Lifestyle

Berlin goes vegan

Veganes Gericht aus Linsen, Kürbis, Zwiebeln und Tomaten
Es geht auch ohne Fleisch: veganes Essen © picture alliance / ZB / Jens Kalaene
Von Katja Bigalke · 16.01.2014
Tofu statt Schnitzel, Soja statt Sahne, Textil statt Leder: Berlin mausert sich zum vegangen Hotspot Europas - mit zahlreichen Restaurants, Supermärkten und Modeshops.
"Das Schwein des Veganers ist Räuchertofu. Wenn du den anbrätst, dann wird das sehr speckig."
Attila Hildmann steckt sich einen Würfel Räucher-Tofu in den Mund, kaut lustvoll darauf herum. Der 32-jährige Deutsch-Türke steht in der Küche des veganen Gourmet-Restaurants La Mano Verde in Berlin-Charlottenburg, schaut einem Koch beim Zubereiten einer Quiche aus winzigen Blumenkohl-Carrés, Oliven und Cashews über die Schulter.
"Dann oben ein Gemisch aus Hefeflocken und gestoßenen Pinienkernen. Ist ja optisch ein Highlight, man würde ja jetzt nicht denken, 'oh Gott, ich ess jetzt Körnerfraß von den militanten Veganern'."
Der Berliner Hildmann ist in Deutschland so etwas wie der Jamie Oliver der veganen Küche. Er hat drei Kochbücher veröffentlicht, "vegan for fun", "vegan for fit" und "vegan for youth" die sich zusammen über eine halbe Million Mal verkauft haben. Kombiniert mit einem Fitness-, Diät- und Antiaging-Programm hat der Physik-Student das vegane Kochen aus der Tierrechtsecke geholt und zum Lifestyle-Thema gemacht.
"Ich habe mit meinen Büchern das Klischee aufgebrochen, von Jemand, der militant ist und der von anderen erwartet, dass sie es genauso machen. Ich hatte am Anfang nicht das Problem mit den Fleischessern, sondern mit denen, die dann sagen, aber Attila was machst du sonst noch? Achtest du auf deine Schuhe? Wir haben seit Jahrzehnten eine Ideologiemauer: Ich habe immer nur die gesehen in der Straße, die sagen 'Fleisch ist Mord' ohne Angebote zu geben."
Essensvorschriften à la Veggie day, Schreckensbilder aus den Schlachthäusern und "ethisches Blabla" wie Attila Hildmann es nennt, bringen nichts, wenn man Ernährungsgewohnheiten ändern wolle. Viel besser wirkten Argumente, die jeder am eigenen Leib nachvollziehen könne: körperliches Wohlbefinden, knackiges Aussehen, bessere Gesundheit. In seinen Kochbüchern präsentiert sich Hildmann so auch gerne sportlich mit Waschbrettbauch und geschwollenem Bizeps. Er selbst schwenkt auf die vegane Küche um, als sein Adoptivvater im Jahr 2000 überraschend an einem Herzinfarkt stirbt. Hoher Cholesterinspiegel und schlechte Ernährung seien die Ursachen für dessen Tod, meint Hildmann. Der damals übergewichtige Mann will nicht denselben Weg gehen, fuchst sich ein in ein neues Kochuniversum, lernt neue Zutaten kennen.
"Also hast du hier eine große Armada an Hülsenfrüchten: Das sind auch gesunde Zutaten, die wichtig sind, für den Geschmack. Dann verschiedene Nussbuttervariationen, Sesammuss auch Weißmandelmuss das ist super gesunde Alternativen für Sahnesoßen."
Hildmann beginnt, seine neuen Kochvariationen zunächst im Eigenverlag zu veröffentlichen. Vegane Lasagnen, Pilz-Risottos, Algen-Salate, Pestos für Zucchininudeln. Viel mehr als selber Kochen sei Veganern vor zehn Jahren auch gar nicht übrig geblieben, meint er. Berlin sei eine Wüste gewesen, was vegane Ernährung angeht.
Ein Schild weist im Weinbergsweg in Berlin Mitte auf Eis aus Biomilch, Soja-Eis und vegane Fruchtsorbets hin.
