Lindner: Stehe nicht als Nachrücker für Brüderle zur Verfügung

Christian Lindner im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 28.03.2011
Nach dem schlechten Abschneiden seiner Partei bei den Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz müsse es eine Diskussion "über die Mannschaftsaufstellung" und "nicht ausschließlich über den Trainer" geben, sagt FDP-Generalsekretär Christian Lindner. Er betonte, "die Bremsspur für die Kernenergie in Deutschland" werde kürzer werden. Der Umstieg auf erneuerbare Energien sei allerdings kein Sonntagsspaziergang, sondern "ein Programm der Dimension Mondfahrt".
Jörg Degenhardt: Historischer Wechsel in Baden-Württemberg: Nach fast sechs Jahrzehnten muss die CDU dort die Macht abgeben. Auch die FDP stürzt ab – immerhin ist sie noch im Stuttgarter Landtag vertreten. In Rheinland-Pfalz wird es nach fünf Jahren SPD-Alleinregierung wohl erstmals eine rot-grüne Koalition geben. Auch hier erleiden die Liberalen schwere Verluste, sie scheitern an der 5-Prozent-Hürde. Am Telefon begrüße ich jetzt den Generalsekretär der FDP Christian Lindner, guten Morgen, Herr Lindner!

Christian Lindner: Guten Morgen, Herr Degenhardt!

Degenhardt: Sie haben bereits angekündigt, dass es jetzt eine Diskussion über die personelle und politische Aufstellung der Partei geben müsse. Beginnen wir mit dem Personal: Wer muss denn um sein politisches Amt fürchten?

Lindner: Ich werde keine Namen jetzt im Einzelnen nennen und mit Ihnen durchgehen, aber sicher ist, dass es für uns jetzt keine Rückkehr zum Tagesgeschäft, zur Routine ohne Weiteres geben kann. Man kann den gestrigen Wahlsonntag nicht jetzt zu den Akten legen, sondern wir müssen ihn sehr genau analysieren und müssen unsere Schlüsse daraus ziehen, dass wir in einem ausgesprochen erfolgreich regierten Land wie Baden-Württemberg eben unsere Regierungsbeteiligung nicht haben verteidigen können, und ganz unabhängig von dem besonderen Einfluss der Katastrophe in Japan muss die FDP daraus jetzt personelle und politische Schlussfolgerungen ziehen.

Degenhardt: Beginnt die Verantwortung für dieses Wahlergebnis nicht beim Parteivorsitzenden?

Lindner: Die FDP arbeitet als Team, und deshalb ist auch nicht nur er alleine verantwortlich. Wir sind da alle in der Verantwortung für dieses Ergebnis und für die Aufstellung der FDP, also muss es auch eine Diskussion über die Mannschaftsaufstellung unserer Partei geben und nicht ausschließlich über den Trainer. Das wäre aus meiner Sicht sogar ein Problem, würden wir uns ausschließlich auf einzelne Positionen konzentrieren, denn möglicherweise liegen die Probleme und Schwierigkeiten der FDP tiefer, haben strukturelleren Charakter, betreffen also die politisch-programmatische Ausrichtung und einige inhaltliche Fragen, die wir uns neu vorlegen müssen.

Degenhardt: Hat Ihre Partei, um da nachzuhaken, vielleicht ein Glaubwürdigkeitsproblem – wenn ich an die Atomdebatte denke und an Ihren Wirtschaftsminister Rainer Brüderle, der sich da nicht wirklich glücklich verhalten hat?

Lindner: Dass die neu akzentuierte Energiepolitik in so kurzer Zeit nicht erklärbar war, das haben die Wahlergebnisse gestern Abend auch gezeigt. Glaubwürdigkeit werden wir uns ja jetzt dadurch erarbeiten, dass wir diese Energiewende mit Leben füllen, nachdem wir im Laufe dieses Zeitraums des Moratoriums auch die entsprechenden Vorbereitungen in der Sache treffen. Alle Parteien, Herr Degenhardt, haben sich ja nach den apokalyptischen Bildern aus Japan neu positioniert. Ich will dran erinnern, dass beispielsweise die Grünen ja auch lange bis nach dem Jahr 2020 Kernreaktoren laufen lassen wollten. Jetzt sprechen sie vom Jahr 2017, haben also auch durch jüngste Beschlüsse ihre Haltung korrigiert. Wir tun dasselbe. Aber es war eben, nachdem ein Energiekonzept beschlossen worden ist, nicht sofort für jeden klar und nachvollziehbar verständlich, dass und wie es uns ernst mit dieser Entscheidung ist, und insofern haben die Grünen am gestrigen Wahlsonntag ihr politisches Kapital aus dieser thematisch sehr stark fokussierten Situation gezogen.

Degenhardt: In der Koalition ist der Ausstiegskurs der Kanzlerin ja durchaus umstritten, die Stromkonzerne prüfen ihrerseits Klagen gegen das vorzeitige AKW-Aus. Wie wird sich denn Ihre Partei, wie wird sich denn die FDP verhalten? Wird sie ihren Atomkurs überdenken oder gar korrigieren?

