja den Innensenator – Innensenator Frank Henkel von der CDU hier in Berlin – aufgefordert, doch Gespräche aufzunehmen mit, ja, sagen wir dem gewaltfernen Teil der Szene und den Nachbarn in der Rigaer Straße. Ist das möglich noch?

"Teile des rot-rot-grünen Milieus gucken lieber weg"

Schroeder: Ich denke, eher nicht, aber es ist richtig. Ziel muss es sein, die nicht gewaltbereiten, radikalen und gemäßigten Linken zu trennen von den gewaltbereiten. Hierzu würde gehören, dass man Gespräche anbietet, aber nur, wenn diese Gruppen sich vorher explizit von der politisch motivierten Gewalt distanzieren. Nur dann, nur mit solchen Leuten kann man reden, denn das ist ja ein Versäumnis bisher.
Die demokratischen Parteien Berlins haben sich letzte Woche distanziert und einen Abgrenzungsbeschluss gefasst gegen Rechtspopulisten und Rechtsextremisten, warum hat man das nicht auch gegen Linksextremisten und linke Gewalt getan? Warum wird hier nicht ein Konsens verabschiedet?
Das liegt daran, dass große Teile im rot-rot-grünen Milieu doch eher lieber weggucken oder linke Gewalttaten verharmlosen oder relativieren mit Hinweis auf rechte Gewalttaten.
Wenn man sich die Statistiken bundesweit anschaut, dann stellt man fest, dass linke Gewalttaten immer in den letzten Jahren häufiger waren als rechte Gewalttaten. Das hat die Öffentlichkeit aber nicht zur Kenntnis genommen, aus welchen Gründen auch immer.
Brink: Ich möchte noch mal doch darauf zurückkommen, wie man denn diesen Konflikt lösen kann. Sie sagen ja, man muss diese Szene aufspalten – in die, mit denen man reden kann, und die, mit denen man nicht reden kann. Ist das nicht sehr unwahrscheinlich? Es wird doch eine große Solidarisierungswelle stattfinden, also das stelle ich mir gerade vor, das haben wir in der Vergangenheit ja in Berlin gesehen.

"Die Bedrohung von links nicht ernst genommen"

#Schroeder: Ja, es ist unwahrscheinlich, aber man kann es versuchen. Es gibt ja im linksalternativen Milieu durchaus Projekte, Ansätze, die unterstützenswert sind. Leider haben die immer wieder diese klammheimliche oder offene Solidarität mit den linken Gewalttätern. Am 1. Mai ist es ja gelungen zu differenzieren, und vielleicht kann man hier differenzieren. Und im Übrigen bin ich der Meinung, das ist Chefsache. Der Regierende Bürgermeister selber, Müller, sollte hier in vorderster Front stehen und die Verhandlungen führen und nicht der Innensenator.
Brink: Liegt es denn wirklich daran, um abschließend noch mal auf Ihre Antwort zurückzukommen, dass überhaupt linker Terrorismus – oder Sie nennen es ja linken Terrorismus, zumindest bei Teilen der Szene, die wir da in Berlin sehen –, dass man diese Bedrohung nicht ernst genommen hat?
Schroeder: Ja, man hat diese Bedrohung nicht ernst genommen, man war der Meinung, Linke, die würden ja nur Gewalt gegen Sachen üben, Rechte würden die gegen Personen ausüben, was so nicht stimmt. Und man hat immer wieder – es geht ja um gute Ziele vermeintlich bei den Linken, und das relativiert Gewalt. Und das ist sozusagen die Fehldeutung – politisch motivierte Gewalt ist in einer Zivilgesellschaft generell abzulehnen.
Brink: Professor Klaus Schroeder, Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin. Vielen Dank, Herr Schroeder, für das Gespräch!
Schroeder: Ja, bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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