Ein Schild weist im Weinbergsweg in Berlin Mitte auf Eis aus Biomilch, Soja-Eis und vegane Fruchtsorbets hin.© picture alliance / ZB / Jens Kalaene
"Am Anfang war das katastrophal, du konntest keine Milchalternativen kaufen. Da hab ich mich über jedes Sojaeis gefreut. Ich bin durch ganz Berlin gefahren mit meiner Freundin und hab das so abgefeiert, als ich das gesehen hab."
Eine Situation, die sich radikal geändert hat. Auch weil die Gruppe der Veganer immer größer wird, steigt die Anzahl an Adressen für nicht-tierische Alternativen. Gab es laut Statistiken des Vegetarierbundes 2012 noch 600.000 Veganer in Deutschland, sind es heute schon 800.000. Nach einer Studie im Auftrag der Veganen Gesellschaft Deutschland erzielten im Jahr 2012 vegane Produkte 232 Millionen Euro Umsatz. Das entspricht einem Wachstum von etwa 19 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Nirgendwo boomt das Geschäft mit dem Veganen mehr als in Berlin. 24 Restaurants und Cafés gibt es in der Hauptstadt, die ausschließlich pflanzliche Speisen und Getränke anbieten. Von den vegetarischen Optionen ganz zu schweigen.
Kapitale für Veganer
"Es gibt eine Website, die heißt happycow.net. Da haben Sie eine Liste veganer Restaurants weltweit und da haben sie die Statistiken: in Berlin 73 vegane und vegetarische Optionen und in London 48. Es gibt ein veganes Restaurant in Paris. Berlin ist die Kapitale für Veganer in Europa."
Berlin, die vegane Hauptstadt Europas. Der Gastronom Jean Jury meint, nicht ganz uneitel, mit der Eröffnung seines Restaurants La Mano Verde im Jahr 2008 diese Entwicklung angestoßen zu haben.
"Wenn Sie die Liste der veganen Restaurants anschauen - die meisten kommen aus meiner Küche, sie haben Kopps, lucky leake ... die haben alle bei mir gearbeitet. Wir haben her was angefangen."
Was gar nicht so einfach war, wie Jury einräumt. Die Schwierigkeiten begannen schon damit Köche zu finden. In Deutschland gehört zur Ausbildung als Koch das Arbeiten mit Fleisch. Für die vegane Küche hingegen gibt es keinen Lehrplan. Jury musste diesen für sein Restaurant selbst entwerfen. Denn vegane Schnitzel und Bolognese-Alternativen hatte er selbst schnell satt.
"Meeralgensalat mit Kurkumalimette, Zucchinirollen mit Avocado Basilikum Crème mit Sellerie und Tomatentartar
Sushi mit Blumenkohl-Pastinakenreis
Capeletto mit Kastanien und Kürbiscrème"
Neben seiner erneuerten Karte war das zweite Geheimnis von Jurys Erfolg, das Wort "vegan" aus dem Untertitel seines Restaurants zu streichen.
Pflanzenbasis statt vegan
"Wir sind dann auf Pflanzenbasis gekommen. Weil unser erste Kritiker, die hat geschrieben 'la mano verde super Konzept, keine Zukunft' und dann habe ich angerufen und gefragt: 'Warum haben Sie so einen Titel geschrieben?', und dann hat sie gesagt: 'Ich habe einfach die Mathematik gemacht: Sie haben 0,01 Prozent vom Markt - das lässt sie das mit drei Gästen pro Tag." Sie hatte Recht."
Berlin musste als vegane Adresse erst noch etabliert werden, erklärt Jury. Ein Experiment, dessen Risiken der Gastronom allerdings vorher ganz genau berechnet hatte. In London, wo Jury vor seinem Umzug nach Berlin wohnte, hätte er sein Restaurant niemals eröffnen können.
"Es ist unmöglich die Quadratmeterpreise in London oder Paris zu bezahlen. Berlin war ein mathematischer Choice. Ich konnte mir Berlin leisten. Berlin ist ein guter Kompromiss Berlin ist groß, grün, international."