Lindner: Das ist sicher, dass die Koalition insgesamt und damit auch die FDP unsere Energiepolitik jetzt neu formulieren werden. Wir haben da schon erste Linien ja gezeigt. Die Bremsspur für die Kernenergie in Deutschland wird kürzer werden. Aber wir dürfen Rationalität und Realismus dabei nicht verlieren. Wir haben ja auch seinerzeit die Kernenergie nur als eine sogenannte Brückentechnologie verlängert, weil nicht ohne Weiteres im Bereich der sogenannten Grundlast Kernenergie ersetzt werden kann durch erneuerbare Energien. Das ist sehr voraussetzungsvoll, Stromspeicher müssen zur Verfügung stehen, Trassen für den Transport erneuerbarer Energien, beispielsweise von Windkraftanlagen vor der Küste in den Süden Deutschlands, müssen zur Verfügung stehen. All das kann man nicht in kurzer Zeit darstellen, allein schon, weil die Planungsverfahren in Deutschland sehr langwierig sind. Deshalb war es aus unserer Sicht erforderlich, die Kernenergie länger zu nutzen. Wir werden jetzt die Voraussetzungen schaffen müssen, das schneller zu tun. Das wird zu mehr Kosten, auch zu anderen planerischen Anstrengungen führen. Es soll niemand glauben, das sei ein Spaziergang am Sonntagvormittag, sondern das ist ein Programm der Dimension Mondfahrt. Ich habe das Bild schon einmal verwendet, weil es sehr gut beschreibt, welche besondere Anstrengung wir jetzt an allen Teilen der Gesellschaft brauchen und wie tiefgreifend dann am Ende auch Einschnitte für unser Leben und Wirtschaften sein werden. Da sprechen die Grünen etwa nicht drüber, sie erwecken den Eindruck, das ginge alles schon so automatisch – mitnichten, aber wir haben die Bereitschaft zu dieser Kraftanstrengung.

Degenhardt: Ich möchte noch über etwas anderes sprechen mit Blick auf kommende Wahlen, mit Blick auch auf Ihren Bundesparteitag, der ja auch dann ansteht. Wie wollen Sie überhaupt wieder zu besseren Ergebnissen kommen? Nur mit Forderungen nach Steuersenkungen ist es ja wohl nicht getan.

Lindner: Nein, das Thema Steuersenkung, Herr Degenhardt, bringen ja auch Sie gerade auf, ich habe davon im Gespräch gar nicht gesprochen. Wir müssen über die ganze Bandbreite unserer Themen sprechen. Mir geht es darum, dass liberale Politik im Alltag der Menschen spürbar sein muss. Es muss für jeden, es muss für Millionen Familien in der Mittelschicht sichtbar einen Unterschied, spürbar einen Unterschied machen, dass die FDP in Regierungsverantwortung ist. Unser Ziel war immer und muss wieder sein – und erkennbar auch muss es umgesetzt werden –, jeden Tag den Alltag der Menschen ein Stück einfacher zu machen. Da ist eine Entlastung der Mittelschicht, wie Sie sie angesprochen haben, ein Element, aber mit Sicherheit nicht das, was wir zuerst jetzt umsetzen können, weil wir schneller raus müssen aus den Schulden. Also für mich ist die Frage: Kommen wir im Alltag der Menschen an, ist spürbar, dass liberale Politik einen Unterschied macht? Offensichtlich sind vor diesem Hintergrund auch unsere Regierungsergebnisse in Berlin noch mal zu überdenken, zu überprüfen. Wenngleich natürlich am Wochenende – das will ich noch mal sagen – die Sonderereignisse japanische Katastrophe die Wahl geprägt haben, muss es trotzdem für die Bundesregierung und die FDP auf Bundesebene Anlass sein, die politische Ausrichtung zu hinterfragen, kritisch zu prüfen.

Degenhardt: Und will sich dabei der Noch-Generalsekretär Lindner stärker einbringen, vielleicht als Nachrücker ins Kabinett Merkel für Herrn Brüderle?

Lindner: Nein, solche Fragen besprechen wir nicht. Ich bin, das kann ich Ihnen versichern, gerne Generalsekretär der FDP, ich habe mit der Entwicklung des Grundsatzprogramms, der Überarbeitung unserer Grundsatzprogrammatik ja auch schon jetzt eine Schlüsselaufgabe, um die ich mich seinerzeit auch gerne beworben habe. Also mein Ehrgeiz konzentriert sich auf die Sache.

Degenhardt: Die FDP nach den gestrigen Landtagswahlen, am Telefon von Deutschlandradio Kultur war deren Generalsekretär Christian Lindner. Herr Lindner, vielen Dank für das Gespräch!

Lindner: Gerne, Herr Degenhardt!


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Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (l) und die Spitzenkandidaten der rheinland-pfälzischen Grünen, Eveline Lemke (M) und Daniel Köbler (r)
Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (l) und die Spitzenkandidaten der rheinland-pfälzischen Grünen, Eveline Lemke (M) und Daniel Köbler (r)© picture alliance / dpa
Der Spitzenkandidat der baden-württembergischen Grünen für die Landtagswahl, Winfried Kretschmann, jubelt
Der Spitzenkandidat der baden-württembergischen Grünen für die Landtagswahl, Winfried Kretschmann, jubelt© picture alliance / dpa