Und mittlerweile eben auch vegan. Zumindest ein ganzes Stück mehr, als noch vor ein paar Jahren. Vor ein paar Jahren zum Beispiel würdigte Jurys Nachbar - der Star-Friseur Udo Walz - das vegane Restaurant noch mit keinem Blick. Bis ihm Hannelore Elsner aus dem Fenster des La Mano Verde zuwinkte. Und heute? Udo Walz, hinter dem Tresen seines Coiffeur-Salons, spricht wie jemand, dem Läuterung widerfuhr:
Udo Walz - vom Steakesser zum Fast-Veganer
"Ich war früher kein Fan davon, aber seit ich das Restaurant nebenan habe, gehe ich mittags regelmäßig dort essen und was erstaunlich ist, ich habe früher gerne Steaks gegessen und so, aber heute ich weiß nicht warum, ekele ich mich vor Fleisch. Ich finde, die Leute sollten sich auch viel mehr Gedanken machen über die Tierhaltung und die Hühner und so. Also ich bin wirklich fast immer ein Veganer geworden."
Jury freut sich über jeden neuen Fast-Immer-Veganer, auch über die Manchmal-Veganer freut er sich. Schließlich haben sie Gewicht, wenn es um die Frage geht, ob sich die vegane Küche irgendwann aus der Nischenexistenz erheben kann. Für Jury, den Gastronom, ist das eine spannende Frage. Deswegen bietet er in seinem Restaurant nun auch zweimonatige Cheftrainingsprogramme für die pflanzliche Gourmetküche an.
"Weil ich kann mich nicht ausweiten, nach Frankfurt, Düsseldorf, Köln oder München wenn ich keine solide Basis in Berlin habe."
Berlin als Basislager für den pflanzlichen Eroberungsfeldzug. Jury ist nicht der einzige, der in der deutschen Hauptstadt das perfekte Labor für vegane Experimente sieht.
Die Vegan-Avenue
Ortswechsel. Die Schievelbeiner Straße im Prenzlauer Berg. Auch Vegan-Avenue genannt. Nebeneinander reiht sich hier ein veganer Supermarkt an ein veganes Bekleidungsgeschäft an einen veganen Schuhladen.
"Wir bieten vor allem vegane Schuhe an für Menschen, die Schuhe haben wollen, ohne tierische Produkte also tierfrei - darum geht’s."
Auf den ersten Blick wirkt Avesu wie ein ganz normales Schuhgeschäft für die ganze Familie. Rechts: Männerschuhe, links Damenschuhe, in der Mitte Schuhe für die Kinder. Sportlich, klassisch, elegant. Bei Avesu gibt es für jeden Anlass das passende Schuhwerk. Im Unterschied zu Deichmann und Co. sind die lederartigen Treter im Regal aber alle Fake.
Schaumstoff statt Leder
"Das ist im Prinzip ein fester Schaumstoff atmungsaktiv - die zweite Variante ist Mikrofaser, kennt man. Und aus diesem Mikrofaser da macht man ein Gewebe, presst das dann und kriegt dann Glattleder hin bis Wildleder."
Warum ausgerechnet ein Veganer einen Schuh haben möchte, der so aussieht als sei er aus tierischem Material, hält Geschäftsführer Dirk Zimmermann für eine etwas doofe Frage.
"Weil er sich von der Mode her nicht abgrenzt von nem anderen Menschen. Nen Veganer ist eigentlich nur nen Mensch, der kein Fleisch isst oder keine tierischen Produkte und ansonsten hat er dieselben modischen Vorlieben wie jeder andere Mensch. Und damit müssten die Schuhe auch optisch auf derselben Wellenlänge sein."
Und das können Sie auch, dank junger Firmen wie No animals exploited, vegetarian shoes, novacas oder di Romeo. Zwar sind die nicht-tierische Stiefeletten, Pumps oder Ballerinas immer noch ein wenig bieder - aber die Zeit, in der ein Veganer nur die Wahl hatte zwischen unförmigen Plastik- und langweiligen Stoffschuhen ist definitiv vorbei.
Der vegane Schuhladen avesu in der Schivelbeiner Straße in Berlin Prenzlauer Berg. Verkauft werden hochwertige und schöne vegane Schuhe für Menschen, die Tierleid vermeiden möchten. Zum Einsatz kommen Lederersatzstoffe, die aus umweltverträglicher und fairer Herstellung stammen.
Der vegane Schuhladen avesu in der Schivelbeiner Straße in Berlin Prenzlauer Berg. © picture alliance / ZB / Jens Kalaene
"Die Leute sind schon froh, dass sie im Schuhkauf keine Opfer mehr bringen müssen."
Gemeinsam mit seinem Kompagnon Thomas Reichel tummelt sich Dirk Zimmerman schon seit ein paar Jahren auf dem veganen Schuhmarkt. Erst im Internet mit einem Online-Schuhversand. Und als dieser immer besser lief, mit dieser ersten Filiale in Berlin. Warum in Berlin?
"Wir wohnen in Berlin, Berlin ist die größte Stadt Deutschlands, Berlin ist eine junge quirlige Stadt, viel Kultur, viel Multikulti. Man fängt halt in einer großen Stadt an, wo sich viele Menschen konzentrieren."
Und dort am besten an Orten, an denen die Kaufkraft da ist für die teureren Alternativprodukte, wo die Konsumgewohnheiten eh schon auf bio umgestellt sind und wo sich außerdem gerne Touristen aufhalten, eine wichtige Käufergruppe im veganen Segment.
Hochburgen des Bio-Biedermeiers wie Berlin Prenzlauer Berg oder touristifizierte und in ihrer alternativen Kultur ein wenig erstarrte Stadtteile wie Friedrichshain, Kreuzberg oder Neukölln passen da schon ganz gut. Hier konzentriert sich das vegane Leben. Sehr zur Freude von Sabine Brunelli, die im Prenzlauer Berg bei Dear-Goods ins Schwärmen gerät angesichts der dreifach freundlichen Kleidung, die nicht nur vegan ist, sondern auch Fair Trade und Bio.
"Fantastisch, endlich mal gucken. Man kann zwar auch viel online bestellen, aber man kann eben nichts anziehen. In einen Laden zu kommen, von dem man im Vorneherein weiß, alles ist vegan, man muss nicht immer gucken, weil viele Sachen gefallen einem. Und wenn man guckt, dann ist doch wieder was drin was aus Tieren ist."
Bei Dear Goods gibt es keine Kleidung mit Horn- oder Perlmuttknöpfen, keine Seidenblusen und auch keine mit Daunen gefütterten Jacken. Es gibt keine aus tierischer Wolle gefertigten Pullover und natürlich nichts aus Leder. Die durchaus aktuelle Mode, von der Unterwäsche bis zum Mantel, wurde in allen Bestandteilen auf ihren veganen Ursprung hin überprüft und hat - so bewirbt sich der Laden - weder Mensch, Tier, noch Umwelt geschadet. Köln, wo Brunelli herkommt, habe nicht einmal ein veganes Restaurant bedauert die Kundin, geschweige denn einen veganen Supermarkt. In Berlin hingegen gibt es gleich drei. Darunter zwei Filialen der Supermarktkette Veganz.
Neben Algen, Samen und Gräserprodukten ist der Veganz vor allem berühmt für seine riesige Kühltheke.
"Das ist die größte vegane Kühltheke Europas."
Sagt Sarah Schremp, Filialleiterin des Veganz an der Warschauer Straße in Friedrichshain. Sie ist sichtlich stolz auf das breite Angebot an Käse- und Fleischersatzprodukten auf Tofu, Weizengluten oder Lupinenbasis.
"Käse ist einer unserer Topseller. Ist unglaublich schwierig, Käse zu imitieren. Ganz beliebt ist der daiya Käse, der zieht tatsächlich Fäden und überbackt auch richtig im Ofen."
Zu Weihnachten ein Truthahnimitat
Und der Wilmersburger aus Wasser, Pflanzenöl und Kartoffelstärke käme selbst bei Mischköstlern gut an. Sarah Schremp macht sich auch gerne stark für die zahlreichen Fleischersatzprodukte:
"Barebecueribletts - das ist ein dunkel eingefärbtes Seitanstück, man kann das als Hamburger essen."
Ob Chickin Frikassee, Veggie Gyros oder Vleischsalat mit V - es gibt kein Fleischgericht, das nicht ersetzt werden könnte. Zu Weihnachten gab es sogar Truthahnimitat in Form eines Truthahns, schwärmt Schremp. Für die weniger feierliche Zeit empfiehlt sie:
"Meatless Meatballs - die haben auch immer lustige Namen und hier diese Barbecuewings das wäre eher so Hähnchen."
Veganz ist wie ein Feinkostladen für Veganer. Die Auswahl an nichttierischen Alternativprodukten ist größer als in jedem Biomarkt oder Reformhaus. Nicht der Verzicht wird hier groß geschrieben, sondern die Vielfalt jenseits von Fleisch und Milch. Allerdings hat das seinen Preis. Das vegane Sortiment ist oft teurer als äquivalente tierische Produkte in Bioqualität.
"Wir importieren halt sehr viel Ware aus den USA und das ist halt schon mit einem hohen Kostenaufwand verbunden, wenn man einen kompletten Tiefkühlcontainer aus den Staaten hierhin karren muss, es ist einfach so, dass der Zoll sehr teuer ist, und es ist so, dass Milchprodukte sind ja staatlich subventioniert, das heißt, die können günstiger angeboten werden und zusätzlich ist es so dass die Mehrwertsteuer teurer ist bei als bei Milchprodukten."

Der Eingang des ersten veganen Vollsortiment-Supermarkts Europas "Veganz" in der Schivelbeiner Straße in Berlin-Prenzlauer Berg mit etwa 6000 Produkten von über 70 Firmen aus aller Welt
Der Eingang des ersten veganen Vollsortiment-Supermarkts Europas "Veganz" in der Schivelbeiner Straße in Berlin-Prenzlauer Berg© picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Doch trotz der hohen Preise ist der Veganz gut besucht. Der ehemalige Daimler-Manager und mittlerweile Veganer Jan Bredack scheint mit seiner Supermarktkette eine Geschäftslücke entdeckt zu haben. Vor knapp drei Jahren eröffnete er die erste Veganz Filiale in seinem Wohn-Kiez Berlin-Prenzlauer Berg. In der Zwischenzeit kamen alleine in Deutschland sechs weitere Filialen hinzu. Bis Ende 2015 sollen es europaweit 21 sein. Dabei verdankt das boomende Vegan-Geschäft den Erfolg einer sehr unterschiedlichen Klientel. Der Erzieher zum Beispiel, der Nüsse, Obst und Gemüse auch mal bei Netto oder Aldi kauft und sich nur ein bis zweimal im Monat den Einkauf bei Veganz gönnt - für Marshmallows etwa, Weizengraspulver oder Grünkohl-Chips. Er lebt vegan aus tierrechtlichen Gründen:
"Bei mir kams durch meine Exfreundin. Nachdem wir ne Doku gesehen haben über Rinder, die in der Milchviehhaltung sind, wurde sie Veganerin von einem Tag auf den anderen und ich hab dann zuhause ein bisschen mitgezogen und wurde erstmal zum Vegetarier und dann fing so dieser Übergang an."
Und da ist Gerald, ein junger Mann, der längere Zeit arbeitslos war und sich für alles Mögliche engagiert: den Weltfrieden, die Legalisierung von Cannabis und an vorderster Front für Tierrechte. Er greift bei Veganz immer in das Regal direkt neben dem veganen Hundefutter. Hier gibt es riesige Tüten mit getrocknetem Sojageschnetzelten zum Selbstaufquellen.
Schnitzel für Veganer
"Soja Big Steaks - die sind nicht teuer. Da kriegste zwölf Stück für sechs Euro. So ne Art Schnitzel, sehr lecker, deftig, das sättigt gut."
Gerald freut sich über den schicken Veganz-Supermarkt mit den edlen Auslagen und dem sorgfältig arrangierten Produkten. Er findet es gut, dass das Vegane nicht mehr allein in Alternativläden zu finden ist, in denen sich Menschen mit Lederschuhen an den Füßen wie Verbrecher fühlen. Vegan als Lifestyle sei eine Chance sagt er:
"Ich selber bin natürlich ein ethischer. Mir geht es um Lebewesen. Aber: Ich hab überhaupt keine Probleme mit dieser Lifestylefraktion mit diesen Schickimicki-Veganern nenn ich sie oder die Popper, die HipHop-Tussis. Ich bin froh, weil die sind viel mehr als die Freaks, wie ich es einer bin - wir sind viel weniger."
Die Frau vor der Käsetheke gehört wohl zu den sogenannten Schickimicki-Veganern. Bei einem Detoxurlaub zum Entgiften in Thailand sei sie vor einem Monat auf den pflanzlichen Geschmack gekommen erzählt sie. Nicht aus altruistischen, sondern aus physischen Gründen:
"Wenn man das drauf hat, fühlt man sich besser, das Völlegefühl ist weg, man lebt bewusster, setzt sich mehr mit dem Körper auseinander und zelebriert das Essen."
Vegan als Investition in sich selbst: Der Profimixer für Smoothies und Soßen ist schon gekauft, auch der Dehydrierer und der Entsafter. Kostenpunkt gut 1000 Euro. Den veganen Käse legt die Kundin allerdings wieder zurück ins Kühlregal:
"Die Kartoffelstärke gefällt mir nicht und die modifizierte Stärke auch nicht. Das gehört ja mit zur Lebenseinstellung dazu - man ist ja jetzt ganzheitlich."
Vegan bedeutet hier ganzheitlich und ganzheitlich bedeutet hier ganz viel Zeit mit sich und seinen Inhaltsstoffen zu verbringen:
"Schaffen sie denn noch irgendwas anderes zu machen?"
"Ja! Yoga und Sport!"
Berlin - die Yoga-Hauptstadt
A propos Yoga - Berlin ist ja nicht nur die vegane Hauptstadt des Landes, sondern auch die des Yogas. Nirgendwo gibt es mehr Yogalehrer und -schulen als in Berlin. Und auch hier besteht ein Zusammenhang mit dem veganen Lebensstil. Manchmal sehr explizit wie bei dem aus den USA stammenden Jivamukti Yoga.
"Eine der Säulen von Jivamukti Yoga ist Ahimnsa und das ist Gewaltlosigkeit. Sich tierfreundlich zu bewegen wird einem empfohlen. Das ist kein Dogma, wird einem aber jeden Tag nahegelegt durch die Philosophie, dass man achtsam durch die Welt geht. Nicht nur Menschen als vollwertige Lebewesen ansieht, sondern auch die anderen Lebewesen. Ich finde halt auch, warum muss man den anderen essen nur weil er nicht unsere Sprache spricht, ist doch albern."
Sagt Gesine Kühne, die sich allerdings schon vor ihrer Karriere als Yogalehrerin vegan ernährte. Yoga habe aber bestimmt dazu beigetragen, dass sich der "vegane Lebensstil" ausbreite, meint sie. Frei von Narzissmus sei das deshalb noch lange nicht immer:
"Der Mensch ist ja per se jemand, der sich präsentiert. Und er bekommt auch durch Massenmedien und Yoga-Center auch ne Riesen-Bühne. Manchmal habe ich auch das Gefühl, es gibt einen Wettkampf um den besseren Veganer: Was du trägst noch Leder-Schuhe? Es gibt ja so aggressive Veganer, wir nennen sie immer die angry vegans. Also versuche ich eigentlich nur mit gutem Beispiel voranzugehen. Und auch Schwächen zu zeigen - weil Schwächen sind menschlich."
Bringt man Berlin und Vegan zusammen, ist Gesine Kühne wohl eine ziemlich perfekte Botschafterin. In Ost-Berlin geboren und West-Berlin aufgewachsen hat sie keine Berührungsängste mit traditionellen Essgewohnheiten:
"Ich komm aus einer Arbeiterfamilie und da wird anders gegessen: Da steht Fleisch auf dem Tisch."
Sie liebt Junk-Food:
"Dann bin ich ein totaler Fan von Tofuwürstchen, weil ich gerne grille. Pommes ist eh das vegane Überfood, da kann ich nüscht falsch machen."
Und sie hat eine geerdete Einstellung zum Thema Nahrung als Beschäftigungstherapie:
"Ich glaube, das ist auch ne Typfrage. Es gib Leute, die wollen das dann an die große Glocke hängen und machen das zu einer Show bis zum Geht-nicht-mehr: Ich esse nur noch grüne smoothies! Was zum Teufel? Ich möchte mein essen kauen und nicht trinken, ja?"